Woche für Woche füllen sich die Crates mit neuen Platten. Da die Übersicht behalten zu wollen, wird zum Fulltime-Job. Ein Glück, dass unser Fulltime-Job die Musik ist. Jeden Monat stellt die Groove-Redaktion zur Halbzeit fünf ganz besondere Alben vor, die es unserer Meinung nach wert sind, gehört zu werden. Dieses Mal mit Answer Code Request, Fischerspooner, Rhye, Ripperton und Wolf Müller & Niklas Wandt – ganz neutral in alphabetischer Reihenfolge.
5. Answer Code Request – Gens (Ostgut Ton)
Hardcore Continuum, Detroiter oder Berliner Techno? Das war nie die Frage für Answer Code Request und wenn doch, wusste der Berghain-Resident schon immer die Antwort darauf: Alles zusammen bitte, in möglichst kohärenter Form. So auch auf seinem Zweitwerk Gens, das zwischen wunderbar dubbigen Steppern (“Sphera”), rütteligem Techno (“Ab Intus”) und Jungle-Anleihen (“Cicadae”) sowie spielerischen Ambient-Flächen (“Orarum”, “Mora”, “An Unattainable Distance”) und sogar Electro-Elementen (“Res”) den common ground zwischen Club und Home Listening im Dance Music-Weltbürgertum findet.
Das lässt sich mal wieder als Bruch mit dem Berliner 4/4-Diktat interpretieren, ist eben aber seit jeher die Stärke von Answer Code Request gewesen. Nicht zuletzt spielt er mit Gens auch den stilistischen Bandbreitenerweiterungsmaßnahmen seines Labels Ostgut Ton in die Hände. Das nämlich bildet schon seit geraumer Zeit weit mehr als das Geschehen auf den hauseigenen Dancefloors ab. Internationalität war schließlich mal der treibende Motor auf der Suche nach einer gemeinsamen final frontier. Gens nimmt diesen impliziten Utopieanspruch mehr als überzeugend auf. (Kristoffer Cornils)
4. Fischerspooner – SIR (Ultra Music)
Irgendwann waren die Glittervorräte aufgebraucht, wurden die Nasen ausgespült und Electroclash war am Ende angekommen. Die Überlebenden zogen weiter. So auch Fischerspooner. Casey Spooner kümmerte sich nach der letzten Platte des New Yorker Duos unter anderem darum, R.E.M. unter die Arme zu greifen, deren Frontmann Michael Stipe nun bei der unerwarteten Rückkehr des Projekts hinter den Reglern saß.
Der Sound von SIR geht dementsprechend weniger auf die Zwölf denn vielmehr auf die Herzmuskulatur: Fischerspooner versuchen sich an einem geradezu zarten, stellenweise R’n’B-affinen Popsound, der die von Hits wie „Emerge“ gewohnte Kratzigkeit weitestgehend zum Nebeneffekt degradiert und sich aufs Songwriting konzentriert. Amore statt Amoklauf.
„Now go, have fun without me / you know that I’ll be here“, singt Spooner versöhnlich, macht es sich statt auf dem Dancefloor im Studio gemütlich und widmet sich launischer Introspektion. Nach Electroclash in Würde altern, es geht also doch. Peaches, take note. (Kristoffer Cornils)
3. Rhye – Blood (Loma Vista)
Wer die entschleunigte Musiken von The xx, den Junior Boys oder Konsorten nicht mehr hören kann, sollte lieber gleich zur nächsten LP klicken. Der Rest wird sich vielleicht an Woman erinnern, dem Debütalbum von Rhye, das 2013 zu einem Zeitpunkt erschien, als die Alternative-R’n’B-Welle gerade abebbte. Nun, fünf Jahre später, ist vom ehemaligen Duo nur noch der kanadische Sänger Michael Milosh übergeblieben, der für seine zweite LP Blood eine kleine Studioband anheuerte – und dennoch bleibt musikalisch eigentlich alles beim Alten.
Rhyes neuen Stücke setzen immer noch auf filigrane Arrangements, langsames Tempo und diesem Gleichgewicht aus mitternächtlichen Bedroom-Pop, zivilisierten Soft-Rock-Momenten und dem samtweichen Falsett von Milosh. Blood ist ein Album voller Grazie und sentimentaler Romantik, das mit seiner optimalen Länge (Dreiviertelstunde) deswegen nicht in die Kitsch-Falle tappt, weil Ausreißer wie der electroide Disco-Blues von “Phoenix” oder “Count To Five” mit seiner Slow-Jazz-Funk-Attitüde genau zum richtigen Zeitpunkt für Abwechslung sorgen. (Sebastian Weiß)
2. Ripperton – Sight Seeing (ESP Institute)
Der Prozess der Imagination in der Rezeption wird mit Rippertons Sight Seeing umgedreht. Heißt was? Heißt das: Nicht erst die Musik löst ein Bild aus, das Bild und gleichzeitig die Inspirationsquelle sind bereits vorgegeben. Denn das erste, was man zu sehen bekommt, ist das Cover, welches der impressionistische Schweizer Landschaftsmaler Pietro Sarto malte. Aus der Vogelperspektive betrachten wir eine bläulich-graue Bergkulisse, auf die sich vereinzelt Nebelwolken gelegt haben. Es ist eben jene Perspektive auf natürliche Szenerien, die den Lausanner Raphaël Ripperton – der ja eigentlich als Technoproduzent bekannt ist – auf seinem Ambient-Album inspirierten. Sight Seeing ist ein Album, das Rippertons Blicke und Eindrücke auf Reisen einfängt – wie ein Tagebuch, das vertont wurde.
So nimmt es die Zuhörenden mit auf eine Reise durch erhabene, ruhige Wälder, über die bestimmt Rilke schon geschrieben hat, in denen melodische und atmosphärische Klänge für entspannte Ambient-Momente sorgen. Dabei kommt es größtenteils Eno-esk ganz ohne Beats aus. Und auch die typische Ambient-Melancholie findet hier keinen Platz. So wie die auf dem Cover abgebildete poetische Landschaft beweisen auch die satten 15 Tracks klassische Eleganz, der es an nichts mangelt. (Franziska Finkenstein)
1. Wolf Müller & Niklas Wandt – Instrumentalmusik von der Mitte der World (Growing Bin)
Wer das Glück hatte, den Düsseldorfer DJ und Produzenten Wolf Müller einmal live zu erleben, dem ist der in Berlin lebende Schlagzeuger und Perkussionist Niklas Wandt schon begegnet. Schließlich impft er den Konzerten von Wolf Müller das gewisse rhythmische Etwas ein.
Nun haben sich die Beiden auf die Suche nach der Instrumentalmusik von der Mitte der World gemacht. Sie ist episch, rhythmisch und melodisch universell ausgefallen. Auch wurde sie von Ambient, Jazz, Funk, World-Music und balearischer Psychedelic angespornt. Gesungen wird nicht. Nur in „Welcome To Paradies“ spricht Wandt ein utopisches Gedicht. Sonst verhext das Duo mit Miniatur-Melodien, heulenden Flöten, verfremdetem Hauchen, buddhistischem Ritualgesang, Synth-Tupfern und dezentem Glockenspiel. So entsteht eine tribalistische Schamanen-Musik zwischen Library, Club, augenzwinkernder Esoterik und polyrhythmischer Verwirrtheit, deren fabelhafte Infantilität nur dem Gebrauchswert dient und eigentlich keinen Tauschwert hat. (Michael Leuffen)