VA – 10 Years Love On The Rocks – Sky Is The Limit (Love On The Rocks)
Mit klarer Handschrift und beständiger Qualitätskontrolle hat Paramida mit Love On The Rocks eines der besten Houselabels der Dekade geschaffen. Nach zehnjährigem Bestehen ist der Katalog immer noch überschaubar, denn: Qualität steht über Quantität. Umso erfreulicher also, mit der Jubiläums-Compilations gleich acht neue Tracks von alten und neuen Bekannten in die Hände zu bekommen. Die von OYE Records und als Panorama-Bar-Resident bekannte Herausgeberin Paramida legt mit „Limbo In Heaven” gleich den perfekten Opener vor: Ihr angetranceter House mit atmosphärischen Drums und Strand-Ambience beschwört Bilder von Goa beim Sonnenaufgang herauf.
Er setzt den Ton für diese gut gelaunte Compilation, die Elemente aus klassischem House mit stilsicheren Prog- und Trance-Einschlägen mischt. Langzeit-Kollaborateur Massimiliano Pagliara, der 2014 mit dem ersten Labelrelease einen Hit landete, knüpft an den euphorisch-balearischen Vibe an, ebenso der französische Produzent Sweely mit seinem betont oldschool klingenden, String-geschwängertem House. Etwas mehr proggy-groovend die Beiträge von Simone De Kunovich, Alex Kassian & Running Hot sowie Neuzugang E-Talking. Am spannendsten ist die atmosphärische Achterbahnfahrt durchs Dschungel-Unterholz der beiden Busenbrüder Fantastic Man & Tornado Wallace – hier endlich mal als Produzenten-Duo. Leopold Hutter
VA – Basso Presents Sitting In Trees (International Feel)
Was ist das für ein Gefühl, noch einmal in Bäumen zu sitzen, um sich Wind und Wetter um die Nase wehen zu lassen? Ein Gefühl von Leichtigkeit, ein Gefühl von Freiheit mit einer Prise Verwegenheit stellt sich ein. Ja, wir sind wieder Piraten. Für den einen oder anderen mögen das Kindheitserinnerungen sein, die beim Hören von Bassos Compilation Sitting In Trees aus dem Unterbewussten aufploppen. Der anscheinend nie zur Ruhe kommende Musik-Entdecker und -Erforscher, der sich in die musikalischen Randgebiete des AOR-Rock, des Pop, des Ambient, des Chill-Out-Jazz, des Fake-Reggaes, des Street Soul immer tiefer eingegraben hat, vollbringt mit seiner allerneuesten Zusammenstellung ein kleines Wunder.
Der perfekte Soundtrack zum Sommer 2024 ist erschienen. Um endlich mal wieder runterzukommen, indem man musikalisch auf den Baum steigt. Der in Hamburg ansässige Basso ist bekannt für entspannende, Endorphine ausschüttende, Balearic-orientierte Musikstücke (früher nannte man das Cosmic) – immer auf dem Pfad des verlorenen musikalischen Schatzes eines nie entdeckten beziehungsweise gewürdigten Musikers. Basso veröffentlicht auf seinem Label Growing Bin und bietet in seinem gleichnamigen Plattenladen besondere wiederentdeckte Vinyls und CDs an. Und das Wissen um diese Preziosen teilt er gerne mit einer wachsenden, ebenso musikverrückten Community. Basso sucht nicht nach dem Offensichtlichen, sondern nach dem Verborgenen im Offensichtlichen.
Wer sich auf die Suche nach den Originalen wie Edwin Schimscheimers „Bon Nuit Michelle”, Dancing Fantasys „Mystery Voice” oder Peak Of Normals „Hava” machen will, sollte Zeit mitbringen. Abkürzen lässt sich das Ganze mit dem Kauf im Recordstore des Vertrauens, auf dass der Sommer 2024 beginnen möge. Liron Kangwart
VA – Elastics 001 (Elastics)
Flatcap und INGI betreiben das Label Elastics. Viel mehr Infos gibt es nicht, außer dass INGI auf seinen Fotos aussieht, als sei er noch auf der Schule und dass er regelmäßig im Londoner Club The Carpet Shop auflegt. Wenn Elastics jedoch halten, was sie hier versprechen, dann bleibt er nicht lange still und cool, der Sound der Art School.
McGregor führt mit „Warm” atmosphärisch ein, auf zwei und vier betonte Percussion-Beats winden sich heraus aus einem schmatzenden Moor der leisen Klänge. Und dann steht der Flow, ein rougher Neo-Neo-Dub. Ähnliches macht Khlark auf „LT1”, nur dass dieses Stück zusätzlich mit Industrial-Klängen hantiert, um sich einen Drall Richtung Ekstase einzufangen. „Sonar” von Labelbetreiber INGI, hier gemeinsam mit Ryvahl, schwappt Dancehall-artig hin und her. Um die Spannung aufrechtzuerhalten, platziert Lucy Grey mit „Repercussions” einen ganz losen Offbeat-Parcours, und R.E.D. verabschieden das Publikum mit einer Gute-Nacht-Geschichte in Ambient: höhlenartige Echoräume, Stalagmiten und Stalaktiten aus Klang. Lange dauert es nicht mehr, und wir suchen für den Sound von Elastics eine neue Genre-Bezeichnnung. Christoph Braun
Krust – Irrational Numbers Vol. 5 (Wonder Palace Music)
Der Kreis schließt sich – letzten August schrieb ich hier über den ersten Teil dieser Compilation-Reihe, die jetzt mit Teil fünf ihren Abschluss findet. Wieder eröffnet die Zusammenstellung mit einem Track, der exemplarisch ist für Krusts persönlichen Stil: Zwar wirken der treibende, jazzige Breakbeat, der Bass und die soulige Stimme erst einmal genretypisch, was sich dann aber über gut zehn Minuten entwickelt, liegt jenseits abgedroschener Produzent:innenroutinen. Statt naheliegend den Soul in den Vordergrund zu stellen, lässt Krust die Stimme irgendwann in Vergessenheit geraten und führt dafür fiese Lasergun-Sounds und immer wieder kleine, raffinierte Minibreaks des Drum’n’Bass ein, die mehr Jazz sind als vieles sogenannter echter Vertreter der Zunft.
Der Track entwickelt dadurch einen irren Sog, trotz des Verzichts auf spektakuläre Effekte oder Breakdowns. Spektakulär kann Kirk Thompson aber auch – natürlich auf seine stoisch-beharrliche Weise. In „Break Ya Neck” wird gleich zu Beginn ein morphender, wilder Bass eingeführt, der dann fast das ganze Stück hindurch gleichbleibend seinen Terror-Job verrichtet und dabei von harten Drums und Kick-Breaks in Heavy-Metal-Double-Bass-Manier unterstützt wird. Acht Minuten ohne Bridge und Breakdown, ohne eine einzige Ruhepause – yeah! Nach ähnlich gnadenlosem Konzept arbeitet das folgende „Kloakin Devices”, das neben Härte auch eine gute Portion Humor besitzt. Und mit den letzten beiden Tracks zeigt Krust dann, dass er sich selbstverständlich auch jenseits von Drum’n’Bass auskennt. Mathias Schaffhäuser
VA – Lost Paradise: Blissed Out Breakbeat Hardcore 1991-94 (Blank Mind)
Diese Compilation schärft den Blick für eine besonders kurze Periode im Hardcore-Experiment, und zwar die Jahre 1991 bis 1994: eine kreative Hochzeit für Entwicklungen in der britischen Dance Music. Hierbei versuchen sich die Blank-Mind-Kuratoren Sam Purcell und Tammo Hesselink dabei, gerade die softeren Momente dieser Phase herauszukristallisieren: „Wir wollten Hardcore anders einrahmen, das Wort ‚Ekstase’ (Ecstasy) in seiner ursprünglichen Bedeutung untersuchen”, sagen sie.
Musikalisch bedeutet das eine Schnittstelle vieler Szene-Bruchstücke. Diese Abbildung von UK-Hardcore zeigt Bleep-Synths aus Sheffield, meditative New-Age-Pads und oft langsamere Breakbeats. Eine Mischung aus den Chill-Out-Räumen auf den Raves, dem Einfluss der Artificial Intelligence-Compilations auf Warp und natürlich dem damals überall vertretenen Jungle-Boom. Das Ergebnis ist ein faszinierender Kontrast aus oft beruhigenden atmosphärische Sounds und abgefahrenen Breakbeats. Lost Paradise schafft es dadurch, den Geist des Eskapismus dieser Jahre abzubilden, der immer auch im Kontext der turbulenten politischen Situation stand und schließlich in den harschen Anti-Rave-Gesetzen des Criminal Justice Act mündete. Leopold Hutter