Fotos: Presse
Zuerst erschienen in Groove 127 (November/Dezember 2010).
Ende 2010 war Brian Eno das zugleich das jüngste und das älteste Mitglied der Warp-Familie. Gerade ewar bei dem Londoner Label erstmals ein Album des 62-Jährigen erschienen, der wie kaum ein anderer die Musikproduktion der vergangenen Jahrzehnte beeinflusst hat. Wir besuchten den Pionier der elektronischen Musik damals in seinem Studio, das sich in einem versteckt gelegenen ehemaligen Pferdestall im Londoner Stadtteil Notting Hill befindet.
„How do you do?“ Brian Enos Begrüßung fällt ebenso freundlich wie britisch aus. Gerade hat er noch ein paar Bio-Muffins besorgt und das Wasser für die Ceylon-Kardamom-Teemischung aufgekocht, jetzt zeigt er dem Gast seinen Arbeitsplatz. Der erinnert zunächst stärker an eine Bibliothek als ein Musikstudio. Thematisch geordnet reihen sich tausende von Büchern (Architektur, Poesie, Orte und Reisen, Zukunftstheorien, Geschichte…) aneinander. Selbst die Klolektüre – ein Band des englischen Bildhauers Antony Gormley, ein Werk des kanadischen Philosophen Marshall McLuhan und die Memoiren eines Erotik-Buchhändlers – ist ausgesucht eklektisch. An der Wand stehen mehrere „Monochords“ genannte Krachmaschinen: meterlange Holzblöcke, auf denen eine elektrisch verstärkte Saite befestigt ist, die Eno für eine Klanginstallation hat bauen lassen. Erst in einem kleineren Nebenraum findet sich das eigentliche Studio samt Archiv, in dem sich nach letzter Rechnung „6,9 Tage unveröffentlichter Musik“ befinden. Das meiste davon von sei allerdings nicht sonderlich gut, meint Eno: „Schließlich ist das Material nicht ohne Grund noch nicht erschienen.“
Dabei reicht schon Enos veröffentlichter Output für mehrere Karrieren: Er war Gründungsmitglied und Synthesizerspieler von Roxy Music, prägte den Sound der ersten Talking-Heads-Alben und zeichnete mitverantwortlich für David Bowies Berlin-Trilogie (ja, und auch für einen Großteil der U2-Alben). Eno erkannte als einer der ersten, dass das Studio nicht nur ein Ort zum Aufnehmen von, sondern auch zum Schaffen von Musik ist – und legte damit erst die Grundlage für heutige digitale Laptop-Produktionen. Er schuf mit Ambient ein ganzes Genre, komponierte den Windows-95-Sound und programmierte mit Bloom eine der bislang besten Musik-Apps für das iPhone. Sein Album My Life In The Bush Of Ghosts nahm die Praxis des Sampling vorweg, verband erstmals elektronische mit afrikanischer und arabischer Musik und beeinflusste maßgeblich Musiker wie Prince, Public Enemy oder Aphex Twin. Doch trotz alledem bezeichnet sich Brian Eno auch heute noch, nach mittlerweile 40-jähriger Karriere, als „Nicht-Musiker“, der kein einziges klassisches Instrument beherrscht.
Herr Eno, Ihre neue Platte Small Craft On A Milk Sea erscheint bei dem britischen Label Warp. Wie kam es dazu, dass Sie nun dort Platten veröffentlichen?
Ich liebe Warp und habe das schon immer getan. Ich mag die Künstler, die das Label repräsentiert. Ich mag das Spektrum, mit dem sich Warp auseinandersetzt. Besonders mag ich Aphex Twin und Battles. Beide sind typische Warp-Künstler und ganz nach meinem Geschmack. Ich habe ziemlich viele Alben von Warp in meiner Sammlung, und ich habe eine ganze Reihe von Ideen für eigene Alben, von denen ich denke, dass sie bei Warp gut aufgehoben wären.
Sie bezeichnen Ihr neues Album als einen „Film-Soundtrack ohne Film“. Diese Beschreibung ist ein Klischee für instrumentale elektronische Musik.
Mag sein, aber das ist etwas, das mich schon sehr lange beschäftigt. Durch Zufall lernte ich etwa die Musik aus Fellinis Filmen kennen, bevor ich die Filme sah. Den Soundtrack zu Julia Und Die Geister (1965) liebte ich sofort, als ich ihn hörte. Die Musik ist von Nino Rota, und sie ist fantastisch. Sie besteht eigentlich nur aus zwei Stücken, die in verschiedenen Versionen wiederholt werden. Da gibt es dann etwa die traurige Harfen-Fassung oder die lebhafte Blechbläser-Version. Für mich als junger Musiker war dieser Gedanke sehr, sehr interessant: dass man ein Skelett haben und darauf dann viele verschiedene Arten von Haut legen kann. Interessant für mich war auch, dass ich diese Musik so oft hörte, dass ich mir mithilfe der Songtitel meinen eigenen Film dazu vorstellte, der – wie sich später herausstellte – natürlich nichts mit Fellinis Film gemein hatte. Was ich dabei lernte, war, dass man Musik dadurch bewegender machen kann, dass man etwas wegnimmt. In diesem Fall war es der Film, der der Musik entzogen wurde. Dadurch wurde meine Fantasie angeregt. Das hatte auch damit zu tun, dass Ende der sechziger Jahre die meisten Leute dank Stereoanlagen erstmals die Möglichkeit hatten, Musik in relativ guter Qualität bei sich zu Hause zu hören. Und das änderte auf fundamentale Art und Weise alles an Musik. Wenn du Musik nicht mehr an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt hören musstest, sondern sie mit zu dir nach Hause nehmen und immer und immer wieder hören konntest, ging sie gewissermaßen in deinen Besitz über. Dadurch mussten sich die Komponisten neu mit ihrer Musik auseinandersetzen.