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November 2025: Album des Monats

Teil 1 der essenziellen Alben aus dem November findet ihr hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, die Mixe des Monats hier.

Wata Igarashi – My Supernova (Dekmantel UFO)

Der Name Wata Igarashi kam mir erstmals als Teil der Deep-Techno-Garde Mitte der Zehnerjahre unter. 2014 veröffentlichte der Japaner auf Midgar beispielsweise die EP Junctions, deren Titeltrack vieles anders machte, als es Genre-Kolleg:innen damals zu tun pflegten. Der Spannungsaufbau: langsam. Die Mittel: sparsam. Die Wirkung: psychedelisch, nichtsdestotrotz brachial. Vier Jahre später veröffentlichte er mit „Kioku” die nächste Offenbarung für den Autor, immer noch mit unstet versetzten, polternden Kicks, die seine Vision von Techno als innere Tiefenreinigung erst zur wahrhaftigen Erfahrung gerinnen ließen. Darüber: Flirrende Arpeggios, biolumineszent gleißend wie epileptische Glühwürmchen, die in alle möglichen Richtungen auseinanderstieben. Igarashi vermischt seit jeher das Schöne und Erhabene mit dem Imperfekten, dem Widerborstigen.

Was uns zu My Supernova bringt, seinem aktuellen Album auf Dekmantel, auf dem er dieses Kunststück in bislang ungekannter Perfektion vollführt. „One Way In” heißt der Opener, auf dem sich ein eigentlich ambienter Grundton in eine Art Fliegersirene verwandelt. Ihr Geräusch entwickelt sich schiefer und schiefer, bis keine Umkehr mehr möglich ist und mit „Shockwave” die Hölle losbricht. Hier formuliert Igarashi einen gänzlich anderen Entwurf von Techno aus, als er ihn früher propagierte: Seine Musik gönnt sich keine Verschnaufpausen mehr, sondern jagt den Schweiß nun aus allen Poren, mit irrwitzigen Melodieläufen, die mental instabil klingen. Und einem Fokus auf die Mitten und Höhen, einer formvollendeten Abkehr vom Gravitationszentrum und Ruhepol Low End.

Dass es durchaus noch behänder geht, beweist „Meltzone” im Anschluss, das in Peter-van-Hoesen-Manier den Groove hält, während ein Acid-Bass an Aggressionspotenzial gewinnt. Igarashi verschiebt die Bestandteile seiner Tracks so gekonnt gegeneinander, arbeitet wie bei seinen DJ-Sets derart präzise mit Lautstärke und Equalizer, dass sich ein seltenes Naturschauspiel ereignet: Obwohl es sich um ein reines Technoalbum handelt, lässt sich My Supernova von Anfang bis Ende durchhören. Es hält nicht nur bei der Stange, es fesselt richtiggehend. Lässt sich von Autorentechno sprechen?

„Unleashed” brummt und zischt satt wie Laurent Garniers „From The Crypt To The Astrofloor”, ehe schwindelerregendes Pitch-Bending das Sensorium kräftig durchrüttelt. Nur wenige Tracks wecken das dringende Bedürfnis, sie schnellstmöglich auf einer Clubanlage hören zu dürfen, so stark. Die neun Tracks, die sich über insgesamt 48 Minuten erstrecken, hämmern aber nicht nur auf den Frontallappen. Immer wieder finden sich produktionstechnische Feinheiten, die auch die Nerds neben dem Dancefloor zu Gesprächen anregen dürften. Wie etwa auf „One for EM” die Hi-Hats kaum merklich neben dem Mahlstrom rascheln, hat etwas Possierliches.

Der Titeltrack nimmt im Anschluss die langgezogene Sirene aus dem Opener auf und signalisiert die Ankunft in der Mitte dieser gigantischen Sternenexplosion; ein sechsminütiges Verglühen in Irrungen und Wirrungen, in sämtliche Richtungen, so lange, bis der Wahnsinn, den Wata Igarashi mit seinen Arpeggios transportiert, zur Sehnsucht wird. Eine weitere Qualität dieses Albums: Es überfordert in einem solchen Maße, dass man sich Wiederholung wünscht. Und weiß, wann es einen Gang runterschalten sollte: „Skin” zelebriert das mit Igarashis Iteration von Bleep Techno, die natürlich nicht poliert daherkommt, sondern zaghaft an den Nerven schürft – und nicht aus faulen Stems, sondern aus einer regelrechten Partitur besteht.

„Terra Incognita” fährt danach seinem Namen entsprechend den ersten Beat des Albums auf, der mit dem Four-to-the-Floor-Schema bricht, zementiert aber trotzdem inbrünstig Igarashis Trademark-Sound und wirkt wie ein Nachfolger zum oben erwähnten „Kioku”. Flüssige Pads glätten die Wogen. Mit „Echoes Beyond” endet My Supernova trotz kontinuierlicher Steigerung im Track introvertiert. Wieder zieht sich ein langer Grundton in die Horizontale, der wie eine Möbiusschleife kein Ende und keinen Anfang zu haben zu scheint. Darüber eine Melodiefolge, plastisch zitternde Hats und grelles Flackern, dem man unvermeidlich entgegentreibt. Wata Igarashi hat seinen Werkzeugkasten komfortabel eingerichtet – und weiß sich auch in dieser Phase seiner künstlerischen Entwicklung maximal effizient daran zu bedienen.

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