Wohlgenährte Electronica, die einem gewissen Soundmaximalismus frönt, die Pathos und Fülle nicht scheut ist hat heuer wieder Konjunktur. Ihre Wurzeln reichen ebenso in die siebziger Jahre, in die Synthesizerschrankwände Jean-Michel Jarres und Vangelis‘, wie in die Shoegaze-, „Chill Out“- und „Laptop Café“-Styles der Neunziger. Letztere hat Anthony Tombling Jr. bereits unter dem Alias Transambient Communications bespielt. Tomblings jüngstes Alias CUTS orientiert sich dagegen eher am überwältigenden Futurismus der Synthesizersoundtracks der vorigen Dekaden. Speziell die abgründig gleißenden Flächensounds etwa des Blade Runner Soundtracks scheinen für CUTS essentielle Inspiration. So kultivieren das CUTS-Debütalbum A Gradual Decline (Village Green) und die begleitende EP Slow Decay (Village Green) diese spezielle und heutzutage retro-futuristisch gewordene Melancholie einer großartigen Zukunft in einer Neo-Tokyo-Metropole, die sich niemals realisierte, deren Erwartung sich aber unwiderruflich und tief in Popkultur eingeschrieben hat. Einen Hit wie das überlebensgroße „Bunsen Burner“, das es nach Einsätzen und Film und TV-Serien Anfang diesen Jahres endlich auf die EP Exist 2 schaffte, haben Album und neue EP nicht zu bieten. Dennoch bieten sie als Ganzes womöglich die bessere weil ausgewogenere und wohlstrukturiertere Musik.


Video: Cuts – A Gradual Decline

Als Teil des Bristoler Trios Old Apparatus hat LTO entscheidend dazu beigetragen den Präfix „Post“ vor Dubstep zu positionieren und (darin Burial ähnlich) das Genre stilistisch zu erweitern und ihm ein neues Publikum zu geben. Solo ist LTO dann noch mal ganz anderen Ideen nachgegangen, vor allem der Frage wie eine zeitgemäße Kombination moderner Elektronik und traditioneller Neoklassik aussehen könnte. Diese Ideen hat er auf seinem dritten Album Déjà Rêvé (Denovali) weiter verfeinert und mit einem sicheren Gespür für Pop-Momente perfektioniert. Die Grundlage der meisten LTO-Stücke sind geloopte Pianophrasen, die mal als melodietragende Hauptsache im Vordergrund stehen, mal atmosphärisch gefiltert und digital verfremdet im Hintergund aufgehen. Die griffigen Stücke belegen den Mittelpunkt zwischen Song und Track, zwischen Ambient und Indie-Pop. Ein ganz starkes Album das mit den größten Markennamen der Electronica locker mithalten kann, ihnen eine eigene markante Stimme entgegenstellt. Mehrere Stufen hibbeliger und sehr Japan-typisch verknüpft Shohei Amimori auf seinem „endlich-auch-außerhalb-Japans“-Debüt PataMusic (Noble/Midi Creative) die Welten von Electronica, J-Pop, Fusion Jazz, Weirdo-Folk und einem wildgewordenen Klangkindergarten. Sympathischer als in den pastelligen Sound des jungen Soundart-Komponisten aus Tokio geht das kaum zusammen. Der Schweizer Peter Zirbs von den Synth-Wavern KonsortenTM hat etwas Ähnliches im Sinn mit der Neoklassik und dem Pop, agiert aber noch monumentaler. Sein Solodebüt What If We Don’t Exist? (Fabrique) nimmt ein gelooptes Piano zum Anlass für ausufernde Post-Rock-Songs, die stark nach Soundtrack klingen, ja gerade danach schreien in Film und Fernsehen als Emotionsverstärker agieren zu dürfen. Und das machen sie sehr gut.


Stream: Shohei Amimori – Now Forever

Die Siebziger und die Neunziger gehen auch im Finstern mit mieser Laune super zusammen, wenn etwa der Pariser Electro-Rocker Raoul Sinier seine Maschinen auspackt. Sein jüngstes Album Death Love & Despair (WXFDSWXC9) ist in der Hinsicht eine Überraschung, dass es sich nicht mehr im IDM/Breakcore-Idiom bewegt sondern in den Dienst von Wave/Rock-Songs stellt, von Synthesizer und elektrischer Gitarre getriebener Industrial-Rock mit verzerrtem Gesang. Siniers existenzialistische Düsternis ist dabei geblieben. So klingt das nicht selten nach den „Guilty Pleasures“ der Neunziger, nach Nine Inch Nails oder Tool, aber ebenso nach der elektronisch verfeinerten Dunkelheit von Portishead, Tricky und Placebo. UUUU sind schon personell eine Schnittstelle zwischen den Siebzigern, den Neunzigern und heute. Matthew Simms und Edvard Graham Lewis von den Post-Punk-Avantgardisten Wire, Thighpaulsandra von den Industrial-Pionieren Coil, und Valentina Magaletti von Raime und Tomaga. Der unbetitelten/gleichnamigen Debütalbum UUUU (Editions Mego) vom vergangenen Jahr folgt nun eine ebenfalls unbetitelte/gleichnamige EP UUUU (Editions Mego) die den Sound der Post-Industrial-Supergroup noch einmal weiterführt. Die zwei episch ausgedehnten Tracks der EP beginnen jeweils wie schmutziger Drone entwickeln sich dann aber völlig verschieden, einmal zu griffigem Electro-Rock mit leichtem Kraut-Flair und einmal zu ungewöhnlich lichtem Dark Ambient.

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