Woche für Woche füllen sich die Crates mit neuen Platten. Da die Übersicht behalten zu wollen, wird zum Fulltime-Job. Ein Glück, dass unser Fulltime-Job die Musik ist. Jeden Monat stellt die Groove-Redaktion zur Halbzeit fünf ganz besondere Alben vor, die es unserer Meinung nach wert sind, gehört zu werden. Dieses Mal mit Benjamin Brunn, Chloé, Kaitlyn Aurelia Smith, Kelela und Thomas Brinkmann – ganz neutral in alphabetischer Reihenfolge.

5. Benjamin Brunn – Midnight Fantasies Of A Wantless Peacock

Ein Oktobertag in der Groove-Redaktion, es stürmt. Es stürmt sogar sehr. Es stürmt so sehr, dass der Busverkehr ebenso eingestellt wird wie der Trambetrieb, die Ringbahn und alle oberirdisch verkehrenden U-Bahnen. Das ist natürlich unglücklich, weil mein Nachhauseweg entweder 1x Bus und 1x Ringbahn oder 1x oberirdische U-Bahn und 2x Tram wäre, sprich heute also entfällt. Tja. Dumm gelaufen. Im Grunde aber ist das alles doch nicht so schlimm, weil hier dieses neue Tape durch den Bandcamp-Feed lief, Midnight Fantasies Of A Wantless Peacock von Benjamin Brunn, der in diesem verflixten Jahr schlicht alles richtig macht.

Neben einer schönen Dancefloor-EP ist Midnight Fantasies Of A Wantless Peacock das zweite Release auf Brunns eigenem Tape-Label Chrome Plated Diamonds in 2017. Wie schon das erste zeugt dieses Album von einem tiefen Verständnis dafür, was eigentlich eine gute Kassette ausmacht. Die Stücke sind skizzenhaft und matt-hochglänzend, der Lo-Fi-Charme kommt schließlich mit dem Format mitgeliefert. Musikalisch erinnert das mal an Jan Jelinek in Bestzeiten, SND in sanften Momenten, die Anfangstage von Oval gar. Vor allem aber an Benjamin Brunn. Auf roughe Art zärtlich, in der Schwebe und doch fokussiert, verblubbert und zugleich on point klingen diese wunderbaren Stücke. Midnight Fantasies Of A Wantless Peacock ist, kurz gesagt, an diesem stürmischen Oktobertag ein veritabler Lebensretter. Die Nachtschicht kann kommen. (Kristoffer Cornils)

4. Chloé – Endless Revisions

Chloé Thévenin zieht es vor, sich bei einem Album nicht mit einer Deadline konfrontiert zu sehen. Wenn die Produktion des Albums also nicht an erster Stelle steht, hat Chloé zahlreiche andere Projekte, in die sie ihr Herzblut steckt. Angefangen beim neugegründeten Label Lumière Noire über die Komposition einer Filmmusik bis hin zur Reinterpetation eines Steve Reich-Werks. All das führe dazu, dass Endless Revisions erst sieben Jahre nach dem letzten Album unseres Groove-Podcast-Gasts erscheint.

Doch die Zeit, die sich Chloé für das Album genommen hat, zahlt sich aus. Die oben genannten Projekte haben einen Einfluss auf ihren neuen Sound. Sie entfernt weiter aus dem Club-Kontext und präsentiert ein vielseitiges Downtempo-Album. Die Stimmung, die das Album begleitet, kann man mit einem wechselhaften Herbsttag vergleichen. Schleppend, träge und regnerisch beginnt er mit dem 60bpm langsamen Track „Outer Space“. „The Dawn“, housigster und gleichzeitig optimistischster Track des Albums, lässt die Sonne durch die Wolkendecke durchblitzen, woraufhin es aber auf „Androgyne“ schon wieder zu dämmern beginnt, bevor auf „Dune“ die Nacht einbricht.
Manche der Titel ähneln sich sehr und Chloé scheint nicht so richtig aus ihrer Soundpalette auszubrechen, worunter manche wirklich außergewöhnliche Titel („Deepest“, „The Backlash“) leiden. (Christoph Umhau)

3. Kaitlyn Aurelia Smith – The Kid

Wann immer in den letzten Jahren die Rede war von der Renaissance der Modular-Synthesizer war auch der vermeintliche Allgemeinplatz nicht weit, dass das ganze Stecken, Schrauben und Spielen zu Lasten der Produktivität der Musiker ging. An Kaitlyn Aurelia Smith kann dabei allerdings niemand gedacht haben.

Die Musikerin aus L.A., die durch einen von einem Nachbarn ausgeliehenen Buchla 100 ihre Liebe zu Modular-Synthesizern entdeckte, hat allein im letzten Jahr zwei Alben veröffentlicht, an dem neuen Four Tet-Album New Energy war sie beteiligt und mit The Kid ist gerade ihr jüngster Longplayer erschienen.

The Kid klingt direkter und zugänglicher als Smiths bisherige Alben und – auch wenn es von Clubmusik weit entfernt ist – körperlicher. Das liegt auch an ihrem Gesang, den Kaitlyn Aurelia Smith auf Stücken wie „To Follow & Lead“ oder „To Feel Your Best“ mit ihren Synthsounds verwebt. Anders als Musikerinnen wie Holly Herndon oder Laurel Halo lässt Smith das Artifizielle bewusst organisch klingen. „Ein gelungenes Stück Kopfhörermusik“, urteilt unser Autor Christoph Braun in der aktuellen Groove-Ausgabe. (Heiko Hoffmann)

2. Kelela – Take Me Apart

Es ist alles da, wie nach Kelelas Hallucionogen-EP haushoch erwartet. Ihre so unerschütterliche Stimme. Die 1A-Producers wie Romy Madley-Croft von The XX, Terror Danjah oder Jam City. Auch mit Arca war die Sängerin, Songwriterin und Produzentin aus Washington im Studio. Die Rhythmus-Programmierung auf Take Me Apart klingt deep und pop-futuristisch, mit metallischen Obertönen auf den tiefen Bässen, verdrehten Harmonizer-Effekten über den Stimmen.

Obwohl Kelela beständig das R’n’B-Thema Liebe besingt, schreitet ihre Stimmführung dabei wieder und wieder aus dem Mittelpunkt hinaus. Als suche sie die Aufmerksamkeit, um dann auf die Tricks am Sound hinweisen zu können. Es ist die R’n’B-Aufnahme zur Stunde: Text, Gesang und Klang überwölben sich und formen einen transluzenten Raum in 3D, der doch so ungreifbar bleibt wie das Prinzip der Immersion. Gut. Das Popstar-Album, worauf Kelela einfach auf der Show-Treppe stehen bleibt, kann dann beim nächsten Mal kommen. (Christoph Braun)

1. Thomas Brinkmann – Retrospektiv

Es gibt im Techno-Bereich nicht viele Werk-Rückschauen, die auch Sinn machen. Diese hier gehört zu den wenigen Ausnahmen. Third Ear hat dem Kölner Charakterkopf Thomas Brinkmann eine 5-fach- Vinyl-Box mit 28 Titeln aus seinem umspannenden Œuvre gewidmet, die in einem beiliegenden Buch auch jeweils von ihm kommentiert werden.

Brinkmann war von jeher ein Mann für Konzepte. In den späten 90ern ließ er Platten von Wolfgang Voigts Studio 1-Projekt und Richie Hawtins Concept-Serie auf einem zweiarmigen Plattenspieler laufen. Auf seinem Label max.ernst veröffentlichte er Minimal Techno-Platten, die hauptsächlich deutsche Frauennamen trugen. Unter seinem Soulcenter-Alias verarbeitete er Elemente von Funk und Soul. Später entdeckte er den Singer/Songwriter in sich – diese Phase seines Schaffens fehlt allerdings auf Retrospektiv. Was beim Anhören dieser mehr als 160 Minuten aber auffällt ist, wie gut gealtert Brinkmanns Musik doch ist. Seine relative Außenseiterposition im Dance-Zirkel haben ihn wahrscheinlich davor bewahrt, sich allzu zeitgeistigen Strömungen hinzugeben. Seine trockenen Dance-Tracks sprühen heute noch vor Witz und Intelligenz und sind dabei auch noch verdammt funky. (Thilo Schneider)

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