VA – It’s Not A Bug, It’s A Feature (Fever AM)
Mor Elian und Rhyw zelebrieren den fünften Geburtstag ihres Labels Fever AM. Zur Feier des Tages beschenken sie uns mit einer hochkarätigen Compilation. Gut zwei Drittel der Tracks können im weitesten Sinne Breakbeat mit (Post-)Dubstep-DNA zugeordnet werden. Der erste Höhepunkt ist der technoide vierte Track von Mor Elian, dessen Sounddesign mit Electro zu tun hat. Gleichzeitig ist „Swerving Mantis” auch abgekoppelt von jedem Genre-Konsens und dessen dazugehörigen Klangmustern – wie eigentlich alle Stücke der Compilation. Denn das zeichnet Fever AM durchgehend aus: Der Wille zur Modernität und das Verlangen nach einem Sound, der nach vorne gerichtet ist – bei allem Traditionsbewusstsein, das auch nicht verleugnet wird.
Weitere Highlights auf der mit It’s Not A Bug, It’s A Feature herrlich betitelten Compilation sind die wilde und facettenreiche Acid-Dubstep-Collage „Squishy Windows” von Pariah und Son of Philips „Raleigh Banana”, ein ebenfalls technoider und sehr energetischer und vielschichtiger Track mit einem riesigen Sound- und Einflussspektrum: Sub- und Wobble-Bässe, psychedelische Soundschlieren, im Hintergrund nervös werkelnde Breakbeat-Loop-Destillate inklusive animierter Kesselpauken und eine stur stampfende Kick. Dies alles zu einem übersichtlich-luftigen Track zu ordnen, daran würden 90 Prozent aller Produzent:innen verzweifeln – bei Son of Philip klingt alles spielerisch leicht. Mathias Schaffhäuser
VA – Sheva (Malka Tuti)
Das Berliner Label Malka Tuti lebt seit 2015 von musikalischer Vielfalt. Dabei kann es sich „um einen poppigen Afterhour-Song, eine verträumte House-Veröffentlichung, einen EBM-Knaller oder eine Verschmelzung von ‚world music’ mit analogen elektronischen Beats” handeln, wie es im Pressetext heißt.
Musikalische Vielfalt bedeutet aber auch Beliebigkeit. Doch: Durch alle ihre Veröffentlichungen ziehe sich eine eindeutige Klangsignatur, deren Charme gerade darin liegt, dass sie sich zeitweilig auflöst, so die Labelgründer Asaf Samuel and Guy Kenneth.
Ihre neueste Veröffentlichung Sheva („Sieben”) startet mit dem israelischen Producerduo Red Axes als Downtempo-80s-Disco-Verweis editartig und Darkroom-düster. Khidjas Dub-Remix tuckert geil auf der verkehrten Cosmic-Straßenseite den flackernden Scheinwerfern entgegen, als hätte Daniele Baldelli versehentlich die 45-RPM-Vinylscheibe auf 33 Umdrehungen pro Minute gespielt. Wirre Stimmen zu Beginn des Tracks erinnern an Stereo MCs „Connected”. „Chebechu (Phew Remix)” orientiert sich am psychedelisch-brasilianischen Candomblé-Voodoo-Zaubergesang ohne Trommeln.
Der Remix von Nicola Cruz macht schön verhallt weiter. Verheißungsvoll bleibt Benedikt Freys „Elevator” CR-78-artig im Muzak-Mode stecken. „Dance Alone” versucht dem Aufzug mit 90s-Britpop-Leftfield und 80s-Wavesynth zu entfliehen. Yovav packt mit „Short” die TR-707 aus und surft zwischen Madchester-Rave und Gitarren-Disco zeitvergessen in Vergangenheiten. Während Dechas „RO_2” mit Obertongesang nach Nepal reist, mischt „Cats” danach Phil-Collins-Drums mit verloren-leidendem Frauengesang.
Es scheint, als wäre der Catalogue of Cool in Bezug auf discoide, psychedelische und Drogen-Musikkultur gelesen worden. Mirko Hecktor
DJ Scriby, DJ Mariio & DJ Skothan – The Gqom Trilogy (Hakuna Kulala)
Bei dieser Compilation von Hakuna Kulala handelt es sich nicht um eine Sammlung individueller Tracks diverser Musiker:innen. Vielmehr versammelt The Gqom Trilogy drei Alben dreier Künstler im Paket. Die Produzenten DJ Scriby, DJ Mariio und DJ Skothan aus Durban haben je eine Platte beigesteuert, die man ebenso gut für sich hören könnte. Die Vinyl-Ausgabe hilft da durchaus, digital drohen die Unterschiede etwas unterzugehen – man läuft Gefahr, die Sache als einen monolithischen Block zu hören. Und der ist massiv.
DJ Scriby legt mit „Goi” zwischen zähflüssigem Dronebass zu durchpeitschenden Roboterclaps einen heavy Auftakt hin. Entspannung ist bei ihm nicht drin, bedrohliche Frequenzen dominieren seine Tracks. Ein wenig mehr Luft zum Atmen gestattet DJ Mariio, vielleicht auch, weil bei ihm mehr Stimmen im Mix auftauchen. Nachdrücklich hämmernde Synkopen sind bei ihm ebenfalls dabei. DJ Skothan schickt erst einmal die Hunde los, bevor bei ihm getrommelt werden darf. Er wechselt Stimmungen und verwendete Zutaten am stärksten, das hat eher etwas von hochkonzentrierter Euphorie als von unheilbringendem Gebrodel. Das mag auch an den zwischendurch auftauchenden Gastvokalisten liegen.
Ein gutes Gqom-„Trio” mit unterschiedlichen Stärken. Tim Caspar Boehme
Theo Parrish – DJ Kicks (!K7)
Warum die neue DJ-Kicks von Theo Parrish so besonders ist, erklärte GROOVE bereits: Der Detroiter Produzent veröffentlicht selten DJ-Mixe und noch seltener jenseits seines Labels Sound Signature. Seine Rollen als Label-Betreiber, Produzent und DJ macht ihn für die langjährige DJ-Kicks-Serie von !K7 umso interessanter. Sein Mix zeigt keine musikalische Geschlossenheit, weder im Sounddesign noch in der Geschwindigkeit oder dem Genre-Denken. Parrish nutzt vielmehr die Gelegenheit, unbekannte Namen aus Detroit und Umgebung zu versammeln.
De’Sean Jones & Ideeyah eröffnen mit dem Soul-gesättigten Downbeat-Stück „Pressure”, später tauchen sie ein zweites Mal mit dem Bongo-und-Flöten-House-Track „Flash Spain” auf. Specters „The Upper Room” aquarelliert verwaschenen House, Whodat ergibt sich Theo Parrishs Beat-Geometrien, während Raybone Jones’ „Green Funk” aus ihnen Alchemie lehrt. Die Vielfalt der Detroiter Szene zeigt sich auch an Hudsons Dub-Stück „Raj Mahal”, dem die superrationale Drum-Straightness von H-Fusions „Experiment 10” entgegensteht.
Am Ende hört man eine DJ-Kicks, die das Können eines Meisters zeigt, der sich nicht auf seinem Status ausruhen möchte. Christoph Braun
Unique 3 – 33/45 (Originator Sound)
34 Jahre ist es her, dass die magische Melodie von Unique 3s „The Theme” das erste Mal erklang und die markerschütternde Bassline über nordenglische Dancefloors – und in Folge die der ganzen Welt – krachte. „The Theme” schrieb sich als Track des distinktiv-britischen Subgenres des Bleep Techno (oder auch Bleep & Bass) in die Dance-Music-Annalen ein. Neben anderen Innovatoren des Bleep-Stils wie LFO oder den frühen Nightmares on Wax kam die Producer-Combo Unique 3 trotzdem lange zu kurz. Ein Zustand, dem erst Matt Anniss’ exzellentes Buch Join The Future: Bleep Techno and the Birth of British Bass Music Abhilfe schuf.
Das Label Originator Sound setzt die Wiederentdeckung fort: 33/45 präsentiert mit alten Originalen, unveröffentlichten Cuts und neuen Edits die große Bandbreite von Unique 3. Neben furztrockenem Bleep-Maschinenfunk hört man Electro, Ragga sowie Acid-, Piano- und Hip-House – ein Genremix, der von der Crew aus Bradford in unnachahmlicher Weise vereint wurde. Etwa in dem hypnotischen Vocal-Track „Rhythm Takes Control” mit Karen Minott am Mikrofon. Oder dem Hands-in-the-Air-Housetrack „No More”, auf dem Erica Harold singt. „Activity” besticht durch Proto-Drum’n’Bass-Breakbeats; der Ragga-Hip-Hop-Hybrid „Reality” durch Devon Bantaans Raps.
Unique 3 haben vor über 30 Jahren ein Fundament von gebrochenen Rhythmen und tiefsten Basslines gegossen, das noch immer nicht langweilig geworden ist. Tim Lorenz