Felix Benedikt alias Alpha Tracks steht an der Speerspitze einer Generation von Techno-Produzent:innen, die sich in der Mitte der Zehnerjahre dem umstrittenen Genre Trance zugewandt haben, um dieses neu zu denken und im Techno-Kontext zu rehabilitieren.
Ab 2016 hat sich auch der Wiener DJ und Producer als einer der Protagonisten der Szene etabliert. Seine Veröffentlichungen auf Labels wie Morbid, Ute.Rec, Blue Hour oder Slash geben Aufschluss darüber, wie gut vernetzt diese vergleichsweise junge Szene bereits ist. DIY-Strategien werden hier groß geschrieben, Star-Hypes überwiegend vermieden. Man hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Auch Benedikt ist darauf bedacht, als Person im Hintergrund zu bleiben.
Seine Instagram-Page hat mehr von einem Post-Internet-Art-Account, als dass sie Aufschluss darüber gäbe, welche Person hinter dem Künstlernamen steckt. Dennoch wächst seine Fanbase konstant. Jedes Wochenende spielt er in einem anderen Club, darunter das Bassiani in Tiflis, das FOLD in London oder das Basement in New York. Zu Beginn dieses Jahres hat er nun sein einjähriges „Subscription Project” gestartet, das Abonnent:innen mit einem neuen Track pro Woche versorgt.
Alpha Tracks hat einen überdurchschnittlich hohen Output. In den letzten sechs Jahren sind 15 Platten und rund 100 Tracks erschienen. Darauf zu finden ist druckvoller High-BPM-Techno („Gunmetal”) ebenso wie kosmischer Ambient („Live At Parken”), funkelnder Deep House („Salome”) genauso wie trippiger Atmo-Hardcore („Mind Over Mayhem”). Benedikt ist ein stilistischer Gestaltenwandler, er beherrscht unterschiedliche Sprachen. Es ist gerade diese Wandelbarkeit, die es ihm ermöglicht, Genres zu hybridisieren und einen neuartigen Style zu kreieren. Vor allem die Kombination aus harten, schnellen Techno-Beats und emotionalen Neunziger-Trance-Synths wurde zu seinem Signature-Sound.
Aber springen wir zurück ins Wien der Neunziger. Damals war das Label Cheap das Aushängeschild für österreichischen Techno. Ebenfalls geprägt von einem kompromisslosen DIY-Ethos lieferte das von Patrick Pulsinger und Erdem Tunakan gegründete Label den Beweis dafür, dass man es auch aus einer so verschlafenen Stadt wie Wien in die Welt hinaus schaffen kann. Als Teenager freundet sich Benedikt mit diesen zwei Generationen älteren Protagonisten der Wiener Technoszene an und erfährt durch sie seine musikalische Sozialisierung. Als 16-Jähriger arbeitet er im legendären Plattenladen Cheap Records. Er beginnt mit dem Auflegen, und ein paar Jahre später auch zu produzieren. 2015 übernimmt er das exzentrische Cheap-Sublabel Morbid, auf dem seine erste Veröffentlichung erscheint. Nebenbei arbeitet er im Plattenladen Tongues. Mit den Jahren erarbeitet er sich so ein solides Basiswissen: Von den Cheap Gründervätern lernt er, wie man ein Label betreibt, musikalisch nimmt er alles auf, was er in die Finger bekommt.
Immer hingezogen zu den trancigeren Projekten
Besonders prägend sind der Sound Detroits und Chicagos, Acid House, Hardcore Techno, House, IDM und Ambient. In den frühen Zweitausendern kommt er das erste Mal mit Trance in Berührung: „In meiner Techno-Sozialisierung fühlte ich mich immer zu den trancigeren Projekten hingezogen, wie zum Beispiel Red Planet, gewisse Underground-Resistance-Platten, Synewave oder auch Djax-Up.” Die erste richtige Auseinandersetzung mit Trance kam aber durch seinen Freund Mike Inzinger. „Mike ist einer der passioniertesten Vinyl-Digger, die ich kenne. Er kam oft von seinen Streifzügen durch Second-Hand-Plattenläden zurück und legte dann diese B-Side-Tracks von Trance-Platten auf, von denen man noch nie gehört hat. Das war Musik, die sonst niemand hörte, aber ich hab’ mich direkt in sie verliebt.”
Trance. Nachdem das Genre in den frühen Neunzigern in Europa aufgekommen war, kam es innerhalb kürzester Zeit zum totalen Ausverkauf. Der Starkult um DJs wie Harthouse-Macher Sven Väth und die Eurotrance-Ikonen Armin Van Buuren oder Paul van Dyk hatte extreme Ausmaße angenommen, die Tracks wurden immer funktionaler. Es war Rezeptmusik, die Verkaufszahlen standen im Vordergrund. Das Genre war mit Major-Label-Deals und Stadionevents im Mainstream gelandet, der letzte Underground-Vibe war gekillt. Trance schien bereits drei oder vier Jahre nach seinem Aufkommen keine valide künstlerische Ausdrucksform mehr zu sein. Trance war cheesy, flach, gefällig, ein schneller Fix, mit dem Fokus auf Melodien mehr Pop als Techno. Er war das Gegenteil von real.
„Das war Musik, die sonst niemand hörte, aber ich hab’ mich direkt in sie verliebt.”
„Die frühe Techno-Bewegung war definitiv sehr politisch, antikapitalistisch und rebellisch veranlagt und daher nicht gerade begeistert von den jungen Trancern die Ende der Neunziger ihre Musik per Privatjet in schicke Clubs flogen und dabei einen Emo-Spinoff ihres heiligen Techno-Genres in eine Geldmaschine verwandelten”, konstatiert Benedikt. „Es gab definitiv einige Sparten des Trance, die im totalen Mainstream endeten. Aber es gab definitiv auch eine Art von Techno-Elite, die die Idee von Purismus und Minimalismus forcierte und Trance aus dem Spektrum des guten Geschmacks verbannte. Die neue Generation folgt diesen Geschmacksdogmen nicht mehr. Sie kann das Genre frei von Ressentiments und Schuldgefühlen neu für sich entdecken.”
In Luke Standing von Blue Hour, einem in Berlin stationierten DJ, Producer und Labelhead findet er schließlich einen Gleichgesinnten. 2019 veröffentlicht er auf dessen Label die EP Contract Labour. Es ist der Startschuss für seine internationale Laufbahn. Der Release enthält unter anderem den Track „Arise”, dessen posteuphorischer Afterglow-Vibe an Sonnenaufgänge auf Ibiza erinnert. Die Nummer ist so kitschig schön, dass gilt: Either you hate it, or you love it. Alpha Tracks selbst hält nichts von Geschmacksdoktrinen. „Ich habe eine Vorliebe für Pathos, und ich schäme mich nicht, den Zustand der Euphorie, ob chemisch induziert oder nicht, durch Musik zu bedienen.”
Gleichzeitig geht es nicht nur um den Zustand der Euphorie. Über den meisten Tracks liegt auch ein Gefühl von Melancholie und Abgeklärtheit. Dafür verantwortlich sind die melodisch-atmosphärischen Synth-Lines. Sie sind inspiriert von IDM-Acts wie Bochum Welt, Autechre, L.F.O. oder Boards of Canada und transportieren eine atmosphärische Tiefgründigkeit, die mit den typischen Trance-Tracks der Frühzeit bricht.
Die kollektive Hinwendung zu einem Genre, das vor 30 Jahren seine Hochzeit feierte, lässt, ebenso wie das erwähnte Gefühl der Melancholie, an das von Mark Fisher entwickelte Konzept der Hauntology denken. Es sind die Geister der Vergangenheit, die uns heimsuchen. Das 21. Jahrhundert, so die These, ist erschöpft davon, nach dem Neuem zu suchen, stattdessen wendet man sich wieder der Vergangenheit und vergangenen Ästhetiken zu.
Paradigmatisch dafür steht die zyklische Hinwendung zu Retro-Styles. Fisher nennt das nicht postmodern, sondern die „slow cancellation of the future”, was wiederum verbunden ist mit einem tiefsitzenden Gefühl der Nostalgie und Melancholie. Während uns die Gegenwart mit Krisen, Kriegen und Katastrophen umgibt, sehnen wir uns in eine unversehrte Vergangenheit zurück, und blicken gleichzeitig auf unsere lost futures.
Melancholie meint, wenn man nach Sigmund Freud geht, nichts anderes als das Trauern über Vergangenes, das Trauern um einen Verlust. Künstler:innen, die man unter Hauntology fasst, treibt so ein Heimweh nach der Vergangenheit an, während sie mit der Unmöglichkeit einer Gegenwart konfrontiert sind. Ließen sich nicht auch manche Nummern von Alpha Tracks auf diese Art interpretieren? „Ich bin keine nostalgische Person per se, aber mein musikalischer Background spiegelt sich unbewusst natürlich auch in meinen Produktionen wider. Ich suche nach Dingen, die in meinem Gedächtnis nachhallen, und versuche, Stimmungen, die auf mich wirken, in den Tracks zu verarbeiten”, meint Benedikt.
Auf einer seiner erfolgreichsten Nummern, „Elektra”, kontrapunktiert er eine Uptempo-Rhythmus-Sektion mit melodramatischen, stotternden Vocal-Chords, die so wehmütig sind, dass man tanzend Losheulen könnte. „Ich denke, dass die Emotionalität von Trance oft eine Art von Larger-than-life-Perspektive auf das eigene menschliche Bewusstsein oder eine Reise ins Unbekannte hervorruft”, meint Benedikt dazu. „Ich will das analytische Ich eigentlich loslassen, um etwas zu schaffen, das eine ganz bestimmte Stimmung erzeugt.”
Er vertritt einen intuitiven Ansatz, wenn es um die Auswahl von Sounds und Vocal-Samples geht. Letztere spielen in seinen Tracks eine wichtige Rolle. Er setzt diese bewusst nach ihren atmosphärisch-emotionalen Qualitäten ein. Gleichzeitig sieht Benedikt das Sampeln als Möglichkeit einer „referenziellen Rekontextualisierung, die Suche nach dem Neuen folgt einer Geste der künstlerischen Appropriation.” Lässt sich das Neue am besten im Alten finden? „Ich denke, wir befinden uns in einer Zeit, in der die verschiedenen Innovationen der letzten 30 Jahre, die in so kurzer Zeit geschaffen wurden, neu miteinander verknüpft werden können, in der lose Enden in neuen Kombinationen zusammengefügt und erweitert werden können. Darin sehe ich das Potenzial für Trance. Ich bin nicht auf der Suche nach dem neuen Neuen.”
Vor einigen Jahren hat der Produzent mit dem norwegischen Ute.Rec ein Label gefunden, dessen Betreiber einen ähnlichen Zugang vertreten. Mit Filip Storsveen alias Oprofessionell, einem der Labelheads, hat Benedikt 2020 auch das Duo Kineta ins Leben gerufen. Dass sich innerhalb kürzester Zeit ein funktionierendes, internationales, bislang vorwiegend europäisches Netzwerk für diese Art von Sounds etablieren konnte, beweist auch die 2022 erschienene EP Slash 001 von Alpha Tracks. Es ist die erste Veröffentlichung des neu gegründeten Labels von KI/KI, einer der erfolgreichsten Trance-DJs derzeit.
Dass sich der Musiker nicht nur mit ästhetischen Fragestellungen befasst, sondern sich auch kritisch mit Produktions- und Vermarktungsmechanismen auseinandersetzt, beweist das im Jänner 2023 von Benedikt gelaunchte „Subscription Project”. Es ist ein einjähriges Pilotprojekt, das einem neuartigen Konzept folgt. Die Abonnent:innen werden jede Woche via Bandcamp mit neuem, exklusiven Material versorgt.
Das Ganze folgt einer strengen Regelmäßigkeit und einem krassen Output-Rhythmus: Jeden Donnerstag landet ein fertig produzierter Track in deiner Bandcamp-Collection. Regulär zu kaufen gibt es die auf diesem Weg erschienenen Tracks dann erst Ende des Jahres. Das Projekt folgt dem Bedürfnis, alternative, direktere Distributionswege zu erschließen. Es ist ein kritischer Kommentar zu den Bedingungen einer Industrie, in der Musiker:innen am Ende einer langen Verteilungskette stehen. Und es ist ein Experiment: ohne auf dazwischen geschaltete Labels, Distributionen, Presswerke, Verlage oder Streaming-Anbieter angewiesen zu sein, wandert der Track quasi aus dem Schlafzimmer des Produzenten direkt auf die Festplatte der Konsument:innen.
Diese Form der digitalen, selbstverwalteten Nahversorgung nutzt am Ende nur folgerichtig die Möglichkeiten, die das Internet bietet. Man ist nicht mehr von großen Labels, Vertrieben oder anderen Einrichtungen abhängig, um sein Publikum zu erreichen. „Bandcamp ermöglicht mir eine sehr direkte Supply Chain von der Produktion bis zum Verkauf. Die Strukturen der Musikindustrie sind in dem Mikrokosmos, in dem wir uns bewegen, nicht dafür geeignet, um Geld mit der eigenen Musik zu verdienen”, so Benedikt. „Und Streamingdienste sind die größten Ausbeuter.” Die Vinylproduktion sei wiederum „so teuer, dass man überdurchschnittlich viel verkaufen muss, um überhaupt die Kosten decken zu können.” Diese Strukturen sind nicht darauf ausgerichtet, dass man Geld mit seiner Musik verdient. Am Ende zahlen nur deine Gigs die Rechnungen. Mit meiner Strategie verzichte ich auf die Reichweite eines etablierten Vinyl-Labels, einer Streaming-Plattform oder auch auf die Haptik einer Platte, dafür sind die gesamten Einnahmen mein Reingewinn.”
Es ist ein Neudenken der Verteilungskette, das Rebellieren eines Kreativen gegen die vorherrschenden Mechanismen der Industrie, ein Auf-den-Kopf-Stellen hierarchischer Verhältnisse. Dafür nimmt er auch den fordernden Output-Rhythmus in Kauf: „Mir gefällt die Idee, ein Musikarbeiter zu sein, bei dem die künstlerische Arbeit entmystifiziert wird.” Vinyl-Releases wird es also dieses Jahr von Alpha Tracks keine geben. Wie er sich das in Zukunft vorstellt? „Das Projekt ist ein in sich geschlossenes System und wird nicht auf Vinyl erscheinen. Nächstes Jahr werde ich wieder Platten produzieren, vielleicht biete ich zusätzlich eine abgespeckte Version des Abo-Programms an.”
Noch kann sich jede:r das Abo zulegen. Ist man unentschlossen, gibt es jedes zudem die Möglichkeit, sich einen Remix der Tracks anzuhören. Die Mixes stammen von befreundeten DJs: Ute.Recs Marius Bø, Spekki Webu, DJ Maria und auch seine frühe Wegbegleiterin Philippa Pacho sind dafür am Start.
Die englische Fassung des Interviews mit Alpha Tracks erschien auf Struma+Iodine.