New Age Sound Aesthetics (Outerdisk, 1. Juni) heißt das Solodebüt der schwedischen Soundarchitektin Kajsa Magnarsson. Allein der Titel weckt Erwartungen, die das Album selbstverständlich locker einlösen kann. Magnarsson, deren mehr als ausreichend seltsame Zusammenarbeit mit Marta Forsberg hier bereits gewürdigt wurde, lässt sich auf erfreuliche Weise keiner Schule, keinem Stil, keinem Genre zuordnen. Kaum begonnen, entwinden sich die Tracks wieder jeglicher Festlegung und enden dann abrupt und viel zu schnell wieder. Free Jazz, als Ambient verstanden (oder umgekehrt), befreit den Kopf und den Körper gleichermaßen.
Die Rekonstruktion japanischer Folklore aus Sampleschnipseln über komplexer Beatarbeit zwischen Juke, Footwork und tribalem Post-IDM, wie sie sich der in Kyoto lebende Produzent KASAI zu eigen gemacht hat, zeugt von maximal erhöhtem Freakfaktor bei vollständiger Kontrolle über alle Tools und Werkzeuge. Meitei mag vorgemacht haben, wie die Tradition in Loops und Beats wieder zu sich findet, Jap Kasais zweites außerhalb von Japan veröffentlichtes Album J/P/N (Chinabot, 31. Mai) ist allerdings noch einige Stufen wilder und abgefahrener. Und bei allem Respekt vor dem Alten – wie bei Meitei – frei von Nostalgie oder restaurativen Ansprüchen. Eben Rekonstruktion aus Dekonstruktion und Destruktion und genialen Beats.
Das experimentelle Duo aus Electro-Producer und The-Knife- und Fever-Ray-Bruder Olof Dreijer & Mt. Sims arbeitet ebenfalls extrem gekonnt und skrupulös an der Dekonstruktion eigener (also fremder) folkloristischer Traditionen, ohne zu Folklore werden zu wollen oder zu können. Auf Souvenir (Rabid Records, 9. Juni) ist es die Steeldrum, die über Loops und elektronische Dekonstruktion dem Exotismus entrissen wird. Dieser von 50 oder mehr Jahren Werbeclips und Urlaubsklischees überstrapazierte, zum touristischen Wohlfühl-Strandpartylauneklischee entstellte Sound, der doch eine spezifische afrokaribische Geschichte und eine kulturelle Funktion hat – ob er durch digitale Prozessierung und antiklischierende Spielweise wieder errettet werden kann? Bestimmt nicht in großem Maßstab. Der Versuch von Dreijer und Sims es dennoch zu erreichen, ist mehr als interessant und überaus gelungen. Der Sound des präparierten Pianos ist schon lange selbst zu einem modernistischen Klischee erstarrt, der Sound der präparierten Steeldrum wirkt dagegen frisch und anders.
Über die zwei Dekaden, die diese Kolumne existiert, und darüber hinaus war die 2016 verstorbene Komponistin Pauline Oliveros eine stete Inspiration im Hintergrund, eine Referenz und Folie für die Auswahl an neuerer Musik zwischen Avantgarde und Pop (simple Formel: was von Oliveros inspiriert ist, kann nicht ganz schlecht sein). Umso erfreulicher, dass nun mit Resonance Gathering (Art Metropole Toronto, 30. Juni) eine der zentralen Kompositionen Oliveros, der immense elektroakustische Drone To Valerie Solanas and Marilyn Monroe in Recognition of their Desperation von 1970, noch einmal neu interpretiert wurde. Das von Christopher Willes kuratierte, mit einem Text von Oliveros’ Weggefährtin IONE ergänzte und vom interdisziplinären kanadischen Performance-Kollektiv Public Recordings umgesetzte Projekt dokumentiert die Aufführung als Kombination aus toll gestalteter Doppel-LP mit Bonus-Flexi-Disc und Buch mehr als adäquat.
Was die Kanadierin Louise Campbell aus ihrer elektrisch verstärkten und bearbeiteten Solo-Klarinette herausholt, gehört zum Spannendsten, was in den vergangenen Jahren zwischen akademischer Elektroakustik und Pop-inspiriertem Ambient passiert ist. Die langformatigen Stücke auf Sources – music inspired by the St. Lawrence Seaway (Redshift Music, 9. Juni) winden die Klänge der Holzbläser in Elektronik und digitale Prozesse. Verdopplungen, Verschiebungen, Resonanzen und Phasenüberlagerungen, die sich in unmittelbar verständlichen Wellensounds wiederfinden.