Nach der schönen Kollaboration mit den Brüdern Selke hat die Japan-Berliner-Experimental-Pianistin Midori Hirano nun eine weniger naheliegende, aber nicht weniger interessante Zusammenarbeit mit dem in Stockholm lebenden russischen Minimal-Elektroniker Ivan Pavlov alias COH gestartet. Auf Sudden Fruit (Ici d’ailleurs, 4. April) sind die Aufgaben recht klar getrennt. Als klangliches Zentrum fungieren Hiranos Klavierimprovisationen, Pavlov steuert subtile Glitches und dubbige Loops bei. Was in einem sehr zurückhaltenden Design endet, einem Sound, der unmittelbar die stärksten Momente des Raster-Noton-Minimalismus der Jahrtausendwende in Erinnerung ruft, ohne je in Millenniums-Nostalgie zu versacken.
Hinter dem wenig preisgebenden Pseudonym Annie A verbirgt sich nicht weniger als eine globale Supergroup der Stille. Eine Kollaboration des Londoner Duos aus Jack Rollo und Elaine Tierney alias Time is Away, das unter anderem eine hochinteressante Sound-Art-Field-Recordings-Show auf NTS Radio betreibt, mit der französischen Multi-Künstlerin und Shelter-Press-Labelmacherin Félicia Atkinson, der frankophonen britischen Lyrikerin Christina Petrie und der neuseeländischen Singer-Songwriterin Maxine Funke. Ihr gemeinsames Debüt The Wind That Had Not Touched Land (A Colourful Storm, 24. März) fokussiert sich auf Spoken-Word-Lyrik, stimmlose Stimmen und Field Recordings mit sparsamster instrumentaler Begleitung. Selten ist mehr als ein akustisches oder elektronisches Instrument gleichzeitig zu hören. Die verwendeten Elemente finden sich so auf den Soloarbeiten aller Beteiligten wieder. Gemeinsam entsteht das Mehr aus der konsequenten Zurückhaltung der Individuen, aus der Abwesenheit von Ego. Hier drängelt nichts und niemand nach vorne. Ein ziemlich radikaler Ansatz in diesen lauten Zeiten.
Die kanadische No Hay Banda um die Montréaler Daniel Áñez, Noam Bierstone und Geneviève Liboiron folgt einem ähnlichen Prinzip des „Presque Rien”. Darüber täuscht auch der größtmöglich glamouröse Auftritt auf dem Cover von Il Teatro Rosso (No Hay Discos, 18. April) nicht hinweg. Was die mit Steven Takasugi und Huei Lin aus ihren akustischen und elektrischen Instrumenten herausholen, sind klitzekleine Klimperfitzel, die ihre Herkunft aus Free Jazz und Neuer Musik zugunsten einer kleinstmöglichen Winzigkeit an Volumen und Dichte preisgeben. Mit tollem Effekt, denn wenig kann hier tatsächlich viel sein. Vor allem aber erlaubt das Dynamik, die Möglichkeit aus dem fitzeligsten Minigefummel doch mal richtig Krach zu machen, ohne klaustrophobisch dicht und voll zu werden.
Laute aus Stimme, zupackend wie raumfüllend, sind eine anthropologische Konstante, in so gut wie jeder Kultur und Religion präsent und in Jazz wie in Neuer Musik immer schon dabei. Dass eine Klangwelt aus ultra-fragiler Vokalimprovisation allerdings eine derart körperliche Präsenz und entgrenzte Intimität entwickelt wie DJUPNA (Rainshine Records, 4. April) der Norwegerin Bodil Rørtveit ist tatsächlich eine exquisite Rarität. Wie menschliche Laute die Welt erzählen, ohne zu Worten werden zu müssen, das hat gerade im skandinavischen Jazz lange Tradition. Rørtveit nimmt das Gurren, Summen, Brummen und Ploppen, das Ah zum Oh auf und transformiert das alles noch mehr als ihre Vorgängerinnen und Vorbilder wie Sidsel Endresen in elektronische Soundscapes; in tief in sich ruhende, wunderschöne Ambient-Stücke.
Halb melodisches Summen und Stimmfetzen umschwirren die elektroakustischen Kompositionen der aus Australien stammenden, in Berlin lebenden Cellistin Judith Hamman wie Motten das Licht. Um die obertonreichen Drones ihres in reiner Stimmung gespielten Instruments scharen sich kleine irritierende Noise-Momente, Mikrofon-Plopps ebenso wie vielfach gebrochene Echos von Popmusik. Letztlich ist Aunes (Shelter Press, 14. März) damit näher an den beat- und basslosen Momenten von Burial als an der Kopfstrenge der Drone-Minimal-Music. Deren Ernsthaftigkeit, Anspruch und Tiefe teilt das Album allerdings voll.
Gute Ambient-Kompilationen gibt es viele. Solche, bei denen noch eine eigene Handschrift, ein kuratorisches Prinzip durchscheint, schon weniger. Dennoch sind solche, die sich durch besondere Sorgfalt in Produktion oder Zusammenstellung auszeichnen, heute keine Ausnahmen mehr. Eher rar dagegen diejenigen, die all die erwähnten Tugenden teilen und zudem noch vereinzelte Überraschungsmomente zulassen, in denen etwas passiert, was in den Rahmen passt und doch unerwartet hervorkommt. Auf Infiné Ambient (Infiné, 16. März) trifft genau das zu. Es finden sich bekannte Label-Highlights wie eben auch einige unmögliche Remixe, die von den jeweils überbekannten Originalen wenig mehr als ein feines Rauschen übrig lassen. Aber was für ein feines Rauschen, ein Gourmet-Rauschen, wenn es je eines gab.