Heute gibt es wieder einen grundsätzlichen Wandel davon, wie Musik gehört wird.
Die Musik ist flüssiger geworden. Ähnlich wie das Lesen. Ich habe festgestellt, dass sich mein Leseverhalten stark geändert hat. Wenn ich heute ein Buch lese, lese ich eher so, wie ich im Internet lese. Ich fange nur noch selten auf Seite eins an und lese dann bis zum Ende durch. Ich schlage eher das Inhaltsverzeichnis auf und gehe dann zur Mitte und wieder zurück. Aber das geschieht nicht beliebig. Ich glaube, man entwickelt ganz gute Antennen dafür, was man lesen will. Und ich denke, etwas Ähnliches passiert auch mit der Musik. Das macht es natürlich schwieriger für die Leute, die Musik veröffentlichen. Weil sie nicht wissen, wie Leute etwas hören werden, und ob es überhaupt noch sinnvoll ist, sich bei der Zusammenstellung der Liedabfolge eines Albums Mühe zu geben, wenn sich kaum einer noch auf diese Art ein Album anhört. Das trifft sogar auf mich zu. Ich höre zwar nach wie vor sehr gern CDs, weil ich das Medium mag, aber ich höre mir Alben fast immer im Random-Shuffle-Modus an, weil ich überrascht werden möchte.

Warum erscheint das neue Album dann als CD?
Ich mag CDs, aber ich mag vor allem auch Credits. Wenn man Sachen etwa in iTunes runterlädt, sieht man keine Credits. Das ist eine Schande. Und selbst wenn es ein digitales Booklet gibt, kann man die Credits nicht finden.

Berücksichtigen Sie bei Ihrer Arbeit auch, dass heute viele Leute die Musik in eher schlechter Audioqualität hören, nämlich in Form komprimierter Musikdateien?
Ja, ich mache eigentlich immer MP3-Versionen von meinen Stücken, um zu hören, wie das klingt. Aber ich fürchte, meine Ohren sind mittlerweile ziemlich taub, weil ich meist Schwierigkeiten habe, den Unterschied zwischen einer MP3-Datei und einer Aufnahme, die direkt aus dem Studio kommt, zu erkennen. Manchmal kann ich das, aber ich finde, MP3s sind besser als ihr Ruf.

Können Sie ein Beispiel dafür geben, wie sich veränderte Hörgewohnheiten auch in Ihrer Arbeit niederschlagen?
Zurzeit helfe ich Fela Kutis Sohn Seun beim Abmischen eines Albums. Er tourt mit den Resten von Felas Band und neuen Mitgliedern. Kurz bevor ich mir seine neuen Aufnahmen anhörte, lief gerade ein neues R’n’B-Album bei mir. Plötzlich fand ich, dass die Kuti-Aufnahmen zwar großartig und aufregend klingen, aber auch sehr unaufgeräumt. Ich stand vor der Frage, was ich tun sollte. Sie so lassen, weil sie ein Livedokument sind, oder – wir leben schließlich im Jahr 2010 – sie so sorgfältig und clean klingen lassen wie diese neuen R’n’B-Produktionen? Das ist natürlich zunächst eine große ideologische Frage: Entscheidet man sich für die natürliche, organische Variante? Oder für die gentechnisch veränderte Variante? Ich entschied mich für Letzteres, zumindest für einen Song, um das mal auszuprobieren. Ich wollte dieses Afrobeat-Stück nehmen und es so perfekt und frisch machen wie diese R’n’BTracks, wo jeder einzelne Moment vorsichtig abgewogen wird. Ich habe mal Will.i.am von den Black Eyed Peas eine Nacht lang bei seiner Arbeit zugesehen. Das war absolut faszinierend. Er verbrachte eine ganze Nacht – von 20 Uhr bis 5 Uhr am nächsten Morgen – damit, durch einen fünf Minuten langen Drumtrack zu gehen und die einzelnen Beats per Maus so zu verschieben, dass sie leicht neben dem Takt liegen – und damit wie von einem Menschen gespielt. Man kann so etwas natürlich von einer Software korrigieren lassen, so etwas nennt sich „Humanizer“. Aber Will.i.am verschob die Beats einzeln mit der Hand. Ich dachte: Wahnsinn, das ist eine völlig neue Art von Handwerk. Es gibt ein Publikum, das sich daran gewöhnt hat, diese Präzisions-Musikproduktionen zu hören. Dasselbe habe ich mit dem Seun-Kuti-Track versucht. Eine Art Kraftwerkisierung von Kuti. Er hat es noch nicht gehört, aber ich bin gespannt, was er davon hält.

Haben Sie auch für Ihr eigenes neues Album Small Craft On A Milk Sea neue Möglichkeiten in der Musikproduktion ausprobiert?
Ja, aber das passiert fast automatisch. In der klassischen Musik gab es Klangrevolutionen ungefähr alle vierzig Jahre. Als Steinway etwa das dritte Pedal am Flügel erfand, war das ein ungeheurer Durchbruch. Komponisten wie Debussy schrieben eine Menge neuer Stücke. Heute finden Veränderungen dieser Tragweite fast jeden Tag statt. Das ist wie das Mooresche Gesetz: Die Soundmöglichkeiten verdoppeln sich alle paar Monate. Als ich anfing, machte ich Tapeexperimente. Leute fanden heraus, dass man Tonbänder auf halber Geschwindigkeit laufen lassen konnte. Das war damals eine Revolution! Heute passiert so etwas ständig, und das Problem ist eher, dass niemand mehr mit den Entwicklungen Schritt halten kann. Man ist die ganze Zeit damit beschäftigt, die Neuerungen zu verdauen. Auf dem neuen Album haben wir zum Beispiel viel Software von Michael Norris eingesetzt, einem Komponisten, der Processing-Tools erstellt, Dinge also, bei denen man an einem Ende einen Sound eingibt und am anderen Ende etwas völlig Anderes rauskommt. Als Komponist muss man sich dann überlegen, was man mit so einem neuen Werkzeug anfängt. Leo Abrahams, der Gitarrist, mit dem ich für dieses Album zusammengearbeitet habe, gibt seine Gitarrensounds in diese Tools ein, und heraus kommt etwas, das ganz anders klingt. Auf dem Album wird fast auf jedem Stück Gitarre gespielt, nur dass es nicht so klingt. Der harsche Beat auf „Flint March“ etwa wurde auf Gitarre eingespielt.

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