Foto: Luis Nieto Dickens (Kilbourne)

Zuerst erschienen in Groove 171 (März/April 2018).

Hardcore-Techno und Gabber hatten spätestens seit den Neunzigern bekanntlich nicht mehr den besten Ruf. Musikalische Stagnation und Kommerzialisierung machten dem Genre zu schaffen. Doch in den letzten Jahren hat sich einiges getan: Neue Kollektive und junge KünstlerInnen geben dem Genre ein zeitgemäßes Update und setzen sich mit den alten Problematiken auseinander. Hardcore wird wieder underground. Wir haben mit der jungen Produzentin Kilbourne und dem Hardcore-Veteranen Marc Acardipane gesprochen, um zu erfahren, was dahintersteckt.

Auf der Facebook-Seite vom Boiler Room wurde vor kurzem ein Ausschnitt aus einer inzwischen legendären niederländischen Rave-Doku gepostet: Er zeigte „Gabber-Heads“, die bei einer Gabber-Party in dem Zustand interviewt wurden, in dem sie gerade waren – voll auf Pille und weiß Gott was, euphorisch und schwitzig. Der Ausschnitt wurde zwei Millionen Mal aufgerufen, rund 28.000 Mal geliket und war damit erfolgreicher als die meisten anderen Posts der Seite. Dazu passt es, dass Resident Advisor in ihrem Jahresrückblick 2017 als das Jahr ausriefen, in dem Hardcore sein Comeback feierte. Langsam aber sicher finden an Hardcore angelehnte Tracks ihren Weg in die Sets von Techno-DJs von Nina Kraviz oder Kobosil. Techno wird härter. Die Zeichen haben sich verdichtet, dass Hardcore tatsächlich wieder cool werden wird.

Dinge wie die eingangs erwähnte Doku oder die Fotografiereihe Exactitudes, deren erste Serie 35 Porträts von „Gabbers“ waren, trugen zur Bildung eines stereotypen wie mythischen Bildes von Hardcore und Gabber im Mainstream bei. Hardcore, das war in den 90ern vielleicht mal was Neues und cool, aber seitdem war es in der Wahrnehmung der elektronischen Underground-Szene eigentlich in der Versenkung verschwunden. Eigentlich. Denn Hardcore loderte weiter. Vor allem in den Niederlanden, dem Mutterland, war es nie wirklich weg. Ganz im Gegenteil, es bediente weiterhin Massen an Leuten. Thunderdome zum Beispiel, eine der legendären und ersten Partyreihen (oder eher: Massenveranstaltungsreihen) fand bis zum Jahr 2012 jährlich statt. Deren Gründerfirma, ID&T, hat sich inzwischen zu einer der größten Event-Agenturen der Niederlande entwickelt, die etwa das Tomorrowland-Festival veranstaltet. Andere Festivals wie Defqon.1 oder Dominator ziehen jährlich mehrere Zehntausend Besucher an. Marc Acardipane, dessen als Mescalinum United produzierter Track „We Have Arrived“ als einer der ersten Hardcore-Tracks überhaupt gilt, spielt immer noch regelmäßig auf solchen Festivals. „Es sind seit 25 Jahren mehr oder weniger die gleichen Artists. Es ist wie eine Familie. Jeder kennt jeden, was auch seinen Reiz hat. Eine sehr beständige Szene. Vielleicht nicht mehr so der globale Player, aber in den Niederlanden die Macht!“, kommentiert er die Szene.

Trotz seines Massenpublikums dort fristete Hardcore mit seinen Subgenres wie Gabber, Speedcore oder Hardstyle ein Nischendasein. Vor allem vom Underground der elektronischen Clubkultur (beispielsweise dieses Magazins selber) wurde das Genre, ähnlich wie Goa und Trance, lange ignoriert. Das lag wahrscheinlich an musikalischen Aspekten, eine Weiterentwicklung fehlte. Sicherlich spielten auch die negativen Stigmata, die dem Genre zugeschrieben wurden und werden, eine Rolle. Der typische Gabber-Stil – (Halb-)Glatzen, Bomberjacken und Sportklamotten – wurde teilweise von Neonazis übernommen. Somit wurde das in der allgemeinen Wahrnehmung oft vermischt. Dazu kommt, dass die Musik aufgrund ihres schnellen Tempos und des offensiven Tanzstils einschüchternd und aggressiv erscheinen kann.

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