Na endlich. Gudrun Gut hat eine mehrteilige Dokumentation namens GUT über sich und ihre Arbeit bekommen und durfte den GUT Soundtrack (Moabit-Musik, 22. März) dazu gleich selbst schreiben und herausbringen, mit Hilfe einiger guter Freund:innen, selbstredend. Wie unendlich wichtig und richtig all das war, was Gudrun Gut zur elektronischen Musik als Ganzem und im speziellen Berlins beigetragen hat, wird diese Kolumne hoffentlich niemals müde zu betonen. Gerade wieder schön ist aber, dass die RBB-Serie und ihr Soundtrack eher nicht historisch dokumentierend und den Post-Punk musealisierend vorgehen, sondern lieber locker plaudernd in der Jetztzeit verbleiben. Was ebenso für Gudrun Guts neue Stücke gilt. Geschichte ist gut, aber wir können ja ebenso gut was Neues machen. Also machen wir das. Und es ist gut so.
Die allerbesten musikalischen Erinnerungen an die Achtziger sind selbstverständlich die vorgestellten und ausgedachten. Die New Yorker Berlinerin JJ Weihl hat ein unvergleichliches Talent, diese aufzuspüren und zukunftsweisend vorausblickend nachzufühlen. So wurde Quantum Web (RVNG Intl., 3. März), ihr zweites Soloalbum als Discovery Zone, zu einem ultimativ gegenwärtigen elektronischen Pop, der weit über alles hinausweist, was Vaporwave je erreichen konnte und die große Menge an retrofiziertem Synthpop gerne können wollte. Discovery Zone hat einfach die besseren Songs, die zuckersüßeren Melodien, die feinsinnigeren Vocals und die pixelbunteren Videos gegen die Einsamkeit, gegen die Nostalgie. Hoffnung und Zukunft, hier sind sie noch aktiv.
Die Londoner Kosmopolitin Tatyana produziert Synthpop, der einmal nicht primär die Wave-Achtziger referiert, sondern von Disco- und R’n’B-inspirierte House- und Techno-Exzentriker der Neunziger wie Maurice Fulton oder Kirk Degiorgio, deren minimaler Electro-Funk in den scharf geschnittenen, knusprigen Basslinien auf It’s Over (Sinderlyn, 22. März) immer wieder aufscheint. Wo das jüngste von DJ Koze produzierte Album Róisín Murphys stets in Perfektion perlende Üppigkeit anstrebte und erreichte, wirken die Tracks von Tatyana meist roh und trocken. Wie viel intensives Nachdenken, was für eine Arbeit in den nur scheinbar einfachen Stücken steckt, wird erst nach und nach klar. Unter dem Lo-Fi-Gewand löst die nicht weniger detailverliebte Produktion die dicht und nah beieinander geschichteten Elemente so auf, dass sie eben locker, einfach und roh wirken. Das hat den interessanten Effekt, dass Tatyanas durchaus klassische Synthpop- und R’n’B Songs viel mehr nach Techno und House klingen, als sie das eigentlich sind.
Wenn der Pop der Zweitausendzehner aus den milde gotischen Achtzigern kommt, vermittelt mit einer Second-Summer-of-Love Rave-Erfahrung der Neunziger, dann sind wir wohl in der Jetztzeit angekommen. Und wenn den jemand nach vorne bringen kann, dann wohl die Irin Constance Keane. Ihr Electro-Pop-Projekt Fears steht wie nichts anderes für ein sanftes Update der alten Dunkelheit, auf jedem Album noch etwas schöner, noch etwas selbstverloren schwelgender. Affinity (Tulle, 22. März) ist so wohl die neue Referenz für das, was etwa The XX oder HTRK schon länger nicht mehr machen wollen, nämlich ständig neue Höhepunkte minimalistisch-melancholisch-upliftender Popmusik zu finden.
Wie weit man den anarchischen DYI-Ideen-Überschuss treiben kann, hat die (zwischendurch auch mal Berliner) Französin Marie Klock mit ihrem Sample-Projekt Petite année de la marchandise bereits in aller Ausführlichkeit vorgezeigt. Unter ihrem bürgerlichen Namen agiert sie inhaltlich und von der Kreativfrequenz her nicht weniger wild, bleibt aber zumindest musikalisch meist im Kontext eines (relativ) zahmen, sanft chansonesken Achtziger-French-Pop. Auf ihrem zweiten Album tatsächlich mitunter sogar milde und melancholisch, denn Damien est vivant (Pingipung, 29. März) ist eine Hommage an den befreundeten, kürzlich verstorbenen Poeten Damien Schultz, dessen verspielte Texte (ebenfalls mehr als gelegentlich wild und anarchisch) das Album prägen. Wie jüngst bei der Koreanerin Minhwi Lee entsteht der Überraschungs- und Überrumpelungseffekt, der Klocks Songs so packend und überzeugend macht, aus dem Kontrast von supersanftem Songwriting und expliziten, krassen bis derben Inhalten.