Bonking Berlin Bastards (Setfoto: ebo hill)
Das Ostgut-Ton-Sublabel A-TON hebt einen vergessenen Schatz Berliner Kulturgeschichte. Zum ersten Mal erscheint der Soundtrack des schwulen Pornofilms Bonking Berlin Bastards, der 2001 beim Berliner Independent-Porno-Label Cazzo Film rausgekommen ist. Cazzo distanzierte sich von der glatten, US-amerikanischen Pornographie und setzte auf einen realistischen Look und Orginalschauplätze.
Was schwulen Sex angeht, nimmt Bonking Berlin Bastards wie alle Cazzo-Produktionen kein Blatt vor den Mund. Einzigartig macht diesen Film, dass Regisseur ebo hill von mehr erzählt als von Lust und Verlangen. Die Bilder spiegeln die Zerstörtheit der Stadt durch Weltkrieg und Mauerzeit ebenso wieder wie die Romantik, die Freiheit und die Anarchie, die der Zerfall möglich gemacht hat. Wie kaum einem anderen Berliner Regisseur der Zeit ist es hill gelungen, die anarchistische Stimmung des Berlins der 1990er einzufangen und eine Verbindung zwischen Kino und Techno herzustellen.
GROOVE-Autor Jan Goldmann und -Chefredakteur Alexis Waltz haben ebo hill und die drei Musiker*innen, die für die Filmmusik verantwortlich sind, ins GROOVE-Office eingeladen: Orange, die auf dem Soundtrack als Rouage und CNM firmiert, und Alexander Koepke und Hanno Hinkelbein, die als AeoX aktiv waren. Wie kam es zu dieser einmaligen Verbindung von Techno und Film und was hat die unwiederbringlich vergangene Zeit ausgemacht, die bis heute Menschen aus der ganzen Welt fasziniert und inspiriert?
Wie hat es sich ergeben, dass der Soundtrack zum Film erst jetzt, 20 Jahre nach dessen Premiere, erscheint?
ebo: Weil sich den irgendjemand angeschaut hat, überraschenderweise. Ich denke, dass den heute kaum noch jemand sieht, heute funktioniert das ganz anders. Heute wäre es völlig unmöglich, so einen Film zu machen. Dafür gibt es weder Interesse noch den Horizont.
Alexander: Das war die Zeit, das war genau das Berlin.
Dennoch ist das Berlin der 1990er oder frühen 2000er, das euer Film zeigt, ein Sehnsuchtsort, der junge Leute aus der ganzen Welt in die Stadt treibt. Aber was ist der konkrete Anlass für die Veröffentlichung?
ebo: Wir haben 20 Jahre an die Tür vom Berghain gekloppt, irgendwann haben sie zugestimmt. (lachen)
Orange: Da kamen einige Zufälle zusammen. AJ Samuels, der Labelmanager von Ostgut Ton, ist 2000 nach Berlin gekommen. Er kommt ursprünglich aus Boston. Einer seinen ersten Clubs war das Stellwerk. Das ist auch einer der Schauplätze im Film.
ebo: Du kennst den von früher?
Orange: Das nicht, er hat erzählt, wie er auf den Film gekommen ist. Das ist einer der Gründe, warum er ihn spannend findet, weil er sich an diesen Ort erinnern kann. Das ist eine persönliche Verbindung.
Alex: AJ war 2006 auf einer Party zwei Darstellern aus dem Film, und es ergab sich, dass sie dort den Film gezeigt haben. Als AJ sie 2019 wieder traf, und das Gespräch auf den Film kam, fing er an zu recherchieren und fand die Musik richtig geil. Dann sagte er: Davon müssen wir eine Platte machen. Ein Liebhaber-Ding also. Wir sind ja schon lange nicht mehr in dem Business auf eine Weise drin, dass wir regelmäßig veröffentlichen. Unsere Zeit ist zehn Jahre her.
Neben dem OstGut, dem Vorgänger-Club des Berghain, wo ihr, Alex und Hanno, aufgetreten seid, war ein wichtige Instanz in der Szene Possible Music, der Vertrieb eures Labels Null. Deren Chefin Cora S. war eine wichtige Szene-Figur, sie war auch mehr oder weniger Resident im OstGut. Eva Cazal ist eine weitere Persönlichkeit dieses Zusammenhangs, an die sich heute noch kaum jemand erinnert.
Hanno: Mit Cora habe ich noch Kontakt.
Alex: Ich habe Eva letztens zufällig getroffen, im Familienzentrum. Sie hat jetzt ein Kind – und langes Haar. Ich habe gesagt: „Mann, ich kenn dich.”
Hanno: Ich habe sie auch getroffen, vor ein paar Jahren.
Alex: Alle werden ganz häuslich. Überrascht dich das, ebo?
ebo: Eigentlich nicht.
Die Verbindung von Techno und queerer Identität ist heute präsenter als in den 1990ern. Wie hast du in dem Film die Verbindung von Techno, elektronischer Musik, Pornographie, Schwulsein zu Punk, besetzten Häusern und linksradikaler Szene hergestellt, ebo?
ebo: Das habe ich mir so ausgedacht. (grinst) Es gab die Chance, und ich hab’s einfach gemacht, ohne Rücksicht auf Verluste. Vielleicht war ich mutig. Es war ein ziemliches Risiko, das Ding so groß aufzublasen. Am Ende waren alle gegen mich.
Die Produktionsfirma?
ebo: Alle. Auch Hanno hat sich gewundert, warum ich jede Woche wieder bei ihm vor der Tür stand und was Neues haben wollte.
„Die Bilder, die Musik und die Leute, wie das alles zusammengekommen ist. Das spiegelt das wider, was in den Neunzigern passiert ist – obwohl der Film an deren Ende entstanden ist.”
Alexander Koepke von AeoX
Wie lange habt ihr gedreht?
ebo: Monate, am Ende ein ganzes Jahr. Normalerweise macht man das an einem Wochenende. Einen Pornofilm kann man an einem einzigen Tag drehen, da braucht man nur eine Ecke von einem Zimmer. Das über die ganze Stadt auszudehnen, war völlig absurd. Dass da überhaupt alle mitgemacht haben.
Alex: Das war eine krasse Energie.
Wie bist du auf Orange gestoßen? Du hast ja einen anderen Film mit einem Soundtrack von Monolake gemacht.
ebo: Orange und ich kamen vom entgegengesetzten Ende: Er war im Stellwerk in Friedrichshain aktiv, [wo Goa- und Gabber-Partys stattfanden, d. Red.] und ich in der Ambient-Lounge im Haus des Lehrers am Alexanderplatz. Robert Henke hatte fünf Stockwerke darüber sein Studio, so entstand diese Verbindung. Neben dem OstGut war ich gerne im Stellwerk, da habe ich ihn kennengelernt und ihn wahrscheinlich gefragt. Erinnerst du dich daran genauer?
Orange: Wir haben dort Industrial-, Breakcore- und Gabber-Partys gemacht mit vielen Live-Acts, ziemlich regelmäßig und oft. Da haben wir uns früh kennengelernt. Das war schon eine ganz gute Atmosphäre, abgefuckter als heute.
Und wie bist du auf Alex und Hanno gekommen?
ebo: Weil ich sie im OstGut gehört habe.
Hanno: Wir haben im OstGut live gespielt, dann ist er auf uns zugekommen, nach dem Konzert.
Alex: Für Musiker ist das das Ding: Filmmusik. Jetzt machen wir einen Soundtrack! Ich fand auch diese Besessenheit von dir bewundernswert. Es ist klar, dass man da ein bisschen nervig sein muss. Diesen Mut, diese Vehemenz braucht das, damit so ein Zeitdokument entstehen kann. Die Bilder, die Musik, die Leute, wie das alles zusammengekommen ist, das spiegelt das wider, was in den Neunzigern passiert ist, obwohl der Film an deren Ende entstanden ist. Dieses Punk-Ding, dieser roughe Sound mit der Roland-R8-Drum-Machine ohne Mastering.
„Als AJ kam und den Soundtrack veröffentlichen wollte, konnte ich mich an gar nichts mehr erinnern aus der Zeit. Aber als ich mich damit beschäftigt habe, kam die Erinnerung wieder.”
Alexander Koepke von AeoX (Foto: Presse)
Hanno: Für mich entsprach der Film auch eher den 1990ern als dem Anfang der 2000er. Als er 2001 rauskam, hatte sich Berlin auch schon wieder weiterentwickelt, da kamen schon die ersten Feiertouristen, auch wenn es natürlich ganz anders war als jetzt. Der Film stand eher so für die erste Techno-Generation mit dem E-Werk. Eine Szene spielt ja sogar im alten Planet [wie das E-Werk einer der maßgeblichen Clubs in Berlin-Mitte, d. Red.].
Das war vielleicht auch ein Aspekt des OstGut: Weil es der erste große Club in Friedrichshain war, wurde es als Bruch mit der Technoszene der 1990er in Mitte wahrgenommen. Wie hast du die Musik in einen Soundtrack verarbeitet? Traditionell wird oft direkt zu den Bildern komponiert. Oder der Film zur Musik geschnitten.
ebo: Nein, nein, die haben im Proberaum die Bilder nie gesehen.
Alex: Doch, total oft. Richtig viel. Jörg, unser Gitarrist, hat zu der Szene in der Citytoilette versucht, einen Orgasmus mit der Gitarre zu erreichen. Das haben wir uns bestimmt hundertmal angeguckt.
Hanno: Wir haben die Musik auf die Bilder komponiert.
Alex: Wir waren auch manchmal beim Dreh dabei, das war sehr intensiv: Speed und dann Bam-Bam.
Hanno: Bist du nicht sogar in einer Szene drin?
Alex: Ich sitze an der Bar. (lachen)
ebo: Hast du auch den Film gesehen, als du an der Musik gearbeitet hast, Orange?
Orange: Nein, gar nichts. Die Songs waren eh alle unfertig, du hast mir alles aus der Hand gerissen und verwurstet.
Alex: Du warst auch bei uns in der Wohnung, in der Jablonskistraße.
ebo: Ich bin einmal die Woche vorbeigekommen und erst wieder gegangen, als ich ein eine gebrannte CD in der Hand hatte.
Alex: Wir haben live Musik gemacht und dazwischen produziert. Wir haben auch live Teile aus dem Film verarbeitet, die sind dann in die Musik eingeflossen. Mein Mitbewohner, ein H-Junkie, hat auch mitgemacht. Das war super. Als AJ kam und den Soundtrack veröffentlichen wollte, konnte ich mich an gar nichts mehr erinnern aus der Zeit. Aber als ich mich damit beschäftigt habe, kam die Erinnerung wieder.
Auf was hast du gefilmt, auf Film oder Video, analog oder digital?
ebo: Ich hab’ auf gar nichts gefilmt, das haben die Kameramänner von Cazzo gemacht.
Orange: Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir die schweren Akkupacks geschleppt haben und das Licht.
„Das OstGut habe ich gar nicht erst gefragt, ich dachte, dass die eh Nein sagen würden.”
ebo hill
Jetzt wird die Musik zum ersten Mal ohne das Bild veröffentlicht. Findet ihr, dass sie funktioniert oder ist sie aus dem Kontext gerissen?
Alex: Die funktioniert total. Da sind zwei fette Electro-Tracks. Zwei, drei Sachen sind Soundtrack, aber fünf Stücke kannst du ganz normal im Club auflegen.
Hanno: Ich finde auch, dass das ganz gut passt.
Wie bist du überhaupt zum Film gekommen, ebo? Warst du auf einer Filmschule?
ebo: Nein, ich habe bei Cazzo gearbeitet.
Orange: Du hast vorher schon kurze, experimentelle Sachen in Schwarz-Weiß gemacht.
ebo: Ich habe davor schon viele Kurzfilme und Super-8-Filme gedreht, das ist lange her. Der Blick auf Berlin war für mich neu. Ich war erst zwei Jahre hier, als ich den Film gemacht habe.
Orange: Das war vielleicht gut, diesen frischen Blick zu haben. Für uns war die Stadt normal.
ebo: Genau. Wenn ich jetzt, 20 Jahre später, hier rumlaufe, muss ich nicht den Fotoapparat rausholen, weil ich denke: Die Köpenicker Straße in Kreuzberg, boah, geil. Das habe ich schon oft erlebt, zum Beispiel, als ich zum ersten Mal in Kalkutta war: Da konnte ich an keiner Ecke vorbeigehen, ohne ein Foto zu machen.
Dein Blick auf Berlin ist aus der Distanz entstanden. Um was ging es in deinen Experimentalfilmen, auch um Pornographie?
ebo: Nein, die hatten nichts mit Porno zu tun. Der Pornofilm kam nur, weil ich bei Cazzo gearbeitet habe. Wenn ich bei einer anderen Firma gearbeitet hätte, wäre das eine ganz andere Art von Film geworden.
Wie bist du zu Cazzo gekommen?
ebo: Die brauchten noch einen Fahrer und jemand, der Kabel schleppt.
Aber bald warst du Regisseur.
ebo: Ich wollte da auch Vorschläge machen, weil ich immer dachte, dass man das doch noch viel geiler machen könnte. Das fanden die überhaupt nicht gut. Die fanden, dass ich mich jetzt mal zurückhalten soll und die Lampen tragen oder die Darsteller vom Flughafen abholen. Ich habe aber nicht nachgegeben. Irgendwann hatte ich ein paar Seiten zu Papier gebracht gehabt und die vorgelegt und ein OK dafür bekommen. So fing das an.
Was stand da drin, in deinem Exposé?
ebo: Da standen mehr oder weniger die ganzen Locations drin. Das Thema ist in jeder Szene dasselbe, da musste man nicht viel darüber schreiben. Es ging darum, dass ich auf einem Dach oder auf den Yorckbrücken drehen wollte. Oder in den netten Clubs, von denen ich dachte, dass man es dort machen könnte. Das OstGut habe ich gar nicht erst gefragt, ich dachte, dass die eh Nein sagen würden.
Du hast gesagt, dass du Berlin nur aus der Distanz in Bildern erfassen konntest. Was hat dich an der Stadt so gepackt?
ebo: Sie hat mich an noch viel frühere Zeiten erinnert, etwa zehn Jahre davor, als es die ganzen Hausbesetzungen gab. Da hab ich auch schon versucht, ein bisschen zu filmen.
Hattet ihr das Gefühl, ihr wollt ein Zeitzeugnis hinterlassen, etwas erfassen für die Nachwelt?
Orange: Nö. Für uns war das normal, es war gar nicht absehbar, dass das irgendwann mal vorbei sein wird. Es gab immer noch viele Optionen Partys zu machen. Die Erkenntnis, dass das bergab geht, kam erst einige Jahre später. Zumindest für mich war das so.
Alex: Ja, das Gefühl, jetzt sind wir die Zeitzeugen unserer Generation, das kam erst später. Diese Siffigkeit, das ist alles so siffig gewesen. Als ich das erste Mal ins OstGut gegangen bin, war das noch nicht mainstream. Ich habe da meine erste Pille genommen. Da war ich schon fünf, sechs Jahre auf Party gewesen, ohne zu wissen, dass alle drauf sind. Die ganze Zeit war immer nur Party, Tanzen, Musik – einfach nur sich hingeben.
Hanno: Es ging ja auch immer noch weiter. Es gab nicht den Moment, wo irgendwas vorbei war, sodass eine Zäsur entstanden wäre.
„Du hast einen Atari ST, Bam Bam, und dann kommt die Loveparade. Es war nicht gemastert, man hat nicht gedacht: Werde ich damit reich? Die Clubs haben nicht aufgemacht, um sich zu fragen, wieviel Eintritt sie nehmen wollen. Nein, scheißegal.”
Alexander Koepke von AeoX (Foto: Presse)
ebo: Wir haben nicht daran gedacht, einen Film zu machen, den sich Leute in 20 Jahren noch anschauen. Cazzo hat drei oder vier Filme produziert im Jahr. Das war nur einer davon, und den fanden sie zwiespältig. Sie haben ein extra Label dafür erfunden, weil sie nicht Cazzo draufdrucken wollten.
Das ist nachvollziehbar, weil dein Anspruch größer war. Die wolltest einen Pornofilm machen, der gleichzeitig die Stadt erzählt.
ebo: Ich wollte den Pornofilm ad absurdum führen.
Du wolltest den Zusammenhang von schwuler Kultur, Hausbesetzerszene, Punk und Techno erzählen. In den Neunzigern war es eine erprobte Strategie, einzelne Filmgenres zu nutzen, um größere Zusammenhänge zu beleuchten. Der US-Amerikaner Bruce LaBruce hatte einen ähnlichen Anspruch wie du, er wollte in seinen mehr oder weniger pornographischen Filmen von mehr erzählen als von Sex. War er für dich ein Vorbild?
ebo: Überhaupt nicht. Ich habe den Bruce öfter gesehen, weil wir den gleichen Produzenten hatten, wir sind uns im Büro begegnet. Aber ich habe seine Filme erst nach und nach kennengelernt.
Alex: ebos Film ist das Exzerpt dieser neunziger Jahre. Musik, dann auch Punk, der Versuch, sich wirklich zu befreien. Das OstGut, da herrschte die komplette Anarchie, wenn die Tür zu war. Da gehst du auf Klo pissen, und einer will deine Pisse, und du sagst: „Hier, da.” Trotzdem waren alle füreinander da, es war super sozial. Es gab keine Rules, es war auch nicht Hochglanz, nicht Mainstream. Es war nur, wie es wirklich war, total authentisch.
Und was war dann ebos Rolle?
Alex: ebo hat wie ein Besessener gesagt: „Das will ich alles einfangen.” Vielleicht gerade weil er mit diesem Blick von draußen reinkam. Denn das sieht man gar nicht mehr, wenn man über zehn Jahre immer wieder seine Partys macht, dann checkst du gar nicht mehr, wie krass das ist. Kein Konzept oder eine künstlerische Vision, einfach nur Freiheit. Wie auch Techno. Jeder, der zu Hause einen Atari hatte, konnte plötzlich irgendwas machen. Du hast einen Atari ST, Bam Bam, und dann kommt die Loveparade. Das war nicht gemastert, man hat nicht gedacht: Werde ich damit reich? Die Clubs haben nicht aufgemacht, um sich zu fragen, wie viel Eintritt sie nehmen wollen. Nein, scheißegal. Diese Neunziger, dieses Punk-Ding, das ist komplett in diesem Film. Das kulminiert dann in so einem Werk.
Hanno: Das ist nicht so gepolisht, wie es das heute wäre. Das ist einfach passiert, und man hat das Beste draus gemacht. Man hat sich keine großen Gedanken darum gemacht, ob das jetzt high end ist oder was man da rausbekommt. Wir haben nicht gedacht, wir machen jetzt den Soundtrack zu einem Porno, dann bekommen wir mehr Bookings. (lacht) Wie man das vielleicht heute machen würde. Es ist halt einfach so passiert.
„Wenig später standen wir mit 2Raumwohnung auf der Bühne, da haben die Musiker für ein paar Fernsehauftritte gebraucht, als die bekannter wurden. Wir waren sogar bei Melodien für Millionen mit Dieter Thomas Heck.”
Hanno Hinkelbein von AeoX
Alex: Das war ja auch für uns das Spannende als Musiker. Porno ist normalerweise Wichsvorlage, die Musik ist egal. Aber das war viel mehr. Diese Befreiung, das war nicht mehr schwul, sondern queer. Dazu gehört auch Punk, dieses Lebensmodell, was zu machen, so wie wir das wollen, und sich musikalisch zu befreien, durch Technomusik.
ebo: Gut, dass du das mit queer sagst. Weil ich die Dragqueens mit in den Film genommen habe, sagten manche Leute: „Nein, wie kannst du nur? Warum machst du das denn jetzt?” Cazzo hatte ja alles, eine Kartei mit 1000 Darstellern, die hatten Musiker, die ihre Filme vertonen. Aber das war mir alles nicht recht, alles nicht gut genug. Die Darsteller sahen mir nicht punkig genug aus, die Larifari-Musiker, die die für das Background-Gedudel hatten, die wollte ich auch auf gar keinen Fall. Ich habe alles zerlegt und wieder zusammengesetzt.
Orange: Allgemein war damals besser als heute, dass alles improvisiert war. Und gerade weil es improvisiert war, war es lockerer. Für die Anlage hat man keine Miete gezahlt, die hat man billig von Freunden bekommen. Heutzutage gibt es Spielregeln und Awareness – das ist alles gut und wichtig, aber dadurch sind die Partys auch verkrampfter geworden, nicht mehr so locker. Das hat alles Vor- und Nachteile.
Bei dir, ebo, ist interessant, dass du ein radikaler Einzelgänger bist. Orange, Hanno und Alex, als Musiker*innen habt ihr Techno als feste Größe kennengelernt, weil ihr relativ spät geboren seid für Berliner Technomusiker*innen.
Alex: Ach quatsch, ich bin 1970 geboren, in Ostberlin. Zuerst habe ich Funk gemacht. Dann fiel die Mauer und alles war frei. Gerade im Osten ging es so ab, da haben die Tonanlagen in irgendwelche besetzten Häuser gestellt. Die wussten nicht, wie sie die Sachen versteuern sollten, deshalb haben sie gar nichts versteuert. Die ganzen neunziger Jahre, was in Berlin nach dem Mauerfall passiert ist, das ist absolut einmalig, Walfisch, Planet, Bunker, Tresor, OstGut.
Wie habt ihr beide euch kennengelernt?
Alex: Über Inga Humpe von 2Raumwohnung.
Hanno: Das ist die geilste Geschichte. Wir waren nämlich die Liveband von 2Raumwohnung. (lachen) Inga hat mich angequatscht: Sie kennt eine Band, die suchen einen DJ, dann war ich mit denen im Proberaum. Wenig später standen wir mit 2Raumwohnung auf der Bühne, da haben die Musiker für ein paar Fernsehauftritte gebraucht, als die bekannter wurden. Wir waren sogar bei Melodien für Millionen mit Dieter Thomas Heck.
Alex: Wir waren die Quotenpunks im ZDF. Aber das Großartige war, dass Inga uns zusammengebracht hat. Dann hatten wir einen Proberaum, der wurde saniert, typisch Berlin, wir mussten raus. Da haben die uns das Berlintokyo als Proberaum gegeben, der Club [an der Rosenthaler Straße am Hackeschen Markt in Mitte, d. Red.] war da schon zu, da stand noch der Tresen drin. Wir haben einfach die Tür aufgemacht, dann sind die Touristen reingekommen. Dann haben wir schwarz Bier aus der Kiste verkauft und gefeiert. Das war eine krasse Zeit.
Ihr seid einer der wenigen Techno-Live-Acts gewesen, das gab es damals noch nicht so oft.
Hanno: Es gab noch Tok Tok und House of Fix. Wir hatten eine Partyreihe im Tacheles, Viphi. Da haben wir die paar Techno-Live-Acts, die es damals gab, eingeladen zu spielen, das war 2001, 2002. Wir haben das ganze Ding umgebaut, haben Sachen aufgehängt, dekoriert und am Abend musste das alles wieder weg. Manche brachten dann ihr ganzes Studio mit, das war manchmal auch ganz schön anstrengend.
Alex: Der Viphi-Club. Very inspiring people hesitating insanity.
Hanno: Als Live-Act war das schwierig. Die Clubs waren damals noch gar nicht auf Live-Acts eingestellt, da gab es die krassesten Rider-Unfälle. Da war dann oft kein richtiger Mixer da. Wenn du gesagt hast, du brauchst einen 8-Kanal-Mixer, dann haben die dir einen DJ-Mixer hingestellt und du konntest gar nichts machen. In Belgien, auf der Loveparade in Gent, haben wir auf einem verrosteten Schiff gespielt. Wir haben dann selbst in Antwerpen angerufen, eine halbe Stunde vor dem Gig kam dann der Mixer. Solche Sachen passierten ständig, das war schwierig als Live-Act. Wir hatten sogar noch eine Gitarre, Alex hat dann auch noch Saxophon oder Klarinette gespielt. Mikrofon-Soundmix gab es im Club nicht, das haben die da nicht.
„Zwei Leute mussten im Krankenhaus genäht werden, nicht, weil es scheiße war, sondern weil sie Bock hatten so auszurasten.”
Orange
Alex: Weißt du noch, als wir mal in Greifswald waren? Wir haben uns geweigert, um Mitternacht zu spielen. Wir haben gesagt: Da ist doch noch keiner da. Die Leute standen schon eine Stunde vorher vor der Tür und wollten rein, weil die Party da losging. Wir saßen im Backstage und haben Schnaps getrunken und gesagt: Bis um eins warten wir auf jeden Fall. Um halb zwei sind wir rauf auf die Bühne, der Laden war zugenebelt, man hat nichts gesehen. Hardcore geballert haben wir. Dann guck ich mal unter den Nebel, wie die Leute so abfeiern. Dann waren da drei Leute. Die anderen sind alle nach Hause gegangen, weil es so lange gedauert hat. Da waren original drei Leute – aber die waren hackedicht.
Hanno: Wir haben ja immer improvisiert. Wir haben nie Tracks von uns gespielt, höchstens einzelne Patterns davon. Manchmal war den Leuten das zu viel, mit experimentellem Techno konfrontiert zu werden, etwa mit Klarinetten. Manchmal war es auch genau das Richtige, wie im 1040 in Leipzig, wo die Leute ausgerastet sind. Das war ein sehr geiler Club, wir hatten da so ein bisschen eine Fanbase. Und das war das erste Mal, dass wir in der Stadt aufgetreten sind. Da haben wir drei Stunden gespielt. Ich glaube, wir haben auch zu viel Speed genommen. (lachen) Das war immer hit or miss. Entweder die Leute sind total drauf abgegangen, oder die kamen überhaupt nicht drauf klar.
Orange: Das war früher oft so: Auf den besten Partys waren zwölf Leute, im Eimer zum Beispiel.
ebo: Ich hätte die Musik gerne selbst gemacht, aber ihr habt genau das Richtige getan, ich konnte mich voll damit identifizieren. Was ich aber auch dachte: Dass kein Mensch sie gut fand. Vor allen Dingen seid ihr bei der Premiere des Films hinterher noch auf die Bühne gestiegen. Ich dachte: Jetzt machen wir hier noch ein geiles Konzert und eine geile Party mit 100 oder 200 Leuten. Dann sind aber alle gegangen. Dann stehe ich da alleine und denke: Jetzt ist wirklich alles zu spät. (Gelächter)
Als letztes Thema: Was können sich die Jüngeren heute aus der Zeit damals am wenigsten vorstellen?
ebo: Das war alles viel familiärer. Diese Millionen von Touristen gab es nicht. Du bist in den Club und kanntest da garantiert irgendjemand oder hast irgendjemand kennengelernt, der nicht aus Spanien oder Australien kam, sondern von um die Ecke.
Hanno: Das Familiengefühl ist das, was es heute noch am wenigsten gibt. Die anderen Sachen existieren weiter, aber dass man am Wochenende ausgeht und alle kennt und auch die Besonderheiten der Leute – das gibt es fast gar nicht mehr. Es gibt Partys in London, HTXB und das Fold, die erinnern an den Anfang des OstGut, da gibt es ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Gleichzeitig lassen sich die Leute in Ruhe, und es funktioniert, ohne dass irgendjemand etwas regelt. Das mit dem Feiern und dem Sex kann man immer noch haben, wenn man das will. Aber das Zusammengehörigkeitsgefühl ist weg.
Orange: Für mich ist ein wichtiger Punkt, dass ich immer viel experimentelle Musik gehört habe. Davon gab es mehr und es war noch eine frischere Sache, wenn Hardtek- und Breakbeat-Geschichten rausgekommen sind. Wir hatten Breakbeat-Partys im Keller, da sind die Leute im Moshpit völlig ausgerastet. Das passiert nicht mehr, die Leute rasten nicht mehr aus auf dem Dancefloor. Zwei Leute mussten im Krankenhaus genäht werden, nicht, weil es scheiße war, sondern weil sie Bock hatten so auszurasten. Und musikalisch kommt jetzt nicht mehr so ein Aha-Effekt, dass man sagt: Wow, das ist krass jetzt.
Alex: Berlin ist jetzt total abgebrüht und geleckt. Es ist klar: Wenn du etwas willst, zahlst du dafür auch die Kohle. Wieviel damals umsonst rausgehauen wurde. Das war auch möglich, weil viel Geld schwarz über den Tresen ging. Das geht heute alles nicht mehr, heute hast du einen Steuerberater und der Finanzbeamte steht daneben. Die Anarchie ist vorbei, auch im Denken. Aber vielleicht stimmt es auch nicht, vielleicht sind wir einfach nur alt geworden. Wer weißt, was die jungen Leute heute so planen?