Das Duo URUK ist ein weiteres Post-Industrial Projekt von Thighpaulsandra. Hier verlässt er sich (wenn das überhaupt geht) noch weniger auf Genregrenzen und Stilzuschreibungen. URUKs zweites Album Mysterium Coniunctionis (Ici d’ailleurs) flottiert frei zwischen Avantgarde-Pop, Neoklassik und mysteriösem Dark Ambient. Wenn Dronegitarrist Hellmut Neidhart mit den Duisburger Doom-Metallern (zwei Bässe und ein Schlagzeug) als N + [ B O L T ] kollaboriert geht, wird der Sound gerne mal etwas derber. N (46) + [ B O L T ] (Midira) spart nicht an knarzenden Metalbässen und körnigem E-Gitarren-Feedback. Das dritte gemeinsame Album geht wie von Neidhart gewohnt von Drone aus, aber in diesem Fall dann auch ordentlich durch die Decke. Wenn die avantgardistischen Altrocker der experimentellen Drone-Elektronik Oren Ambarchi & Jim O’Rourke in der progressiven elektroakustischen Neuen Musik der Siebziger wildern ist das Ergebnis unvorhersehbarer und wilder. Oder doch nicht? Hence (Editions Mego), ihr Album mit dem japanischen Tabla-Spieler U-Zhaan klingt exakt so unerwartet und neu wie man es von derart geübten Improvisatoren erwarten würde: nach elektroakustischen Experimenten der Siebziger mit „fremden“ Musiktraditionen, die abgespannt aber nicht ermattet in die Jetztzeit hinübergerettet wurden. Kostbar und delikat aber kein bisschen neu.


Stream: UUUU – Electric Blanket

Sind weniger an einem spezifischen Sound als an einer Herangehensweise an Sound identifizierbare Genres wie Ambient dann zeitloser? Vermutlich nicht. Das dänische Trio System, das seit den neunziger Jahren besteht und als Future 3 mit einem dubbigen Breakbeat-/Chill Out-Sound berühmt wurde, klingt jedenfalls immer noch eindeutig identifizierbar nach den System von 2002 oder 2010, und das obwohl auf dem erst dritten Album Plus (Morr Music) noch Neo-Klassik-Superstar Nils Frahm mitspielt. Aber sogar einer wie Frahm ordnet sich dem unaufdringlichen Sound des Trios komplett unter. System machen noch immer feinste Ambient-Electronica alter Schule aus Analogsynthesizern mit ein bisschen Polfilterknistern und Effektgeräte-Rauschen. Unauffällig hintergründig und wunderschön. Kaum zu glauben, dass hier drei oder in diesem Fall sogar vier Musiker gleichzeitig Instrumente und Maschinen bearbeiten. Noch erstaunlicher funktioniert das individuelle Zurücknehmen, das aufgehen in der Menge bei den flämischen Shoegazern Book Of Air. Ihr drittes Album Se (In) De Bos (Sub Rosa) hat die Combo um Stijn Cools mit dem achtzehnköpfigen VVolk Orchester aufgenommen. In dem sechzigminütigen Stück passiert praktisch nichts, es ist ein zutiefst angenehmes wie zielloses Mäandern bei dem der Großteil der Jazz Big Band-Besetzung zu keinem Zeitpunkt individuell heraushörbar ist. Allenfalls die zwei weich wubbernden Kontrabässe und die drei stark in Hall und Pedal-Vibrato verschwimmenden elektrischen Gitarren setzen hin und wieder individuelle Soundzeichen. Ein großartiges Stück Ambient, das in seinem Aufgehen im Kollektiv und dem Kreisen um ein leeres Zentrum fast wie New Age Musik wirkt – und einen würdigen späten Erben des wegweisenden, vor kurzem wiederveröffentlichten Albums Plight & Premonition von Holger Czukay und David Sylvian abgibt.


Stream: System – Stille

Beim französischen Duo Ligovskoï ist das ähnlich. So zurückgenommen und subtil im Auftreten sind die acht Tracks auf Ligovskoïs zweitem Album Esam (Field) doch unverkennbar üppig und reich – an Textur, an Atmosphäre, an Leben. Das gilt fast noch mehr für die große Werkschau Still Water (Infinite Waves) des dänischen Tape-Labels Infinite Waves. Der Triple-Kassetten Release versammelt neue Stücke der wichtigsten Labelkünstler*innen wie Birch, Antti Tolvi, Miro und CR Hougaard (Soft Armour/Space Program) sowie des Labelmachers Grøn. Zwischen der kargen Überfülle an warmen Dronesounds, feinstem Ambient und avancierter Stille ist der epische Zwanzigminüter Hibernation von KAI OKE (gleichzeitig auch das Tonträgerdebüt des Kopenhagener Kunst- und Ambient-Kollektivs, bei dem die ebenfalls solo vertretene Sophie Birch mitspielt) wohl der auffälligste. Tiefe Konzentration, sanfte Stärke und unaufdringliche Schönheit ist allen Tracks eigen. Kurzatmigkeit oder die Scheu vor mäandrischen Abschweifungen kann man dem Ambient-Cowboy M. Geddes Gengras aus Los Angeles definitiv nicht nachsagen. Die zehn Tracks von Light Pipe (Room40) ergeben zusammen zweieinhalb Stunden ganz langsam sich schlängelnden, ab und an aufwogenden ozeanischen Ambient aus feinster Modular-Hardware.


Stream: M Geddes Gengras – Light Pipe

1
2
3
4
Vorheriger ArtikelDie Platten der Woche mit Perko, Dave Aju und Shelley Parker
Nächster ArtikelHeroines Of Sound 2018: Festivalpass zu verlosen!