Foto: At Hyderabad (Collage)
NOW EVERYONE CAN BE A DJ. Mit diesem Slogan bewarb Pioneer in einer Pressemeldung kürzlich einen neuen DJ-Controller und versprach damit den perfekten Einstieg in die „aufregende Welt des Auflegens und Produzierens“. Hatte man die Bluetooth- und App-Verbindung aktiviert, könne man mittels iPhone oder iPad nicht nur auf die eigene iTunes-Musikbibliothek zugreifen, sondern auch auf Streamingdienste wie Spotify, SoundCloud Go+ oder Beatport LINK.
Gerade die letzten beiden Unternehmen sind im vergangenen Jahr mit großen Schritten vorangegangen, Streaming in die Welt des digitalen Auflegens besser zu integrieren. Denn dass Streaming die Art, wie wir Musik täglich konsumieren bereits maßgeblich verändert hat, wird kaum noch jemand bestreiten. Dass Streaming auch die Art, wie Musik aufgelegt wird, zukünftig maßgeblich beeinflussen wird, ist eine Entwicklung, die längst im Gange ist – und die sich ebenso wenig von Nostalgiker*innen wegdiskutieren lässt, wie Vinyl-Fetischst*innen einst den Aufstieg digitalen Auflegens verhindern konnten.
Aber der Reihe nach – wagen wir den Versuch einer Bestandsaufnahme. Als notwendige Reaktion auf den einbrechenden Musikmarkt wurde die Idee des legalen Musikstreamings Mitte der 2000er geboren. Das Internet war seit den Neunzigern kontinuierlich auf dem Weg in die Privathaushalte und auch wenn die Netzwerkverbindungen längst noch nicht schnell genug waren, um Audiodateien vom Anbieter zum Kunden zu übertragen, entwickelten sich schnell Möglichkeiten der Musikpiraterie, allen voran durch Napster. Das 1999 gegründete Peer-to-Peer-Netzwerk ermöglichte den Zugriff auf die MP3-Sammlungen aller Nutzer*innen. In Folge einer Klagewelle seitens der Musikindustrie wurde die Tauschbörse 2001 geschlossen.
Mit tatsächlichem Streaming hatte das alles noch wenig zu tun. Das Download-Modell, das Apple 2003 mit iTunes kommerzialisierte, galt als Status Quo und Zukunftstechnologie. Mit dem Aufkommen von Cloud-Technologie wurde das private Speichern von Downloads jedoch bald zum Auslaufmodell. Während es Spotify 2006 gelang, die Vorteile der zahlreichen aufkommenden Streamingportale wie MySpace, SoundCloud, Bandcamp, Pandora oder LastFM klug zu kombinieren und als erster zu kommerzialisieren, erkannte Beatport 2004 den Wert einer relativ kleinen Zielgruppe, die trotz Streaming auch zukünftig noch Tracks zum Download kaufen würde: DJs.
Beatport: Altersvorsorge Streaming
Mit einer Bibliothek von sechs Millionen Tracks ist Beatport heute einer der wichtigsten Downloadstores für elektronische Underground-DJs. Mit Beatport LINK wagte das Unternehmen 2019 nun einen großen Schritt in Richtung Streamingmarkt. Konkret bietet Beatport dabei zwei verschiedene Modelle an: Für 14,99 Dollar im Monat können Abonnent*innen seit Mai mit Beatport LINK den gesamten Katalog aus der Cloud streamen und diesen direkt mit WeDJ, Rekordbox und Virtual DJ verknüpfen. Künftig sollen auch andere DJ-Apps hinzukommen. LINK richtet sich dabei an musikinteressierte Konsument*innen, die privat anfangen wollen aufzulegen – was auch die eingeschränkte Audioqualität von 128 kbps AAC erklärt, die sich zwar für die WG-Party eignet, für den tatsächlichen Clubbetrieb aber nicht. Der Zugriff auf den gesamten Katalog ermöglicht Abonnent*innen zudem den Einstieg ins Auflegen auch ohne bestehende Tracksammlung, weshalb das Angebot vermutlich eher nicht auf bestehende Downloadkäufer*innen abzielt, sondern auf eine bislang unerreichte Zielgruppe.
Professionelle DJs müssen dafür schon etwas tiefer in die Tasche greifen: Für 39,99 Dollar im Monat kann man bei Beatport LINK PRO die Tracks in 256 kpps AAC streamen, dem gängigen Clubstandard. Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass man in jedem Club eine stabile Internetverbindung hat, die gewährleistet, dass man die Tracks auch zuverlässig abspielen kann. Da dies – Stichwort Digitalisierung in Deutschland – leider noch längst nicht flächendeckend der Fall ist, bietet LINK PRO zusätzlich die Möglichkeit, 50 Tracks in einen Offline-Locker herunterzuladen, ähnlich wie man es von der Offline-Funktion bei Spotify kennt. Wem 50 Tracks nicht reichen, der kann auch noch eine Stufe upgraden auf Beatport LINK PRO+. Für 59,99 Dollar im Monat können zusätzlich zu den oben genannten Features 100 Songs offline gestreamed werden.
„Für Beatport ist der Schritt in diesen Markt eine Zukunftsabsicherung, nicht rein auf Downloads zu setzen. Weil wir denken: das wird irgendwann kommen.“
Heiko Hoffmann, Beatport
Zwischen 500 und 700 Euro im Jahr allein für Streaming auf einer einzigen Plattform auszugeben, ist nicht gerade wenig. Professionelle DJs werden sich da sicher zweimal überlegen, ob sie das Geld nicht lieber in Downloads investieren, die ihnen dann auch wirklich „gehören“. Hinzu kommt, dass man für den Login in die Streamingfunktion bislang immer noch einen Laptop mit Internetverbindung braucht. Dass Profi-DJs, die mit CDJs auflegen, für 50 Extra-Tracks im Offline-Locker tatsächlich einen Laptop in die DJ-Booth stellen werden, scheint eher unwahrscheinlich. Aktuell gibt es außerdem noch keine Integration von Serato oder Traktor – ein weiterer Minuspunkt für die Nutzbarkeit im Profibereich.
Kannibalisiert sich Beatport als Download-Plattform mit diesem Vorstoß zudem nicht in gewisser Weise das eigene Geschäftsmodell? Heiko Hoffmann, Director Label & Artist Relations und ehemaliger Groove-Chefredakteur, sieht das anders: „Für Beatport ist der Schritt in diesen Markt eine Zukunftsabsicherung, nicht rein auf Downloads zu setzen. Weil wir denken: das wird irgendwann kommen.“ Wenn die technischen Gegebenheiten irgendwann soweit sein werden, möchte man bereit sein für den Wandel. Zudem solle das Abomodell die Umsätze auch in Monaten, in denen generell weniger Tracks gekauft würden, stabilisieren, zum Beispiel im Januar.
Streaming werde beim digitalen Auflegen vorerst eher zu einem zusätzlichen Tool werden, statt die anderen Formate abzulösen, prognostiziert Hoffmann: „Man hat einen Stick mit seinen eigenen Tracks, einigen unveröffentlichten Releases, eventuell noch ein paar Tracks, die man vom Vinyl geripped hat und dann hat man 50 aktuelle Tracks, die man vielleicht mal für zwei Wochenenden spielen und gar nicht unbedingt kaufen will. Wenn diese sich aber etwa bewähren sollten, will man sie sich vielleicht doch auch kaufen und besitzen.“ Wichtig sei Beatport aber, dass diese Offline-Funktion nicht auf Kosten der Download-Umsätze geht – daher die bewusste Beschränkung auf maximal 100 Tracks im Locker.
SoundCloud: Die Einstiegsschwelle senken
Auch wenn Beatport mit dieser besonderen Offline-Funktion gerade im Markt noch Vorreiter ist, haben andere Anbieter natürlich längst eigene Angebote vorgelegt. TIDAL kollaboriert mit Serato, die für die Streaming-Integration sogar eigene DJ-Playlisten kuratiert haben. Einen Offline-Modus gibt es hier nicht, ebenso wenig wie bei SoundCloud. Im Mai launchte das Unternehmen Soundcloud Go+. Für 9,99 Dollar kann der Katalog werbefrei gestreamed und auf verschiedenen DJ-Softwares gemixt werden.
Nick Tsirimokos, Artist Relations Manager bei SoundCloud, sieht den Vorteil von SoundCloud gegenüber anderen Plattformen dabei besonders in dem umfangreichen Katalog mit über 200 Millionen Songs: „Soundcloud ist die am weitesten integrierte Streaming-Plattform für DJ-Performance-Software. DJs wollen nach musikalischen Schätzen graben, die sie sonst nirgends finden. Das unterstützen wir bei SoundCloud auf die beste Art und Weise.“
„Viele Digital Natives werden in ihrem ganzen Leben keinen Download mehr sehen. Die Musikindustrie bewegt sich in Richtung Streaming und wir versuchen da mitzugehen. Das ist erst der Anfang.“
Nick Tsirimokos, SoundCloud
Für Nick Tsirimokos ist Streaming für DJs nur der nächste logische Entwicklungsschritt im Musiknutzungsverhalten, besonders auch der jüngeren Generation. Auch wenn er überzeugt ist, dass Vinyl auf eine gewisse Art und Weise für Liebhaber*innen auch weiterhin existieren wird, ist er sich sicher: „Viele Digital Natives werden in ihrem ganzen Leben keinen Download mehr sehen. Die Musikindustrie bewegt sich in Richtung Streaming und wir versuchen da mitzugehen. Das ist erst der Anfang.“
Tatsächlich arbeitet SoundCloud durch Partnerschaften mit Serato, Pioneer DJ, Native Instruments, Mixvibes, DEX 3, Virtual DJ und Hercules aktuell mit den meisten Anbietern im Markt zusammen. Hinsichtlich des umfangreichen Katalogs muss man aber auch bedenken, dass nicht alle 200 Millionen Tracks, die ja zum großen Teil auch von privaten User*innen hochgeladen werden, in einer Audioqualität verfügbar sind, die sich auch für den professionellen Einsatz im Club eignen würde. Zudem stehen User*innen auch hier wieder vor dem Problem der instabilen Internetverbindung in Clubs.
Doch abgesehen davon, dass zum Beispiel für DJs auf privaten Feiern oder Hochzeiten, die Songs auf Nachfrage abspielen müssen, DJing via Streaming ein echter Segen sein wird, scheint die Verwendung der DJ-Streamingfunktion im tatsächlichen Clubbetrieb für Nick Tsirimokos momentan sowieso nicht der primäre Fokus zu sein: „Streaming für DJs ist noch eine sehr neue Entwicklung. Wir versuchen, die Einstiegsschwelle zu senken, damit jeder anfangen kann aufzulegen, nicht nur professionelle DJs sondern auch junge Kids in ihren Schlafzimmern, die nächste Generation. Wir versuchen da Vorschub zu leisten und DJing für jede*n zugänglich zu machen“. Damit ist SoundCloud nicht weit vom anfangs erwähnten Claim entfernt: NOW EVERYONE CAN BE A DJ. Wenn aber jede*r ein*e DJ sein kann, was unterscheidet dann professionelle DJs überhaupt noch von Amateur*innen?
Der DJ in Zeiten seiner technischen Reproduzierbarkeit
Eigentlich würde man sofort antworten: die Auswahl der Tracks und die daraus resultierende Sammlung. Doch worin besteht die Auswahlfähigkeit, wenn Algorithmen und kuratierte Playlists direkt den nächsten passenden Track vorschlagen? Und inwiefern kann man von einer Sammlung sprechen, wenn DJs ihre Tracks gar nicht mehr besitzen? Über die verschiedenen Abomodelle erhalten Benutzer*innen lediglich Zugang zur Nutzung der Tracks. Theoretisch könnten die Tracks von den Plattformbetreiber*innen jederzeit offline genommen werden – man denke an die jüngste Entwicklung von iTunes mit dem Upgrade auf das neue Betriebssystem Catalina.
Heiko Hoffmann von Beatport glaubt dennoch daran, dass es etwas gibt, das DJs besser können als der Algorithmus: „Das wichtigste, was einen DJ für mich ausmacht, ist nicht allein die Musik, die er spielt, sondern dass er oder sie die richtige Musik im richtigen Moment spielt.“ DJs müssen ihr Publikum lesen können. Bei allem Kulturpessimismus, der bei technischen Neuerungen immer mitschwingt, birgt Streaming für DJs zudem auch viele Vorteile: der Zugriff auf Musik wird vielfältiger und die Sets dadurch, dass Musik aus der ganzen Welt innerhalb von Sekunden gefunden werden kann, im besten Fall diverser. Durch Beatport LINK können DJs die Tracks vor dem Kauf in voller Länger anhören und sogar probeweise schon mal mixen. Weiterhin bieten kuratierte Playlists und Algorithmen auch neue Formen des Diggings und Musikentdeckens.
Zudem hat die ganze Debatte darum, ob Streaming-DJs mit den „echten“ DJs, die schließlich oft eine Menge Geld für Downloads, Vinyl und teures Equipment ausgegeben haben, mithalten können, einen recht elitären Beigeschmack. Schließlich waren es doch gerade die günstigen Drumcomputer, die es Kids aus der Arbeiterschicht einst ermöglichten, auch ohne formale musikalische Ausbildung zu Musikproduzent*innen zu werden. Heute kostet es praktisch nichts mehr mit dem Auflegen anzufangen, die Einstiegshürde ist so niedrig wie nie. Gerade in Ländern, die keine Plattenläden haben oder in denen der Zugriff auf Downloads schwieriger ist, wie etwa in China, wird Streaming für DJs dahingehend eine positive Entwicklung sein.
Wertschöpfung und ein empfindliches Ökosystem
Dennoch darf die Demokratisierung der Mittel natürlich nicht auf Kosten derer gehen, die die Tracks überhaupt erst zur Verfügung stellen. Und damit erreicht die Debatte – abseits der kulturphilosophischen Frage nach der Bedeutung des DJs im Streamingzeitalter – ihren größten Knackpunkt: die Bezahlung der Musikproduzent*innen. In Anbetracht der Mikrobeträge, die Labels respektive Produzent*innen von den Streamingplattformen üblicherweise pro Stream ausgeschüttet bekommen, stellt der Verkauf physischer Tonträger und Downloads für viele Labels immer noch eine zentrale Größe dar.
Beatport sei es daher wichtig, dieses Ökosystem zu erhalten, sagt Hoffmann. 96 Prozent des Umsatzes auf Beatport würden mit Indielabels gemacht, Majors spielten auf der Plattform eigentlich kaum eine Rolle. Für Hoffmann ist klar: „Es muss einen bestimmten Preispunkt geben, der eingehalten wird, damit der Umsatz für Labels stabil bleibt, die auch von Downloads leben.“ Ein nobler Gedanke – inwiefern sich dieser selbstgesetzte Preispunkt aber halten lässt, wenn die Big Player ins Geschäft einsteigen und der Preiskampf tatsächlich losgeht, bleibt abzuwarten. Damit von dem ohnehin schon schmalen Kuchen etwas mehr bei den Produzent*innen landet, muss ein Umdenken in der Industrie her – aber auch von Seiten der DJs.
„DJs bieten im Kontext der Techno-Kulturindustrie Einnahmequellen dort, wo sich mit Objekten wie Tonträgern kein Geld mehr verdienen lässt“
Kristoffer Cornils, konkrit
„DJs haben Produzent*innen in den letzten zwei Jahrzehnten kontinuierlich den Rang abgelaufen, erst in Hinsicht auf die ihnen entgegengebrachte Wertschätzung und nunmehr auch in Hinsicht auf Wertschöpfung. Denn DJs bieten im Kontext der Techno-Kulturindustrie Einnahmequellen dort, wo sich mit Objekten wie Tonträgern kein Geld mehr verdienen lässt“, stellten Groove-Autor Kristoffer Cornils in seiner Kolumne konkrit 2019 fest. Möglichkeiten die Produzent*innen zu unterstützen, mit deren Tracks DJs immerhin gute Gagen einfahren, haben auch DJs selbst in der Hand: Sie können die Tracks, von denen sie sicher viele umsonst als Promo-Download geschickt bekommen, trotzdem kaufen. Sie können ihre Tracklisten veröffentlichen und somit den Produzent*innen einen Teil ihrer Öffentlichkeit schenken. Und sie können ihre Setlisten ordentlich ausfüllen, damit Produzent*innen immerhin die Ausschüttungen von der GEMA und anderen Rechteverwertern bekommen, die ihnen zustehen.
Momentan gibt es nämlich noch keine richtige Erfassung der Musik, die in den Clubs oder auf Festivals tatsächlich gespielt wird, außer der Setlisten, die Künstler*innen eigentlich nach ihren Gigs selbst einreichen sollten. Obwohl Clubs und Festivals Millionenbeträge an die GEMA und andere Rechteverwertungsgesellschaften bezahlen, kommt bei den Produzent*innen oft wenig an, da der Topf der Tracks, die nicht zugeordnet werden können, prozentual an die Leute ausgeschüttet wird, die ohnehin die meisten Radioplays haben.
Ein Weg aus diesem Dilemma könnte eine Black Box sein, die in Clubs oder auf Festivals installiert wird und die Musik, die gespielt wird, mit einer Art Shazam erfasst. Sollte sich Streaming als primäre Nutzungsart von DJs tatsächlich durchsetzen, könnte man zukünftig ohnehin punktgenau nachvollziehen, welcher Track wann vor wie viel Publikum gespielt wurde und eine faire(re) Bezahlung der Produzent*innen erzielen. Eventuell würden Produzent*innen dann automatisiert per Notification informiert, dass ihr Track gerade im Berghain vom Marcel Dettmann gespielt wird.
Das ist natürlich alles noch Zukunftsmusik. Bis die Technik tatsächlich soweit ist und vor allem bis in allen Clubs, Veranstaltungs- und Festivalvenues flächendeckend entsprechendes Equipment installiert ist, dauert es sicherlich noch einige Jahre. Heiko Hoffmann ist sich aber sicher: „Wenn ich es abschätzen müsste, könnte ich mir vorstellen, dass man in fünf bis sieben Jahren auf DJs, die nur noch mit Downloads auflegen, zurückschaut wie heute auf DJs, die nur mit CDRs auflegen. Denn warum legen die Leute heute nicht mehr mit CDRs auf? Weil es einfach unbequem geworden ist.“