Jeden Tag werden DJ-Mixe ins Netz geladen. Manche sind besser, manche sind schlechter und nur wenige werden uns jahrelang begleiten. Jeden Monat sucht das Groove-Team die fünf besten des vorangegangenen Monats aus, präsentiert in (diesmal nur quasi-)alphabetischer Reihenfolge. Diesen Monat mit The Black Madonnas musikalische Autobiografie für Resident Advisor, Björks disruptivem Mixmag-Mix, Franklin de Costas trübem Set für Crack, Honey Dijons Covermix für Mixmag und Lena Willikens’ und Sarah Szczesnys audiovisuellem Spektakel für Die Orakel unter dem Projektnamen Phantom Kino Ballett. Und wer danach noch nicht genug hat, schaut einfach mal beim Groove-Podcast vorbei.

5. The Black Madonna – RA.600 (Resident Advisor)

Als Teenagerin hat sich Marea Stamper damit ein Zubrot verdient, aus dem Kofferraum ihres Autos Mixtapes zu verscheuern, erzählte sie mir Anfang 2015 bei unserem Gespräch im Studio von Wolfgang Tillmans und schwärmte von den Mixen eines Paul Johnson, in dem die Story stets im Vordergrund stand. Bis zu 50 mal, so erinnerte sie sich, hat sie damals selbst am Reißbrett mit einem komplizierten Notationssystem ihre eigenen geplant und umgesetzt – mittlerweile aber klappt es meist nach ein, zwei Takes.

Für die 600. Ausgabe des Resident Advisor-Podcasts hat Stamper nun unter ihrem The Black Madonna-Pseudonym einen Mix eingespielt, der vor allem autobiografisch geprägt ist und viel über ihre musikalische Sozialisation erzählt. Zum Einstieg gibt es Peter Gabriel und The B52s zu hören, in der Folge viel Musik aus einer Zeit, in welcher die Grenzen zwischen den Genres – Post-Punk und Disco etwa – noch nicht so scharf umrissen waren wie heute.

Scharf allerdings ist das Mixing Stampers: Hier sitzt trotz aller ungewöhnlicher Stilbrüche alles, ob Gaffas spröder Funk-Punk, hart slammende Cuts von LA-4A oder Mariya Takeuchis Disco-Hymne “Plastic Love” (Repress, please?). Einen kohärenteren mixed bag gab es in letzter Zeit selten zu hören – außer bei Björk, versteht sich. (Kristoffer Cornils)

4. Björk – The Cover Mix (Mixmag)

Hat hier jemand was kohärent geschrieben? Man könnte auch getrost das Gegenteil behaupten: selten stoßen in einem Mix von nur 45 Minuten Länge solch unterschiedliche Klangwelten, Genres und Stimmungen aufeinander, wie auf der Auswahl, die Björk diesen Monat für das britische Mixmag zusammengestellt hat.

Was trotz aller Gegensätze dann aber dennoch für einen roten Faden und, ja, auch so etwas wie Kohärenz sorgt ist die instrumentale Klammer von Flötentöne und Vogelstimmen. Zu Beginn und zum Ende, des von Björk in Pro Tools editierten Mixes, stehen Stücke etwa von Caroline Shaw, Steve Reich, Anastassis Philippakopoulus, sowie Field Recordings, die alle auf unterschiedliche Weise Flöten- und Vogelklänge vorweisen. Das macht den Mix auch zum Begleiter von Björks neuen Album Utopia, das gerade etwa zurecht der Deutschlandfunk Kultur als “Glückskeks-Musik mit Vogelstimmen” lobte. Dazwischen kommt es dann zum Soundclash: etwa vom Post-Indutrial-Gehämmer eines Oxhy mit Kelelas betörendem Gesang oder von Malas organischen Kuba-Aufnahmen mit den synthetischen Zuckungen von Lanark Artefax.

Ein Mix, der genauso gewaltig wie überraschend daherkommt und so klingt wie ein Gegenentwurf von den oft homogen-pastoralen Zusammenstellungen von Serien wie Late Night Tales oder Coming Home. (Heiko Hoffmann)

3. Franklin De Costa – Crack Mix 174

Franklin De Costa ist einer dieser DJs, die fernab vom Rampenlicht und den ganz großen Bühnen agieren. Relativ unbemerkt treibt er die Szene in Berlin mit seiner Musik nun schon seit fast zwei Jahrzehnten voran, nicht zuletzt mit seiner Mother’s Finest-Partyreihe in der Griessmühle.

Stilistisch bewegen sich seine eigenen Produktionen sowie sein Beitrag zur Crack-Mix-Serie an einem Ort zwischen Techno, Industrial, House und Ambient. Ziemlich schmerzfrei bettet er dafür treibenden Industrial-Techno von seiner neuen EP zwischen Downtempo von Brainwaltzera und Electro von Nummer ein. Ebenso im Mix gut aufgehoben hören sich Actress „X22RME“ oder der brutale Drum’n’Bass von Pessimists „Peter Hitchens“ an. Was diesen diversen Mix zusammenhält ist also weder Tempo noch Genre, sondern vielmehr die trübe Grundstimmung, die die Titel miteinander verbindet. (Christoph Umhau)

2. Honey Dijon – The Cover Mix (Mixmag)


2017 war eindeutig das Jahr von Honey Dijon. Obwohl sie nun auch schon seit längerem als DJ unterwegs ist, bekam ihr ziemlich furioser Auflege-Stil erst in diesem Jahr die Aufmerksamkeit geschenkt, die sie verdient. Dass sie dazu auch noch eine gleichermaßen musikbegeisterte wie interessante Persönlichkeit ist, dürfte ihrer steigenden Popularität ebenfalls keinen Abbruch getan haben. Nachdem sie bereits im Sommer auf unserem Cover zu sehen war, legte das britische Mixmag in seiner November Ausgabe nach.

Dijons dazugehöriger Mix illustriert sehr gut ihre Herangehensweise: Sie liebt es, Platten aus unterschiedlichen Epochen zusammen zu bringen, sie hat ein ein sehr sicheres Gespür für die Essenz der Tracks. In diesem Mix beschränkt sie sich hauptsächlich auf neuere Releases. Von trockeneren Tools von Mr G, Truncate oder Radio Slave geht es über Chicago Vocal House zu majestätischen New York-Style Tracks wie ihr eigener Remix von Mark Fanciulli & Robert Cockertons “Slave To The Rave”. Das Ganze ist tracky, dynamisch gemixt und mit der Maurice Fulton-Produktion “Mzinga” gibt es auch eine herausstechende African Acid Nummer.

Auch wenn der Mix wirklich Spaß macht: An ihre Live DJ Skills kommt er nicht ganz heran. Dafür sollte man sich noch einmal ihr letztes Boiler Room-Set aus Berlin anschauen, bei dem sie die Messlatte in Sachen Mixing-Skills und originelle Musikauswahl wirklich sehr hoch angelegt hat. (Thilo Schneider)

1. Phantom Kino Ballett – Orakelcast 9 (Die Orakel)

Es ist ja nun so: Die Smartwatches stehen auf Viertel nach Millennium, die medialen Möglichkeiten sind (nahezu) unbegrenzt. Dass Lena Willikens und Sarah Szczesny ihren Mix für die audiovisuelle Podcast-Reihe des Labels Die Orakel wie bereits andere (etwa Roman Flügel oder Call Super) nun als YouTube-Playlist abliefern, ist in ihrem Fall kein Wunder tatsächlich sondern nur konsequent: Als Phantom Kino Ballett vereinen die beiden seit einiger Zeit hippieske Performance Art, expressionistisch beeinflusste Videokunst und experimentelle DJ-Sets für immersive Performances.

Der Orakelcast 9 spiegelt genau das wider. Offenkundig beeinflusst von einer dreimonatigen Residency der beiden Künstlerinnen in Japan versammeln sich darauf Trailer für japanische Gegenwartsfilme, obskurer Post-Punk mit deutschen (!) Lyrics, Ausschnitte aus Uralt-Animes, ein Yellow Magic Orchestra-Cameo der etwas anderen Art sowie ein Werbespot für Plastiklippen, die dem Mund bei regelmäßiger Anwendung eine jugendliche Straffung verpassen sollen. Die genau richtige Mischung aus grotesker Konsumlogik, Pop-Kultur und Avantgarde also. (Kristoffer Cornils)

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