Die rumänische, in Modena in Italien lebende Klangkünstlerin und akademisch geschulte elektronische Komponistin Alina Kalancea erforscht auf ihrem Debütalbum The 5th Apple (Störung) ebenfalls düstere Soundscapes und verknüpft diese mit Poesie am Rande von Song und Track. Der Kontrast von flickerigem Dark Ambient und bassigen Cold-Drones aus der Modularsynthesizer-Schrankwand mit dem intensiven, stark in den Vordergrund produzierten Textvortrag ergibt einen wundervoll ungemütlichen introspektiv extrovertierten Soundtrack zu finsteren Tagen. W/V ist das ungeahnte Duo des in den hohen Norden Norwegens exilierten britischen Drone-Bassisten James Welburn mit der südafrikanischen, zur Zeit in Berlin lebenden Vokalistin Juliana Venter, die neben experimentellen Improv Projekten auch schon bei hiesigen Pop-Größen wie Andreas Dorau und PeterLicht mitgesungen hat. Ihre Debüt-EP W/V (Silken Tofu) startet mit einer derben Ohrfeige aus grobkörnigem Power-Noise, verfeinert sich aber über die Laufzeit zu einem düstergrau rauschenden Drone, der allein von der wortlosen Stimmakrobatik Venters etwas Licht und Farbe abbekommt. Eine spannende Kombination, von der hoffentlich irgendwann noch mehr zu hören sein wird.
Stream: Alina Kalacea – Devil’s Lullaby
Modulare Analogsynthesizer mit ihrer Architektur variabler Kabelverbindungen haben ganz spezielle Formen des Experimentierens mit sich gebracht, die sich an den offensichtlichen Limitierungen der Hardware abarbeitet und versucht, diese Grenzen zu erweitern, oder gerade mit diesen Einschränkungen etwas Neues zu kreieren. Dem Italiener Piernicola Di Muro alias BeWider ist eher die erste Arbeitsweise eigen. Sein Album Full Panorama (Folk Wisdom, VÖ 1. Februar) reizt die sattsam bekannten Möglichkeiten von Hüllkurven-Groove und Filter-Politur maximal aus. Ein panoramischer Trip entlang allem was sich zwischen Patchkabel und Potentiometer aussteuern lässt. Matt Nish-Lapidus alias New Tendencies lässt auf Batch008 (SM-LL) dagegen eher die Fehler im System aufspielen. Das Knacken, Krachen und Poltern der Geister im Kabelsalat. Seine selbstmontierte Serge-Modularbox ist für dieses Ansinnen ein idealer Konversationspartner., der wenn er nur genug geärgert wird zu den erstaunlichstens Sounds fähig ist. Frans de Waard von Freiband, Goem, Beequeen und einigen avancierten Elektronikprojekten nutzt auf seinem Soloprojekt Modelbau beide Herangehensweisen, inner- und außerhalb der Betriebsanleitung. Aktuell hat er dabei vier Tape- oder CDr-Releases anzubieten, Offen (Barrheu), Ypsilon (Zhelezobeton), A Hundred Yards (Econore) und Untitled (Le Poeme D’une Vie Bien Remplie), die in aller gebotenen Strenge im frühmodern konstruktivistischen Bauhaus-/De Stijl-Design gehalten sind und zusammen ein Firmament experimenteller Elektroakustik aus Analogsynthesizern aufspannt.
Stream: New Tendencies – Batch008
Die Jubelkompilation Selects/Dissects RVNG Intl. at 15 (RVNG Intl.) zum Anlass des fünfzehnjährigen Bestehens von Matt Werths RVNG Intl. Label ist ein Mixtape geworden. Die standesgemäßen 2×45 Minuten wurden kontrastreich von Label-Newcomerin Beatrice Dillon gemixt, die hier die jazzige Elektronik ihrer diversen Projekte zwischen elektroakustischer Komposition, Laptop-Improvisation, experimentellem Grime und rauschendem Techno als Mix (oder eher: Soundcollage) aus alten RVNG Intl.-Veröffentlichungen neu montiert. Ein mitunter heftiger Trip, der die immense Qualität und stilistische Offenheit des Labels hochaufgelöst und kleinteilig wiederspiegelt. Gefährliche Orte (Alien Transistor) des Münchner Duos 1115 ist ebenfalls ein Mixtape, ein rein digitales allerdings. Aus Live-Improvisationen, Studiosoundschnipseln und mit bedeutungsschweren Samples zusammenmontiert und mit ziemlich quer verschraubten Lo-Fi-House-Beats und schwerstens gedubbtem latent aggressiven Industrial-Gehämmer unterlegt, vermittelt der Mix eine ziemlich klare Idee davon was sich 1115 so unter „afropessimistischer“ Tanzmusik vorstellen. Der Sound des siebenköpfigen koreanischen Musik/Design-Kollektivs Byul.Org um den Seouler Produzenten TaeSang Cho kreist ebenfalls um die Post-Punk-Attraktoren Dub und Industrial. Ihr Orbit ist allerdings weiter und unrunder. Nach mehreren Kompilationen und Auftragsarbeiten ist Nobody’s Gold (Alien Transistor) ihr erstes zusammenhängendes Album. Wobei zusammenhängend bei Byul.Org doch ziemlich relativ ist und definitiv nicht homogen meint. So steht hier knittriger Dark Ambient neben YMO-artigem Avantgarde-Pop und gewittriger Modulardub neben sägendem Korea-Wave. Auf dem Tape The Content Consuming It’s Form (Pinkbox Teleport) des Berlin-Jerusalemer Duos INRA sind es ebenfalls Industrial und Dub, die diverse Genres und Stimmungen miteinander kommunizieren lassen. Düster dräuende Dronescapes, die von Tribal-Techno oder runtergepitchten Drum’n’Bass-Patterns aus der Kälte draußen wieder zurück in den Club getrieben werden.
Stream: INRA – The Content Consuming It’s Form