„because silence bares many answers“
Anfang des Jahres hat die geschätzte Sonae in einem eher profanen Facebook-Post diese treffende Spontanverteidigung einer stillen, unspektakulären, unaufdringlichen Kunst platziert, die ich dieser (und eigentlich allen) Ausgaben des Motherboard als Motto überstellen möchte. Bezogen war das auf das Reissue ihres selbstverlegten Albums Leise Fäden (Morr) mit Danielle de Picciotto, das hiermit nochmals nachdrücklich empfohlen sei. Was die Stille dabei genau freilegt und offenbart, ist ein Rätsel, das ungelöst bleiben muss. Das Mysterium liegt jedenfalls nicht allein in unmittelbar einleuchtenden Fällen wirklich entleerter, entschleunigter oder minimalistischer Klänge. Gerade in tendenziell lauter bis maximalistisch voller Musik wie dem zweiten Album der koreanischen Multiinstrumentalistin Park Jiha (oder Jiha Park in europäischer Vorname-Nachname Abfolge) spielen die Leerstellen, die Pausen, die zurückgenommene Überwältigung eine entscheidende Rolle. Der postrockige, leicht jazzige Sound Parks baut sich auf Philos (Tak:Til/Glitterbeat) aus klassischen koreanischen Instrumenten wie dem “europäischen Hackbrett” Yanggeum, der panflötenartigen Mundorgel Saenghwang und der Piri-Bambusflöte auf. Alle drei ziemlich laute Instrumente von einem ziemlich derben Klangbild, die gegen ihre Konvention gespielt, fließend flächig werden, aber in ihrem an Obertönen und Textur reichen Klangbild hinreißend deutlich herausgearbeitet werden – und doch so leise sein können, dass ein unkomprimiertes Glockenspiel dagegen bestehen kann. Im zentralen Stück “Easy” rezitiert Park die kongeniale Lyrik der Libanesin Dima El Sayed, ein gut angefressener Kommentar zu den “Take it Easy”, “Be One with the Universe” Parolen der Yoga-Wellness-Selbstoptimierungsgesellschaft. Die Antworten der Stille sind eben dann besonders interessant, wenn sie sich nicht unmittelbar offenbaren.
Video: Park Jiha – Arrival 박지하
Die Musik von Jiha Park ist akustisch, allerhöchstens in der Aufnahmetechnik und der zurückhaltenden Klangbearbeitung digital. Allerdings sind Parks Stücke in einer von Drone und Postrock informierten Tracklogik ausformuliert, die bei elektronischer Musik genau hingehört hat. Das gilt ähnlich für House and Land, dem jüngsten Projekt der Akustikgitarren- und Banjovirtuosin Sarah Louise (die hier anders als solo glockenhelle Vocals einbringt) mit der Folk & Country-Vokalistin Sally Ann Morgan, die neben Bouzouki und Gitarre noch diverse Drone-taugliche Instrumente wie die Shruti-Box und die Fiddel beisteuert. Louise und Morgan spielen auf Across The Field (Thrill Jockey) traditionell anmutende Bluegrass- und Folksongs wie sie in den Appalachen beheimatet sind, aber genauso von Minimal Music und Loop-Ambient informiert. Sie dehnen, zerren und verschleifen vor allem die instrumentalen Parts ihrer Stücke zu psychedelischen Drones. So werden aus einfach strukturierten, klaren Songs komplexe, schwebende Tracks von faszinierend ungewohnter Harmonie. Wo wir schon bei Musik sind, die in die „elektronische“ Kolumne eigentlich nicht hinein passt, aber mit offenem Visier dann doch richtig gut: das Gitarren- und Brüder-Duo The Mattson 2 aus Los Angeles fabriziert seit mehr als zehn Jahren smoothen, instrumentalen Jazz-Funk auf ungefähr ebenso vielen Alben. Das ist auf Paradise (Company Record Label) nicht anders. Warum dieses Album so gut ins Motherboard passt, liegt eher an der diesmal besonders ausgeprägten soft-psychedelischen Note (eine Richtung, in die sich ihre Peers Khruangbin und Drugdealer entwickelten), die eventuell dem Einfluss ihres elektronischen Buddies Chaz Bear Bundick (Toro Y Moi) geschuldet ist, der das Album auf seinem Label veröffentlicht. Der Schotte Bill Wells ist auch so ein schwer kategorisierbarer Zeitgenosse, der genau aus diesem Grund, weil er sich nicht auf Stil oder Genre, nicht auf Elektronik oder Akustik festlegen mag, immer in diese Kolumne hinein gehört. Wells‘ The National Jazz Trio Of Scotland, welches natürlich weder ein Trio ist (die Besetzung schwankt von zwei bis über zehn Musiker*innen und Vokalist*innen) noch etwas spielt, dass sich als Jazz im herkömmlichen Verständnis bezeichnen lässt, spielt auf Standards Vol. 5 (Karaoke Kalk) dann eben keine Jazz-Standards sondern fluffige Originale, feinste säkular spirituelle Folk-Psychedelia von einer ganz seltenen menschlichen Wärme. Die relative Abwesenheit von Jazz-Jazz in den bisher vorgestellten Projekten macht der französische Kontrabassist Thibault Renou locker alleine wett, wobei nicht ganz alleine, seine Maïsha Suite (Infiné) ist in klassischer Big Band Besetzung mit dem Ensemble Bibenduum aufgenommen, und sucht sich ein lauschiges Plätzchen im eng gewordenen Raum zwischen großformatigem Bandleader-Jazz der vierziger und fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit Duke Ellington als virtuellem Patron und den aktuellen Versuchen Techno akustisch und milde experimentell zu machen wie Henrik Schwarz oder gerade wieder Brandt Brauer Frick. Renous „Solo“-Debüt überzeugt, weil er explizit nicht hinter die hohen handwerklichen Standards seines Genres zurückfallen möchte. Was instrumentales Können, Arrangement und Produktion angeht ist Maïsha Suite mehr als professionell und ein gutes Beispiel, das manchmal „gut gemacht“ dann tatsächlich auch „gut“ impliziert.
Stream: House and Land – Carolina Lady
Für die aus den Ruinen von Industrial und dystopischen Synthesizerklängen entsprungen Sounds von Dark Ambient sind Stille und Geheimnis von ebenso entscheidender Bedeutung. Nur vielleicht nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Das kurze Debütalbum der Istanbuler Produzentin Hüma Utku, die sich für ihre früheren Arbeiten noch R.A.N., „Roads At Night“, nannte (siehe Motherboard vom September 2018) ist eindeutig vom grauschwarzen Post-Techno Sound Berlins inspiriert, der Stadt, in der sie seit einigen Jahren lebt. Allerdings vermeidet Gnosis (Karlrecords) die genretypischen Klischees erfreulich weitgehend. Weder verklumpen in ihrem Sound verhärtete Noise-Knoten und metallisches Gedengel, noch sorgen mysteriöse Funksprüche oder runtergepitchtes Raunen für wohlige Gruselatmosphäre. Gnosis, altgriechisch für Denken und Erkenntnis, fischt bei aller partikeldurchsetzten Undurchsichtigkeit des Gesamtsounds nicht im trüben. Utku erlaubt ihren Schwebepartikeln eine ungewöhnliche Tiefenschärfe. Eine zwar oberflächenmatte, aber immens detailreiche Flächentextur, die hin und wieder von semifunktionalen Beats strukturiert wird. Damit ist Utku näher am skandinavischen Post-Techno als an Berliner „Deconstructed Club“-Befindlichkeiten. Also an einem Sound der düster, dysfunktional und komplex tanzbar gerade zwischen Kopenhagen, Stockholm und Oslo auf Labeln wie Northern Electronics (Varg, Ulwhednar), Posh Isolation (Croatian Amor, Vanity Productions, Vanessa Amara), Janushoved (Rosen & Spyddet, Raquin, Internazionale) oder Silicone (Soho Rezanejad) boomt.
Stream: Hüma Utku – Black Water Red
Die Dänin SØS Gunver Ryberg wird meist nicht mit dieser fein vernetzten, pan-skandinavischen Szene assoziiert. Ihr Minialbum Entangled (Avian) könnte aber dennoch als experimentelle Weiterentwicklung dieses zwischen Minimalismen und Maximalismen oszillierenden Sounds stehen. Entangled ist ästhetisch sehr anders als Rybergs im März erschienener düster-karger Soundtrack zu Cutterhead, aber nicht weniger beeindruckend. Sie definiert hier einen Sound, der eindeutig von Techno mit Industrial herkommt und den Druck wie die Dringlichkeit moderner Technoproduktionen aufnimmt, deren zielgerichtete, alles andere unterordnende Funktionalität aber nicht reproduzieren will. Die Tracks von „Entangled“ dürfen alles von zartestem Ambient, Überdruckventil-Noise zu Breakbeat-Techstep und gnadenlosem Power-IDM einbringen und definieren doch einen Flow. Das Geheimnis dieses kurzen und doch so reichhaltigen Albums liegt im inneren Zusammenhalt. Vielleicht sind es die schwer zu findenden, aber definitiv vorhandenen Lücken an Stille, die genau diese innere Geschlossenheit ausmachen.