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Motherboard: April 2024

Was hält uns eigentlich zurück? Warum ist elektronische Club-Randmusik so selten so frei und offen wie bei CLARAGUILAR. Der multimedial involvierten Künstler:in aus Barcelona gelingt es auf Figura (Lapsus Records, 29 März) doch so offensichtlich mühelos, das Laute und das Leise, das Gute und das Böse, Art-Pop und Trance-Pads, Kontemplation und Drama, Techno und Breakbeats, Ambient und Hyperpop zu organischen Tracksongs zusammenzufügen. Angesichts dieser wenig festlegbaren und immer auch mit dem Populären spielenden Freiheiten zeigt sich einmal mehr, dass Underground und Mainstream heute nicht mehr über Genre-Purismus funktionieren können. Diesen Verlust von etwas, das früher mal Haltung genannt wurde, kann man beweinen oder feiern. Für Letzteres eignet sich CLARAGUILARs Debütalbum bestens.

Kann es so etwas wie Emo-Ambient geben? Musik, die unauffällig den Raum belegt, den Hintergrund besetzt und doch eine gewisse emotionale Dringlichkeit transportiert, aber eben unter Verzicht der üblichen Werkzeuge der Katharsis wie Volumen, Noise und Gebrüll? Nun, ganz so paradox wie es scheint, ist die Idee nicht, denn was Ciro Vitiello aus Neapel auf The Island of Bouncy Memories (Haunter Records/Hundebiss, 12. April) mit beeindruckender Subtilität wie Nachdrücklichkeit einübt, ist eine nach innen gewandte Emotionsmusik, Expression und Introversion in einem. Nicht zuletzt dank der Gastvokalist:innen CRÆBABE und Zimmy gelingt dieses ambitionierte Projekt auf (ent-)spannende Weise.

Elektronik in Emo-Abstrakt, Sound Art minus human-menschelndem Charakter scheint dagegen eher die Domäne des in Berlin arbeitenden Mattia Onori zu sein. Was definitiv nicht bedeutet, dass die digitalen algorithmischen Sounds vonTra Vento E Oscurità (Southern Lights, 15. März) bar jeder Emotionalität wären. Im Gegenteil, der die Stücke durchwabernde Subbass generiert unmittelbar Körperlichkeit und die brütend gewittrigen synthetischen Klänge bergen eine dunkle Melancholie.

Akustische Blechbläser-Drones und zitternde Hochfrequenzelektronik, der belgische, in Berlin lebende Komponist und Tubist Billy Bultheel mag die möglichen Ausdrucksformen seiner Kunst nicht einschränken und gelangt in den beiden auf Two Cycles (PAN, 3. März) vereinten Werkzyklen doch zu einem extrem stringenten und wohldurchdachten Ergebnis. Das Theatralische, die Performance gehört zur DNA dieser Klänge, arbeitet Bultheel doch vor allem in multimedialen Videokunst- und Tanztheater-Zusammenhängen, am prominentesten etwa mit Anne Imhof. Diese finden vor allem im rhythmisierten elektronischen Noise des Game Cycle ihren Ausdruck. Im von Walter Benjamins Arkaden-Projekt inspirierten Arcade Cycle sind Rhythmus wie Noise suspendiert zu einem hintergründigen Flirren und Zerren, das jederzeit in harsche Noise-Attacken ausbrechen könnte, es aber gar nicht will, überhaupt nicht nötig hat um Intensität zu schaffen.

Marc „Black To Comm” Richters Drittprojekt Mouchoir Étanche hat ebenfalls eine scharfe programmatische und performative Kante und verwendet gerne Blechbläser. Le jazz homme (Cellule 75, 15. März), auf seinem eigenen Label erschienen, baut digitale Wolpertinger aus Sample-Jazz, klassischer Moderne und KI. Musikalisch wie in den begleitenden Videos an der Oberfläche durchaus angenehm nahe an Neoklassik, doch bei genauerem Hinsehen und -hören ziemlich verstörend. Aber auch das nur im ersten Anschein. Die Groteske und Unheimliche, das Krasse und Fremde, das sich mit KI so einfach erzeugen lässt, weil eben das Uncanny Valley des beinahe Wiedererkennens immer schon implizit ist, ist hier in Full Effect. Und spätestens beim wiederholten Hören und Sehen, wenn sich das Geheimnis langsam verflüchtigt, kommt eine verquere Schönheit ans Licht. Unter seinem Eigennamen hat Richter übrigens vor kurzem auch ein Buch veröffentlicht, mit Grafik, die diese Ideen von Verformung und Metamorphose in anderen Medien weiterführt.

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