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Lehmann Club: „Als Club musst du heutzutage mehr bieten als eine Anlage und ein bisschen Sound”

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Der Lehmann Club ist mittlerweile seit über 14 Jahren ein wichtiger Bestandteil des Stuttgarter Nachtlebens. Nicht nur lokale Künstler:innen, sondern auch Star-DJs wie Chris Liebing oder Adam Beyer standen schon hinter den Decks des stählernen Techno-Bunkers. Neben dem Clubbetrieb hat sich über die Jahre ein Gesamtkonzept aus Studio, Label, Agentur, Vernissagen und Tattoostudio aufgebaut.

Im Interview mit GROOVE-Autorin Franziska Nistler erzählen Geschäftsführer Sebastian Simon und Booker Raphael Dincsoy, wie aus anfänglichem Flyerverteilen bei Minusgraden schließlich Kollaborationen mit Stuttgarter Kollektiven wie Vision Ekstase, NewKids, Wohnzimmer und Halbwelt entstanden. Ferner erfahrt ihr, warum der Club bei seiner ersten Silvesterparty genau zu Mitternacht schließen musste und wie Rockmusik und Walgesang den heutigen Sound des Lehmanns formten.

Donnerstagmittag an der Haltestelle Berliner Platz (Liederhalle). In nicht einmal 36 Stunden stehen hier im Bosch-Areal im Süden Stuttgarts wieder Hunderte feierwütige Partygäste fröhlich-beschwipst in der Schlange und warten darauf, dass die heiligen Hallen ihre Pforten öffnen und die nächtlichen Exzesse beginnen. Von alldem Getümmel fehlt heute jede Spur. Nur die unscheinbare Aufschrift „Lehmann Club” an den geschlossenen Türen weckt Erinnerungen. Im Club selbst ist es ungewohnt still und leer. Es bleibt Zeit, sich mal in Ruhe und mit klarem Verstand jedes Detail des „rauen Kellerlochs”, wie Geschäftsführer Sebastian Simon das Lehmann liebevoll nennt, anzusehen. „Als wir damals hier rein sind, haben wir erst einmal acht Tonnen Schutt rausgeklopft, um schließlich das Lehmann reinbauen zu können”, erzählt Raphael Dincsoy, Resident-DJ und Booker seit der Geburtsstunde des Clubs.

Die während der Pandemie neu gebaute DJ-Booth auf der Tanzfläche (Foto: Franziska Nistler)

Nach dem Eingang geht es eine steile, dunkle Treppe hinauf. Durch den schweren Plastikvorhang hindurch geschlängelt, und schon steht man auf der Tanzfläche. Vor einigen Jahren gab es noch einen zusätzlichen kleineren Floor, doch mittlerweile werden ausschließlich die Decks auf dem größeren Mainfloor bespielt. Links und rechts von der Tanzfläche befindet sich jeweils eine Bar – die eine mit einer stählernen Kugelbahn verziert, die andere mit verschiedensten Zahnrädern an der Wand geschmückt. Die DJ-Booth steht mitten auf der Tanzfläche und ist von einem eisernen Käfig umgeben. Überhaupt erinnert das Innenleben des Clubs mit seinen massiven Betonsäulen an ein Industriegebäude oder eine Fertigungshalle, die durch viele liebevolle Details keinesfalls kalt und seelenlos wirkt.

Raphael Dincsoy, Booker des Lehmann (Foto: Presse)
Raphael Dincsoy, Booker des Lehmann (Foto: Presse)

Heute ist das Lehmann nicht nur inner-, sondern auch außerhalb Stuttgarts der wohl bekannteste Techno-Club der baden-württembergischen Landeshauptstadt. „Unser Fokus liegt auf Techno und allem, was zum Kosmos dazugehört. Wenn man das mit den meisten anderen Clubs hier vergleicht, haben wir schon ein Alleinstellungsmerkmal, vor allem über den langen Zeitraum”, so Dincsoy. Die Beständigkeit des Clubs macht das Lehmann umso besonderer, wenn man bedenkt, dass auch Stuttgart in den letzten Jahren von diversen Clubschließungen betroffen war. Egal ob Zollamt, Club Toy oder zwischenzeitlich auch das Romy S., am Ende des Tages vertrauen viele Raver:innen auf den Claim des Lehmann: There is a Home for Techno.

„Das Kernteam ist von Anfang an dasselbe”

Raphael Dincsoy

Doch nicht nur die Location gibt es seit über einem Jahrzehnt, auch die Menschen, die dahinterstehen, arbeiten seit der Eröffnung des Clubs im Jahr 2009 in selber Besetzung. „Wir sind hier zu dritt gestartet. Basti als Chef, Siggi als Nightmanager und ich als Booker. Über die Jahre sind wir natürlich gewachsen, aber das Kernteam ist von Anfang an dasselbe”, erinnert sich Dincsoy. Für Clubbetreiber Sebastian Simon beruht der Erfolg des Lehmann nicht zuletzt auf den engen Freundschaften zwischen allen Mitarbeitenden. Sollte das irgendwann nicht mehr so sein, würde es das Lehmann seiner Meinung nach nicht mehr geben. Dass es dem Club gelingt, dem Publikum ein Gefühl von Zuhause und Vertrautheit zu vermitteln, spiegelt sich auch auf den Veranstaltungen wider.

Sebastian Simon, Geschäftsführer des Lehmann (Foto: Presse)
Sebastian Simon, Geschäftsführer des Lehmann (Foto: Presse)

Obwohl das Lehmann von vielen Gästen außerhalb Stuttgarts besucht wird, bleibt der harte Kern an Stammkund:innen gleich. „Es ist schon eine homogene Feiergemeinschaft. Wenn man hier arbeitet, kennt man eigentlich immer die Hälfte der Leute, die kommen”, so der Betreiber. Trotz früherer Freitagsveranstaltungen mit Rockmusik hat das Lehmann vor langer Zeit den Weg hin zu einer ausschließlichen Ausrichtung an elektronischer Musik eingeschlagen. Heute strebt der Club nicht danach, für einen ganz bestimmten Sound zu stehen, sondern will verschiedene Genres präsentieren und ausprobieren. „Die Clubnacht an den Samstagen ist schon eher klassisch-puristisch Techno. Mal ist es ein bisschen härter, mal ein bisschen grooviger und mal reduzierter. Freitags sind wir bewusst flexibler und bieten eine Mischung aus verschiedenen Stilrichtungen”, erklärt Dincsoy.

Bei den wöchentlichen Clubnächten verfolgt das Lehmann ein einheitliches Konzept: drei DJs, davon zwei Residents und ein Gast, à drei Stunden Playtime. So sollen sowohl die clubeigenen DJs als auch neue Künstler:innen die Gelegenheit erhalten, sich bestmöglich zu präsentieren. Es soll ein Raum geschaffen werden, in dem sie sich frei entfalten können und der ihnen ein Zuhause für ihre kreativen Ideen bietet. Gleichzeitig wird versucht, ein Erlebnis zu gestalten, das Menschen anzieht und begeistert, unabhängig davon, wer hinter den Decks steht. „Für uns ist es ganz wichtig, dass die Leute wegen des Programms und der Gemeinschaft kommen. Wenn die Gäste nur noch wegen der DJs kommen, hast du ein riesiges Problem, weil dein Laden dann abhängig davon ist, wie die Booking-Agenturen die Gagen festlegen”, so Sebastian Simon.

Eine der beiden Bars mit Kugellager-Detail im Hintergrund (Foto: Franziska Nistler)

Laut dem Clubbetreiber sei dies darauf zurückzuführen, dass internationale Künstler:innen oft mehr Aufmerksamkeit genießen und in anderen Ländern erheblich höhere Gagen erhielten. Mittlerweile könne man sich sicher sein, dass ein:e DJ, die zu „den entsprechenden Agenturen wandert”, unbuchbar für einen Gig in Deutschland werde, so Simon. „Viele werden auch sehr schnell groß. Bevor wir sie einmal buchen konnten, haben sie die Preisklasse, die für uns akzeptabel wäre, schon wieder verlassen”, ergänzt Dincsoy.

Vom Prag ging es ins Lehmann

Über die Jahre konnten jedoch auch enge Freundschaften zwischen Künstler:innen und Agenturen geschlossen werden, sodass zahlreiche renommierte DJs, weil man sie auf ihrem musikalischen Weg begleitet hat, nach wie vor gerne ins Lehmann zurückkehren. „Da kann ich vor allem Max, also Kobosil, hervorheben, der sich immer für unseren Support bedankt hat. Wenn solche Gesten zurückkommen, obwohl du weißt, dass er es finanziell nicht mehr nötig hätte, in Deutschland zu spielen, freut mich das total”, so Simon.

Um von vielen Gästen und Künstler:innen heute als eine Art zweite Heimat betrachtet zu werden, musste sich der Lehmann Club diesen Status erst einmal erarbeiten. „Man muss ehrlich sagen: Unser Start war eine Katastrophe”, so Dincsoy. Vor der Eröffnung des Lehmanns betrieb Sebastian Simon bereits über zwölf Jahre den Stuttgarter Club Prag, in dessen letzten beiden Jahren auch Raphael Dincsoy als Booker tätig gewesen war. Die beiden beschreiben den Club an der Heilbronner Straße als einen Ort, den ein „eingeschworener Haufen an Gästen” bewusst aufsuchte, weil er damals für einen bestimmten roughen und harten Sound stand. Als er 2009 schließlich abgerissen wurde, musste eine neue Location her. Doch wo heute das Lehmann steht, befand sich damals das M1.

„Wenn die Gäste nur noch wegen der DJs kommen, hast du ein riesiges Problem, weil dein Laden dann abhängig davon ist, wie die Booking-Agenturen die Gagen festlegen”

Sebastian Simon

Dincsoy beschreibt den Club als das genaue Gegenteil des Prag: „Es war fancy. Dort spielten DJs wie Sven Väth und Marco Carola. Bei uns war aber alles dunkel und dirty.” Daher mussten sie den ehemaligen Club-Prag-Liebhaber:innen erst einmal zeigen, dass sie mit dem Lehmann etwas völlig Neues zu gestalten vermochten, das nicht in die Fußstapfen der früheren M1-Location treten sollte.

„Ich erinnere mich, dass wir bei unserer ersten Silvesterparty um 0 Uhr schließen mussten und selbst auf andere Partys gegangen sind, weil keine Sau kam”, erzählt der heutige Lehmann-Geschäftsführer. Mit einer Prag-Revival-Party erzielten sie schließlich den Durchbruch, und die zuvor eher verhaltenen Gäste ergriffen die Gelegenheit, den neuen Club näher kennenzulernen. Das Lehmann erhielt durch monatliche Residencys auch Unterstützung von verschiedenen Künstler:innen und Labels, darunter Chris Liebings CLR und Adam Beyers Drumcode. So erarbeitete man sich trotz anfänglichen Startschwierigkeiten Stück für Stück seinen heutigen Platz im Stuttgarter Nachtleben. „Ich hatte viele Diskussionen mit meinen damaligen Partnern, warum man den Club überhaupt weiter betreiben sollte. Aus finanzieller Sicht war er einfach ein unfassbares Minusgeschäft”, erinnert sich Simon.

„Als Club musst du heutzutage mehr bieten als nur eine Anlage und ein bisschen Sound”

Sebastian Simon

Dincsoy erstellte die Plakate für die Partys mit Photoshop und fuhr anschließend trotz Minusgraden mit dem Auto durch Stuttgart, um Glascontainer zu bekleben. Das sei eben damals die Art gewesen, wie man Werbung gemacht habe, erzählen beide lachend. Mit Facebook kam schließlich eine große Wende. Die sozialen Medien hatten plötzlich in der Hand, ob eine Party funktioniert oder nicht. Denn wenn du kein Geld für Facebook ausgeben wolltest, wusste keiner, welche Veranstaltung in deinem Club stattfindet. „Mir wäre es am liebsten, alles abzuschalten. Die Leute sollen einfach vorbeischauen und sehen, was wir für ein Programm haben, aber da braucht es viel Mut dafür. Denn wenn es nicht klappt, kommst du nicht wieder zurück”, sagt Simon.

Mittlerweile steht hinter den Social-Media-Posts ein kompetentes Fotograf:innen- und Videoteam. Laut Clubbetreiber könne man damit Gefühle einfach besser transportieren als allein mit der Musik. Auch wenn Sebastian Simon sich nach der Zeit zurücksehnt, in der die Internetpräsenz noch keinen so hohen Stellenwert hatte, versteht er, dass man heutzutage visuell gut aufgestellt sein muss: „Einfach nur ein paar halblebige Schnipsel reinzupacken wird keine Sau interessieren. Damit wirst du niemanden erreichen, und dann erreicht auch die Musik niemanden.”

Was damals mit ein paar selbstgebastelten Plakaten begann, hat sich inzwischen zu einem umfassenden Gesamtkonzept entwickelt. Heute versteht sich das Lehmann nicht nur als Club, sondern vor allem als kreativer Space, bestehend aus Studio, dem clubeigenem Label Lehmann Musik, der Agentur Labor Lehmann, diversen Vernissagen sowie dem Tattoostudio Körperwerk. „Als Club musst du heutzutage mehr bieten als nur eine Anlage und ein bisschen Sound”, ist Sebastian Simon überzeugt.

„Wir versuchen Leuten eine Plattform zu geben, die normalerweise keine haben.”

Sebastian Simon

Simon ist es besonders wichtig, immer offen für Neues zu bleiben und nie den Mut zu verlieren, etwas auszuprobieren. Egal ob musikalisch oder ästhetisch: „Wir sind kein Gemischtwarenladen, bei uns gibt es keine Latin Night. Dennoch versuchen wir, Leuten eine Plattform zu geben, die normalerweise keine haben.”

Raphael Dincsoy erinnert sich an den Tag, an dem David Löhlein vor dem ehemaligen Lehmann-Büro im Stuttgarter Westen stand, seinen Wunsch äußerte, sich gerne noch weiter entfalten und kreativ ausleben zu können, und daher seine Ideen besprechen wolle. Die Drei kannten sich zuvor nur flüchtig aus dem Nachtleben, aber hatten keine großartigen Berührungspunkte. Dennoch hat sich Löhlein schnell in die „Harte Kern-Gemeinschaft” integriert. „Es hat einfach gepasst”, so Dincsoy.

Doch bevor die inzwischen über die Stadtgrenzen von Stuttgart hinaus bekannte Veranstaltung „Vision Ekstase” ins Leben gerufen wurde, erforderte es einige mehr oder weniger erfolgreiche Experimente, bis die Eventserie das aktuelle harmonische Zusammenspiel aus Dekoration, Atmosphäre, musikalischer Ausrichtung und Künstler:innen erreichte. Lachend erinnert sich Simon daran, wie er eines Tages vor dem Lehmann Club stand und plötzlich eine riesige, schwebende Qualle vorfand: „Aus irgendeinem Grund hatte David eine gigantische Deko-Qualle gekauft, und als wir in den Club gingen, hörten wir Walgesang. Da meinte ich zu ihm, dass das schon ziemlich seltsam sei.”

Das Symbol der Vision Ekstase, das auf den Veranstaltungen im Club aufgestellt wird (Foto: Franziska Nistler)

2018 fand die erste Veranstaltung der Partyreihe statt. Letztes Jahr feierte sie also bereits ihr fünfjähriges Jubiläum. Auf sozialen Netzwerken wird die Veranstaltung als frei und hedonistisch inszeniert und das Feiererlebnis selbst als rauschartiges Ritual beschrieben. Als die „Vision Ekstase” ins Leben gerufen wurde, legten DJs auf regulären Clubnächten noch in der erhöhten DJ-Booth auf. Das war auch in den anderen Stuttgarter Clubs gang und gäbe. Oftmals tummeln sich hinter dem Pult viele Freunde des Acts, wodurch eine eigene kleine Party steigt, von der das Publikum unten auf der Tanzfläche nur aus der Ferne etwas mitbekommt.

Auf der „Ekstase” stand David Löhlein auf einmal mitten in der Menge hinter den Decks. Es gab keine anhimmelnden Fans, die nach oben zur Kanzel blickten. Es war mehr eine Party unter Freunden. Für den Moment war keiner auf der Tanzfläche wichtiger als der andere. Alle fühlten sich frei und tanzten oben ohne, unabhängig vom Geschlecht. Plötzlich beschränkte sich der Blick nicht mehr nur auf den DJ, der nach unten auf seine Tasten und Knöpfe schaute. Stattdessen wirbelten alle im Kreis um die Anlage herum, während fremde Menschen sich beim Tanzen direkt in die Augen blicken konnten und die Stimmung so immer weiter an Fahrt aufnahm.

„Je früher du erkennst, dass du als 44-Jähriger nicht mehr der Nabel der Welt bist, desto besser ist es für den Laden.”

Sebastian Simon

Für Dincsoy liegt der Erfolg der Veranstaltung darin begründet, dass sie ein tiefes Gemeinschaftsgefühl erzeugt. „Zum einen hat das Kollektiv, das dahinter steht, eine große Reichweite aufgebaut. Zum anderen haben auch wir als Club unseren Teil dazu beigetragen, weil wir die Spielfläche bieten und gemeinsam mit ihnen an dem Projekt arbeiten.” Auch der überregionale und internationale Durchbruch der beiden DJs David Löhlein und Rove Ranger trägt den Namen der „Vision Ekstase” immer weiter.

Neben der engen Verbindung zum Kollektiv pflegt das Lehmann auch Kollaborationen mit lokalen Labels wie NewKids Records, Halbwelt oder Wohnzimmer. Denn die langjährige Zusammenarbeit der eingeschworenen Lehmann-Crew birgt auch die Gefahr, irgendwann betriebsblind zu werden. Daher ist es für Dincsoy und Simon sehr wichtig, dass neue junge Menschen in ihr Team integriert werden und frischen, kreativen Input einbringen. „Je früher du erkennst, dass du als 44-Jähriger nicht mehr der Nabel der Welt bist, desto besser ist es für den Laden. Man muss die Zügel aus der Hand geben und sagen ‚Pass auf, ich vertraue dir, dass du etwas Gutes machst’”, so der Clubbetreiber lachend.

Was läuft im Lehmann?

Obwohl der Fokus der unterschiedlichen Veranstaltungen auf „der Nacht, dem Moment und dem Sound” liegen soll, versucht sich das Lehmann äußerlich stets weiterzuentwickeln. Etwa alle zwei bis drei Jahre wird der Club umgebaut. In den heiligen Hallen selbst fallen besonders die massiven Säulen ins Auge. Sie verkörpern einen bestimmten industriellen Stil, an dessen Strukturen sich auch der Rest der Einrichtung entlang hangelt. „Alles, was hier gebaut wurde, sind Einzelstücke, die unser Stahl-Künstler nur für uns gebaut hat. Auch die Kugelbahn oder die Zahnradkonstruktion hinter der Bar”, erklärt Raphael Dincsoy.

Die größte räumliche Veränderung, die während der Pandemie am Club vorgenommen wurde, war die Neugestaltung der DJ-Booth. Früher sei sie mehr „oldschool”, also etwas erhöht und weiter weg vom Publikum gewesen. Sebastian Simon erinnert sich an den mittlerweile geschlossenen Cocoon Club in Frankfurt, bei dem die Entfernung der Gäste zur DJ-Kanzel so groß war, dass man ein Fernglas gebraucht hätte, um die Künstler:innen überhaupt zu erkennen. „Es ist nicht mehr zeitgemäß, dass der DJ von den feiernden Gästen abgekoppelt ist. Wir wollen das Gefühl vermitteln, dass wir alle zusammen sind. Dass die Gäste jetzt mittendrin sind, ist für uns immer noch das größte Highlight.”

Während der Pandemie hat sich jedoch nicht nur der Club selbst verändert, sondern auch die Musik und das Publikum. Momentan ist vor allem der schnelle und harte Techno-Sound bei der jüngeren Generation sehr beliebt und präsent. Dennoch versucht das Lehmann, dazu Gegenpole zu schaffen, um nicht zu einheitlich zu werden. Eventreihen wie „Halbwelt” sollen daher auch den „neuen” Sound abbilden, egal ob trancy, electroid oder breakbeatlastig. „Stuttgart hat eben eine recht kleine Szene, und es dauert manchmal ein bisschen, bis ein Sound, der beispielsweise in Berlin schon funktioniert, auch hier ankommt”, so der Lehmann-Resident. Doch gerade das junge Publikum ist seiner Meinung nach sehr offen für neue Musikrichtungen.

„Wir wollen abbilden, was gerade in der Szene passiert, und viele queere Künstler:innen einladen.”

Raphael Dincsoy

Tatsächlich sei vor der Pandemie alles ein bisschen festgefahren gewesen. Wenn du nicht den typischen Berghain-Sound gespielt hast, warst du automatisch uncool. Denn so schlimm die Pandemie auch für Clubs war, habe sie die Szene umgekrempelt und die Karten zu Recht neu gemischt. „Du hast die Augen schließen können und wusstest, welches Festival-Line-up gebucht wird. Es waren immer die gleichen Namen, und dadurch wirkte es einfach ausgelutscht”, so Sebastian Simon. Heute wehe dagegen ein frischer Wind.

Zu diesem gehören DJ-Workshops und gezielte Aufrufe zur Förderung weiblicher Künstlerinnen, um der Clubszene neue, moderne Impulse zu verleihen. Inzwischen gebe es auch in Stuttgart viele neue weibliche DJs. „Tamara Wirth wollen wir als neue Resident aufbauen, aber auch Nessi, eine Mitarbeiterin von uns, spielt richtig gut”, so Simon. Generell sei es für die beiden wichtig, das abzubilden, was musikalisch gerade in der Szene passiert und dabei auch viele queere Künstler:innen einzuladen, sodass nach draußen transportiert wird, wofür das Lehmann stehen soll.

Was zunächst wie ein dunkler Keller inmitten eines Einkaufszentrums in der Stuttgarter Innenstadt aussieht, entpuppt sich als durchdachtes Konzept mit einer Fülle liebevoller Details. Die Beständigkeit des Lehmann trägt einen wichtigen Teil zur wackligen Clubszene Stuttgarts bei. Für die Zukunft wünschen sich die beiden Urgesteine, dass der Club noch viele Jahre seine Pforten öffnet und die hauseigene Agentur Labor Lehmann weiteren Zuwachs bekommt.

Damit nach DJs wie Rove Ranger und David Löhlein die nächsten Künstler:innen nachkommen, mit denen der Club eine ähnlich aufregende musikalische Reise antreten kann. „Für mich als DJ sind die schönsten Gigs nach wie vor hier, weil ich mich musikalisch austoben kann und die Gäste offen dafür sind, mir zu vertrauen und sich auch mal überraschen zu lassen”, so Raphael Dincsoy.

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