Nun aber haben sich neue Tendenzen im Hardcore gebildet, die das Genre sowohl musikalisch als auch hinsichtlich Einstellung und Inhalten weiterführen. Zunächst einmal ist Hardcore auf einesehr oberflächliche Weise wieder „cool“ geworden. In der High Fashion ist der klassische Gabber-Look der Style der Stunde. Das Pariser Label Vetements verkauft feinste Retro-Trainingsanzüge für über 1000 Euro, der russische Designer Gosha Rubchinskiy entwirft Tracksuits in Kooperation mit Adidas. Mit ihren kantigen, ungeschminkten Gesichtern sehen die Models solcher Marken zwar nicht aus wie mitten im Rave erwischt, aber schon wie drei Tage danach. Somit ist der Stil der Gabber aus der Subkultur ausgetreten, hat Eingang in die modische Hochkultur gefunden und wird nun hinunter in den Mainstream sickern.

Den Status quo der Musik könnte man ähnlich beschreiben. Denn die einleitend erwähnte neue Popularität von Hardcore kommt nicht von ungefähr; es ist ein frischer Wind in die Szene gekommen, der sie gleichzeitig einfacher zugänglich macht. Kollektive sind da am sichtbarsten. Wixapol zum Beispiel, die ein Netzwerk von Hardcore-Partys in ganz Polen mit Retroästhetik und Internethumor aufgebaut haben. In Paris gibt es die „Casual Gabberz“, die seit 2013 regelmäßig Partys veranstalten. Ihr Ansatz jedoch geht über Partys hinaus. Sie haben schon eine Ausstellung über Gabber als Kultur organisiert, und in diesem Jahr war der künstlerische Dokumentarfilm Inutile De Fuir über die Gruppe Anlass für die Gründung ihres eigenen Labels. Eine 51 Tracks starke Compilation, von den „‚harten‘ Genres inspiriert“, zeigt anschaulich, wohin der aktuelle, geupdatete Gabber-Sound geht. Etwas Tempo wird rausgenommen, Elemente wie zum Beispiel die Hoover-Synthie werden herausgepickt und mit abstrakt-verwirrter Bass Music oder Breakbeat kombiniert oder gleich als Schnipsel zu einer neuen Melodie zusammengesetzt. Die Kombination mit French Rap (genannt Frapcore) ist ein spezifisch französischer, wenn auch geschmacklich grenzwertiger Auswuchs. Oft wirken die von Hardcore-Drops transportierten Emotionen in ihrem neuen Kontext noch intensiver, aber auch ein wenig cheesy.

Kilbourne – Groove Podcast 142

Die In-your-face-Radikalität, die schon immer einen zentralen Reiz von Hardcore ausmachte, geht dennoch nicht verloren. Die „neuen“ KünstlerInnen öffnen die Grenzen des Genres und lassen sich dabei von den Konventionen, die seit über 20 Jahren gegolten haben, vielleicht leiten oder inspirieren, möchten es aber nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten. Ashe Kilbourne ist eine dieser KünstlerInnen. Die 25-Jährige produziert unter ihrem Nachnamen unnachgiebigen Hardcore mit vielen Industrial-Einflüssen, voll beißender hoher Synths und verletzlicher Melodien. Ihre letzte EP Sourland (2016) ist eine Visitenkarte dieses Sounds. Inhaltlich ging es laut Kilbourne unter anderem um sexuelle Gewalt, den Schmerz ihrer Geschlechtsangleichung und ihre Transweiblichkeit. Ernste Themen also, die man trotz der Gefühlsintensität der Musik nicht direkt in diesem Genre erwarten würde. Das ist auch das, was Kilbourne zu einem so repräsentativen Teil dieser neuen Generation an Hardcore macht: Sie bringt neue Themen und Haltungen in den Diskurs ein. Falls man vorher überhaupt von einem Diskurs sprechen konnte, denn „vielleicht ist es ein Genre, das diese Konversationen noch nicht so sehr geführt hat“, sagt Kilbourne. Rassismus, Misogynie, Transphobie – das alles sind Themen, die in der House- und Techno-Szene schon länger thematisiert werden, wenn auch oft nicht ausreichend. In der Hardcore-Szene sind sie noch weniger relevant: „Es wird oft angenommen, dass in den Niederlanden alle sehr informiert und gebildet sind. Wenn du bei vielen dieser Festivals Typen fragen würdest: ‚Seid ihr sexistisch?‘, würden sie sicher antworten: ‚Nein!‘ Aber das ganze Ausstellen von Frauenkörpern und das Anmachen von Frauen auf sehr aggressiv sexuelle Weise, ist das ein großer Teil davon? Ja, auf jeden Fall.“ Die legendäre Hardcore-Band Rotterdam Terror Corps zum Beispiel tritt immer mit zwei Stripperinnen auf der Bühne auf. Was inzwischen Kult und natürlich auch Teil der Performance ist, hat trotzdem einen unangenehmen Beigeschmack.

Mehr als unangenehm war für Kilbourne als Transfrau anderes: „Als ich zu Festivals in den Niederlanden gegangen bin, war trans sein definitiv ein Grund für Belästigung und Angst.“ Auch in Sachen Rassismus fehlt es laut Kilbourne oft an Bewusstsein. „Viele der großen Produzenten gerade sind weiß, aber dann guckst du auf die Sampling-Kultur im Hardcore, und vieles davon sind 90s-HipHop-Tracks. Es ist irgendwie verrückt, dass vor allem in den Niederlanden die Kultur so weiß ist.“ Kilbourne hat sich viel mit der strukturellen Benachteiligung von Schwarzen und der Appropriation schwarzer Kultur auseinandergesetzt. Dadurch ist sie überhaupt erst dazu gekommen, sich auf die Produktion von Hardcore-Tracks zu fokussieren. Früher hat sie, obwohl sie Hardcore-Fan war, vor allem Clubmusik gemacht. Auf ihrer selbstveröffentlichten Compilation 18 Songs, 2012-2015 findet man vor allem Philly und Jersey Club. Doch dann begann sie ihre Rolle als weiße Person in einer schwarzen Kunstform zu überdenken: „Ich versuchte einen Weg zu finden, diese Musik als weiße Person auf eine Art und Weise zu machen, die sich nicht anstößig oder gewalttätig anfühlte“, sagt Ashe. Doch den Weg gibt es kaum. Weiße Partypromoter würden tendenziell auch weiße Künstler buchen, „denn wenn weiße Künstler schwarze Kunst machen wird es auf eine Art als grenzüberschreitend oder avantgardistisch angesehen, wie schwarze Künstler, die schwarze Kunst machen, nicht angesehen werden.“

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