Cuften – Solar Ashes (Planet Phuture)
Nicht erst seit ein fortlaufend mutierendes Virus irritierenderweise den gesamten Planeten lahmlegt, sind Dystopien wieder schwer im Kommen. Geht es um Techno, und hier vor allem ums industrielle Segment, gehört ein düsterer Ausblick auf kommende Wirklichkeiten zum guten Ton – zu Recht, zeigt sich ein ums andere Mal. Wie der Franzose Damien Peltier nun auf seinem Debüt Solar Ashes demonstriert, funktioniert der ganze Endzeitvibe nämlich nach wie vor hervorragend als Hintergrundstrahlung im Kontext pochender Vierviertel und sirrender 303s nach Detroiter Maß. Für die Mädels und Jungs von Planet Phuture genau richtig, vertont das Frankfurter Label doch schon seit ein paar Jährchen die Zukunft mit hydraulischen Rhythmen aus subterranen Maschinenräumen. Auch der Sound, den Peltier nun als Cuften in entleerte Clubhallen pustet, klingt wie weit unterm DE-CIX-Knotenpunkt entstanden: Dicht arrangiert, unheilvoll, explizit futuristisch.
Schon der Titeltrack nutzt robotische Foley-Samples, subtile Bleeps und einen ominösen Buildup, um die Zukunft als das zu zeichnen, was sie schon immer war: Gefährlich. „The Black Rain Order” klingt im Anschluss dann auch entsprechend nach der frühen AFX-Ästhetik, als der gute Richard noch einer der wenigen war, die schon zwei bis drei Jahrzehnte vorauszudenken verstanden – und gesehen haben, was da auf uns alle zukommt. „Kjhfskjoize” zieht weiter am gleichen Strang, an dem aber mehr und mehr Lysergsäure-Derivate beginnen hinabzuperlen. Die Mischung ist von oben bis unten hochwirksam, animiert zum wilden Wegzappeln ebenso wie zum apathischen Tagträumen unter Einfluss kommender Weltkriegsvisionen. „Lasttt Batttle” setzt das nicht nur im Titel konsequent fort, sondern schiebt sämtliche Acid- und Industrial-Klangfarben gen Maximum, während der Rausschmeißer „Rise Of The Neo-Humans” zweifellos binnen weniger Minuten illegale Mitarbeiter-Raves im Googleplex zum Sieden bringen wird – denn im Silicon Valley arbeiten bekanntermaßen keine Normalsterblichen. Und die tatsächlichen Konsequenzen des Untergangs waren ja schon immer nur was für die Plebs. Nils Schlechtriemen
GAŁGAŁ – Bojtun EP (LAN)
Vor dem Hören von GAŁGAŁs Bojtun EP empfiehlt es sich, alle Erwartungen möglichst über Bord zu kippen, denn auf dem außergewöhnlichen Five-Tracker geht es weder um House und Techno noch um Dub, Breakbeat, IDM oder ähnliche Kategorien. Zwar poppen hier und da Erinnerungsfetzen an die genannten und etliche andere Genres auf, aber immer in einen Rahmen integriert, der mit den konstituierenden Ingredienzien der genannten Stile wenig zu tun hat. Michał Krajczok, aus Polen stammend und in Berlin lebend, lässt mit Hilfe eines modularen Synthesizersystems improvisatorisch Musik entstehen, in der, wie er sagt, „eine große Menge an Informationen verschlüsselt ist, die vielfältig, abwechslungsreich und überraschend ist.” Besser und kompakter kann man es kaum ausdrücken. Überraschungen bieten seine Tracks in seltener Fülle, zudem basieren sie so gut wie nie auf gängigen Beats. Das rhythmische Gerüst der mittleren drei Stücke ist schwer benennbar und kaum in Bezug zu anderen Künstler*innen oder Schubladen zu bringen. In seiner Intensität und wilden Konsequenz erinnert es zeitweilig an DeForrest Brown Juniors Projekt Speaker Music, nur ohne dessen klaren Jazz-Bezug. GAŁGAŁ geht auch in melodisch-harmonischer Hinsicht oft über übliche Elektronika-Elemente hinaus, schöpft aus einem sehr eigenständigen Grundkonzept und lässt daraus regelmäßig kaum erwartbare Ereignisse entstehen wie den entrückten Synthie-Klage-Gesang in „St-Prlguidon”, den nach wenigen weiteren Takten ein brutaler Sägezahnbass auf die denkbar krasseste Art konterkariert – welcher wiederum knappe zwei Minuten später in einem spärlichen Pling-Plong strandet, bevor die wilde Hatz weitergeht. Alle Stücke sind übrigens editierte Ausschnitte eines Konzerts, das im August letzten Jahres aufgenommen wurde. Hoffentlich ergibt sich bald wieder der Glücksfall, Michał Krajczok live erleben zu können. Mathias Schaffhäuser
Giant Swan – Do Not Be Afraid Of Tenderness (Keck)
Giant Swan sind zurück – und zwar brachialer denn je! Klar, man bekommt auf Do Not Be Afraid Of Tenderness immer noch die gewohnt aggressive Bassmusik um die Ohren gehauen, aber es gibt Neuerungen im Sound. Im Vergleich zum letzten Album des britischen Duos beherrschen hier deutlich verspultere und grellere Elemente die klangliche Szenerie. So läuten kreischende Schleifgeräusche teils heftige Breakbeat-Eskapaden ein, die fast bedrohlich anmuten. Intermittierend tauchen dann hauchige oder aber auch schrille vokale Versatzstücke auf, die eine gruselige Atmosphäre erzeugen, allerdings auch nie für längere Zeit. Schnell erstickt der gnadenlose Sub-Bass nämlich die aufkommende Horror- Stimmung im Keim und prescht gnadenlos nach vorne. „Silkworm” hingegen lässt erst gar keine Gefühlsduselei aufkommen und entwickelt sich zum gebieterischen Techno-Brecher. Wenn die entsprechende Party sich zu fortgeschrittener Stunde hier nicht vollends enthemmt, ist sie wohl misslungen! Lucas Hösel
Helium — The Works EP And Unreleased Mixes Bundle (Kalahari Oyster Cult)
Nicht nur mit seinen Eigenveröffentlichungen zementiert Kalahari Oyster Cult seinen Ruf als brillantes Boutiquen-Label, auch mit Reiusses versunkener Schätze der Techno-House-Geschichte weiß es immer wieder zu überzeugen. Wie etwa mit dieser Platte hier. Das Original, die einzige Veröffentlichung Heliums, erschien 1993 auf dem belgischen Trance-Techno.Label Round And Round und wird auf Discogs mittlerweile für 120 bis 130 Euro gehandelt. Es bietet fünf Tracks, die die Stile wechseln und dabei dennoch wie aus einem Guss klingen. Die A-Seite mit „Try Me” und „Out There” ist dabei offensichtlich die Dancefloor-Seite. Der erste Track hat mit M1-Orgel-Melodie und Garage-Percussions House-Feeling, der zweite dringt in Trance-Gefilde vor und wäre auf Früh-Neunziger-Goa-Parties sicherlich nicht fehl am Platz gewesen.
Seite zwei ist dann dem Chill-Out gewidmet: Drei Stücke, die zwischen beatlosem Ambient und entspanntem Breakbeat changieren. Alles sehr melodisch, sehr Flächen-verliebt, sehr schön. Ob es einem die exorbitanten Discogs-Preise wert wäre, ist freilich eine eher schwierige Frage – die man sich nun ja glücklicherweise nicht mehr stellen muss. Doch damit nicht genug, zusätzlich zum Re-Release der Original EP veröffentlicht Kalahari auch noch eine zweite Platte mit drei damals nicht veröffentlichten Remixen. Die Versionen von „Try Me” und dem Ambient-Stück „Clouds” variieren die Originale dabei nur dezent, der Jody’s Mix von „Out There” wiederum eliminiert die Goa-Elemente und macht den Track so House-Floor-kompatibel. Nette Dreingabe insgesamt, aber man ahnt, warum das seinerzeit nicht veröffentlicht wurde. Tim Lorenz
Lawrence Le Doux – Compassion Lake (Nous’klaer Audio)
Auf den fünf Tracks seiner Debüt-EP für Nous’klaer Audio zeigt der in Brüssel ansässige Producer Laurent Baudoux, der sich hier Lawrence Le Doux nennt, mehr Facetten als andere in ihrer gesamten Laufbahn. Zwei stimmungsmäßig recht verschiedene Ambient-Tunes bilden die Klammer um den Breakbeat von „Alta”, die mit über 130 BPM dahineilende, Spielkonsolensounds aufwirbelnde Tech-House-Nummer „1010” sowie „Tout”, in dem sich verschiedene Metren überlagern. Lediglich Deep House bleibt außen vor. Dank einer ausgeprägten Handschrift gelingt Baudoux mit „Compassion Lake” dennoch ein konsistentes Release. Zwar spielt Dub eine nicht unwichtige Rolle in seiner Soundästhetik, doch der Belgier kehrt sozusagen dessen Verbreitungsschema um: Statt sich vom Hörer oder der Hörerin zu entfernen, scheinen manche Klangereignisse, ohnehin schon weiter in den Vordergrund gerückt sowie etwas plakativer im Stereoraum platziert und bewegt als gemeinhin üblich, eher noch auf ihn oder sie zuzukommen. Erinnert sowohl in seiner unabhängigen Eigenständigkeit als auch durch die dezidiert positive Grundstimmung ein wenig an Cylob. Harry Schmidt