Die skandinavische Neo-Drone-Szene um Protagonist*innen wie Kali Malone oder Maria w Horn, die irgendwo zwischen asketischer Deep-Listening-Elektroakustik und feinnervigem Ambient spielen, ist regelmäßiger Gast dieser Kolumne. Ein vielleicht etwas weniger exponierter, aber doch langjähriger Bestandteil und Kollaborateur der Szene ist der Schwede Mats Erlandsson. Seine jüngste LP Minnesmärke (Hallow Ground) nutzt die Vorteile einer Vinyl-Veröffentlichung auf optimale Weise. Der obige Konsumhinweis gilt hier nämlich ebenfalls: Die zwei extrem dichten und textursatten, jeweils ungefähr 20-minütigen Drones verlangen maximale Immersion, setzen auf das hintergründige Auftauchen und Verschwinden minimaler Sounds im großen Ganzen.

Bemerkenswert subtile Agenten der Stille finden sich in der Herbst/Winter-Kollektion des Berliner Labels Vaagner. Christopher Whitley auf Landscape Shift (Slight Return) (Vaagner) am präparierten Piano mit unaufdringlichen Digitaleffekten, Ruben Kotkamp auf Fallwinter 19’20 (Extended Edition) (Vaagner) minimalistisch schwebend und Blessed Are Hearts That Bend in Is My Destroyer (Vaagner) sakral schwelgend, spirituell aufgeladen. Alle drei sind relative Newcomer mit bereits fast zur Perfektion ausgereiften Kunst des Weglassens von Unwesentlichem.

Ambient alter, neuer und krautiger Schule versammeln die Ambient Sessions (Monika) der Monika Werkstatt, die April 2019 für die tolle Gelegenheit einer zweitägigen Konzertreihe im jüdischen Museum in Berlin aus Beate Bartel, Danielle de Picciotto, Gudrun Gut, Islaja, Pilocka Krach und Sonae bestand, also einer Zusammenkunft einiger der eigenwilligsten Freigeister, die die elektronische Musik hierzulande zu bieten hat. So folgen die jeweils auf eine Stunde konzentrierten, weitgehend improvisierten Live Sessions zwar keinem Skript, gehorchen aber schon einer gewissen Entfaltungslogik, vom vorsichtigen Anfangen, Suchen, Ausprobieren von Sounds, zum Moment der Konfluenz, an dem es klick macht und alles in einen gemeinsamen Groove findet, bis zum Auseinanderdriften im Freakout und wieder zurück. Das muss immensen Spaß gemacht haben.

Ein etwas anderes Verständnis von Fun durchzieht die Labelcompilation We Hovered With Short Wings (Gizeh, 4. Dezember) die Richard Knox, Musiker, Grafiker, Multimediakünstler und Betreiber des britische Kleinstlabels Gizeh sich und uns zum Release der Laufnummer 100 geschenkt hat. Immer am graudunklen Rand der emotionalen Farbpalette angesiedelt, beschreiben die 21 exklusiven Stücke der labelassoziierten Künstler*innen die schlechter beleuchteten emotionalen Zustände zwischen Melancholie, Trauer und Wut. Mit mal mürben, im Zerfall begriffenen Soundscapes, mal trotzig und mit brachialem Krach dagegenhaltenden Song-Tracks zwischen Drone, Electronica, Postrock und Doom-Metal. Was den Kreis schließt zur eingangs vorgestellten Arbeit von El Hardwick. Wo sie hochauflösend, digital bunt arbeitet, bevorzugt Gizeh ein grobkörnig-analoges Schwarzweiß. Die porträtierte Welt im Zustand der Auflösung ist allerdings dieselbe, eben die eine, die wir nur haben.

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