Wie kaum einem Künstler ist es Call Super in den vergangenen Jahren gelungen, der Clubmusik ein neues Gesicht zu geben. Die Tracks des in Berlin lebenden Londoners sind sanft, gefällig, freundlich und zugleich komplex, anspruchsvoll, geradezu intellektuell. Call Super braucht keine schwere, gerade Bassdrum. Er treibt House und Techno den Wumms, die Derbheit, das Interesse an den Primärreizen aus. Die Grooves seiner Tracks blicken dir nicht in die Augen, sie haben etwas Beiläufiges. Sie sind nicht wichtiger als die übrigen Teile der Stücke, sie geben die Führung auch mal an die melodischen Elemente ab. Man nimmt nicht bewusst wahr, wie das Drumming aus seinen DJ-Sets verschwindet, wie auf einmal Melodien die Tänzer tragen. Das bekommt er hin wie kein anderer DJ, darin liegt unter anderem die Magie seiner Sets.
Bei Call Super kommen viele Einflüsse zusammen: Da ist das Nerdtum von Four Tet und Caribou, die Neugierde auf alle vorstellbaren klanglichen Texturen, die man von Jan Jelinek kennt und von der Musique concrète, das Interesse an einem zurückhaltenden, subtilen Housesound à la Stimming, Isolée oder Lowtec und das jazzige Vergnügen an der Improvisation und an komplexen Melodiegebilden. Auf den frühen Maxis und seinem ersten Album orientierte sich Call Super noch am Minimal House. Mit der neuen LP macht er einen großen Sprung, er verlässt sehr entschieden die Sphären von House und Ambient. Die Melodien bekommen klare Konturen und er arbeitet mit Rhythmen, die man aus der afrikanischen Musik kennt. Am Anfang von Arpo beschwichtigt uns ein Fagott, lädt uns zum Zuhören ein. Dann kommt eine freudige Orgelmelodie dazu. Verspielt, bezaubernd und niedlich hüpft sie umher wie Haustier. Das sind keine losen Töne, es ist eine Komposition, ein stilisiertes Spiel. An diesem Punkt sind erst 58 Sekunden vergangen, und dennoch ist schon eine Menge gesagt.
Dann fächert Call Super diese spielerische Laune mit einem vielschichtigen Track mit einem miniaturisierten, scharrenden Downbeat-Groove, mit zwitschernden Melodien und allerlei klanglichen Gimmicks auf. Einem bleibt nichts übrig, als zu staunen. Und doch wird hier keine Meisterschaft behauptet, Call Super will sich mit niemandem messen. Man weiß gar nicht, wo man diese Sounds einsortieren soll, an was sie erinnern. Die Musik wächst, wuchert, formt sich neu. Manchmal tauchen konkrete Bezugspunkte auf. Irgendwann treffen die unwahrscheinlichen Drum’n’Bass-Rhythmen Photeks auf Jan Jelineks Geknister. Später verbindet er die Downbeats von Nightmares On Wax mit dem symphonischen Jazz von George Gershwin. Dabei geht es nicht um das Zitat. Vorbilder, Helden blitzen für einen Moment auf – wenig später haben die Rhythmen und Melodien schon eine neue Richtung einschlagen.
Vielleicht liegt das größte Problem der elektronischen Musik darin, dass sie sich schlecht in den Alltag integrieren lässt. Möglicherweise hat das damit zu tun, das sie oft als Gegenentwurf zum Alltag gemeint ist. Massive Attack oder The xx gelingt ein alltagstauglicher elektronischer Sound, aber letztlich funktioniert deren Musik als Pop. Call Super kommt ohne Songs als Vermittler aus. Seine Tracks handeln von einem Alleinsein, das nichts mit Einsamkeit zu tun hat, von Autonomie, die keine Isolation ist. Die Stücke sind entschieden, aber nicht verbissen. Und Gemeinschaft kommt in ihnen auch vor. Sie ist aber nicht turbulent und entgrenzt, sondern aufmerksam und respektvoll.
Video: Call Super – I Look Like I Look In A Tinfoil Mirror