Kouslin – Patterns EP (Livity Sound)
Drei Jahre nach seiner 2020 Vision EP kehrt Kouslin auf Peverelists Bristoler Bass-Music-Label Livity Sound zurück, im Gepäck vier Tracks mit unterschiedlicher Intensitätsdichte. Die Geschwindigkeiten wechseln. Beide A-Seiten-Stücke traben mit circa 170 BPM auf dem Papier flott voran, tragen, dem Sounddesign geschuldet, jedoch Bristols basshistorische Schwere in sich – auch wenn Kouslin Londoner ist –, die die Musik wiederum bremst und letztlich in perfektem Bass-Techno-Swing enden lässt. Lose Rhythmen im Bleep-Bereich verleihen ihnen zusätzlich paranoide Schärfe.
Die B-Seite hingegen befindet sich im momentan sehr beliebten 100-BPM-Bereich. „King” ergründet mit mutierten Dancehall-Rhythmen und kilometerlangen Hall-Fahnen den dubbigen Bereich britischen Musik-Erbes, „Michael” dagegen bildet die Ausnahme der EP, in dem Sinne, dass hier melancholisch mäandernde Melodien die Schwere des Klangs mit kompositorischer Weichheit kontrastieren und die Veröffentlichung perfekt abrunden wie auch beenden. Tim Lorenz
Minju – Mani Mani (Public Possession)
Von der Produzentin und DJ Minju ist zu erfahren, dass sie in Offenbach lebt. Und wie es aussieht, ist Mani Mani auf dem Münchener Label Public Possession ihre erste Veröffentlichung. Andererseits war sie 2018 schon einmal in Taipei als DJ in Erscheinung getreten, also wer weiß?
Die sechs Nummern ihrer EP lassen unterschiedliche Interessen erkennen, auf introspektiv reduzierte elektronische Pop-Miniaturen folgen abenteuerlustige Clubhybride. So ist der Titeltrack eine Acid-Nummer, die durch eine hochgepitchte Stimme mit der insistierend wiederholten Formel „Mani Mani” einen Hauch von spukhaftem J-Pop bekommt. „Come Close to Me” hingegen beginnt verträumt-verhallt, um sich auf halber Strecke unerwartet zum Techno-Monster aufzubäumen. Nach zweieinhalb Minuten ist dann schon wieder Schluss. Starker Einstand. Tim Caspar Boehme
Nachtbraker – Capichone EP (Peach Discs)
Was macht diese EP anders als 90 Prozent aller anderen? Ein entscheidender Faktor ist, dass auf Capichone Dur im Gegensatz zu Moll eine größere Rolle spielt als in der Techno-House-Welt üblich. Dur, Moll, hä? Wem das nichts sagt, hier ein kurzer Exkurs: Ein Stück ist in Moll, wenn man über die dominierende Harmonie „What Shall We Do With The Drunken Sailor” singen kann. Klappt das nicht, steht es in Dur – so die flapsige, aber wunderbar funktionierende Kurzerläuterung von Musiklehrer:innen.
Dur wird im europäisch geprägten Kulturkreis mit Freude und Positivem assoziiert, und genau solche Gefühle löst auch die neue Nachtbraker-EP aus und hebt sich damit wohltuend vom Melancholie-Kitsch ab, der oft die Dancefloors dominiert. Denn, hey, Disco ist Lebensfreude. Und diese Freude verwandelt Maurits Verwoerd alias Nachtbraker ohne falsche Lieblichkeit in tanzbare Musik zwischen Disco-House, moderatem Techno und flottem Breakbeat – und wenn doch in Moll, dann ohne Betroffenheitsmaske. Mathias Schaffhäuser
Philip D Kick – Off World Tales (Astrophonica)
Om Units Footwork-Jungle-Projekt geht in die dritte und angeblich letzte Runde, wobei der Infotext zur EP mit einem „Was die Zukunft bringt, wer weiß?” kryptisch endet. Was Off World Tales bringt, ist jedoch offensichtlich: Einerseits genrekonstituierende Soundelemente, andererseits kein Bedienen des standardisierten Rahmens von Jungle und Drum’n’Bass, vor allem nicht, was die Arrangements anbetrifft. Jim Coles, wie der Künstler im echten Leben heißt, kreiert stattdessen Kondensate – „DJ-Tools”, wie er sie nennt –, die nichts vermissen lassen, die gerade aus der Reduktion auf im Schnitt dreiminütiges DJ-Futter ihre Legitimation ziehen.
Die Tracks sind rau, nie verspielt, und vor allem nicht überladen mit Effekten wie ewigen Hallfahnen und todgehörten Delays, kitschigen Synthesizer-Sounds und überflüssigen Vocalsamples – ebenjenen Elementen aus dem Jungle-Baukasten, die allzu viele Stücke schon verdorben haben. Wir hoffen auf die vierte Staffel! Mathias Schaffhäuser
Spray – VT Trad (Kalahari Oyster Cult)
Der Ire Tiarnan McMorrow lebt in Berlin und betreibt dort das Label Spray, auf dem er sich Trance und Verwandtem widmet. Als Produzent nennt er sich wie sein Label, mit der Musik hält er es dabei ähnlich. Hohes Tempo, pumpende Bässe, gurgelnde und kreiselnde Synthesizer, gelegentliche Stimmensamples wie im Titeltrack. McMorrow ist durch den Lockdown in der Pandemie auf den Geschmack gekommen, zumindest aber zum Entschluss, die Sache ernsthaft anzugehen.
Die in der Zeit aufgestaute Energie scheint sich gegenwärtig für viele durch den wiederbelebten Trance-Puls am besten freisetzen zu lassen. Spray tut das mit Stilbewusstsein und ohne allzu trashige Referenzen. Selbst wenn man sich vielleicht ein wenig dafür schämen mag: Hat was. Tim Caspar Boehme