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Motherboard: September 2022

Max Loderbauer, den man im Groove-Zusammenhang definitiv nicht mehr vorstellen muss, gehört zu einer Generation von Produzent:innen, in der sich die Dialektik noch fest in das Denken und Machen von Musik eingeschrieben hat. Kein Licht ohne Schatten, keine Schönheit ohne Widerhaken, kein Pop ohne Stringenz. Ein Zugang zu Sound, der im Minimal Techno seine beinahe ideale Form gefunden hat. Nun ist Minimal auch schon mehr als 20 Jahre her, und alle machen irgendwie weiter, irgendwie gleich und doch anders. Ein Stück dieses Sentiments ist daher noch in Petrichor (Marionette, 28. September) zu entdecken. Der Minimalismus hat sich in das instrumentelle Setup zurückgezogen, in einen Synthesizer von Buchla und ein Fingerboard von Haken. Die Strenge findet Ausdruck in den begrenzten Manipulationsmöglichkeiten der Vintage-Maschine, kondensiert in acht ganz simple Stücke von hoher Komplexität, von unmittelbar wirkender Eleganz – ebenfalls ein Stichwort, das zu Loderbauer immer gepasst hat)

Die New Yorker Produzentin James K scheint etwas von diesem Affekt geerbt zu haben. In ihrer Persona übersetzt sich die Signal-Noise-Dialektik allerdings nicht in Minimalismus, sondern im Gegenteil in die Vervielfältigung von Identitäten und darin in das Nehmen von Freiheiten. Eine, die zu lose flirrenden Techno-Pop Tracks führen kann, zu verwaschen-verzerrten Shoegaze-Songs wie zu elektroakustischen Stimmexperimenten – gerne im selben Stück. Auf Random Girl (Incienso, 30. September) ihrem Debüt für Anthony Naples’ Label, bekommt man diese visuell und klanglich angekratzte Nicht-Schönheit, die zuverlässig in Schönheit enden muss, auf konzentrierte Weise. In Your Face.

Lustig ist das Experimentieren. Vor allem wenn zwei ausgemachte Soundnerds wie Albert van Abbe & Jochem Paap (letzterer eventuell bekannter als Rotterdam–Techno-Pionier Speedy J) ein Studio mit herrlich analogem Vintage-Equipment zu einer Klangschmiede umfunktionieren dürfen. Die um die 70 Jahre alten Gerätschaften in den Willem Twee Studios in Den Bosch umfassen Oszillatoren, Oszilloskope, Klangerzeuger und Messgeräte, die ursprünglich einmal zum Testen von Radioübertragungen und zur Kalibrierung von Aufnahmegeräten vorgesehen waren. Aus denen lassen sich aber durch selbstredend ebenfalls analoges Tape-Looping und Overdubbing die absurdesten und tollsten Klänge ziehen. Irgendwas zwischen Drone, Dub und frühem Industrial. Was auf General Audio (Avian, 23. September) zugleich völlig vintage, retro, exklusiv und superneu klingt.

Shiv Ahuja und Jayant Manchanda alias Songs For A Tired City aus und für Delhi haben sich über eine Vorliebe zu klassischen Ambient kennengelernt. Ihr jüngstes Album In Plain Sight (Subcontinental Records, 2. September) geht über diesen Ansatz allerdings durchaus deutlich hinaus. Konzeptuell und klanglich von urbanen Field Recordings ihrer Stadt unterfüttert, sind die Modularsynthesizer-Tracks des Duos absolut modern, und mehr als Ambient reflektieren sie nicht nur die akustische Stadtmöblierung Delhis, sondern eben noch den Stress, die Hitze, die Dichte, den Druck der Stadt, und bleiben doch im Register des Wohlklangs. Müde ist das keineswegs, Ambient und Drone im erweiterten Sinn schon, aber eben nicht nur.

Die aparte Kombination neoklassischer Komposition, unwohltemperiertem Klavier und Synthesizer in Form der in Brüssel zusammengekommenen Christina Vantzou, Michael Harrison & John Also Bennett hat auf dem Trio-Debüt Christina Vantzou, Michael Harrison and John Also Bennett (Séance Records, 3. September) einen nicht zu überhörenden Einfluss indischer Ragas unterlaufen und resultiert in gerichtet improvisierten, sparsamen, Drone-unterfütterten Pianostücken, die durch die gleichstufig temperierte Stimmung, wie sie etwa in der Klassischen Musik Indiens üblich ist, aber seit Werckmeister und Bach eben nicht mehr in der europäischen einen (sehr) subtil-exotischen Klangcharakter, enthält Stimmungen, wie sie zu Zeiten der Minimal Music von La Monte Young auf The Well-Tuned Piano oder Alvin Lucier auf Still Lives exploriert wurden.

Das Köln-Berliner Quartett Das Ende der Liebe fügt auf SCHNE*E (Anunaki Tabla, 23. September) Fragmente von Dub, freier Improvisation und die produktionstechnische Finesse avancierter Elektroakustik in ansatzweise geradeaus flanierenden (Post-)Rock, aus dem einzelne Sounds und Instrumente doch immer wieder ausbrechen und sich ihren eigenen Weg aus dem Unterholz freischlagen. In Stringenz und Strenge, wenn nicht sogar in der physikalischen Anordnung der Töne erinnert das an Radian, wobei sich Das Ende der Liebe doch erlauben, etwas mehr nach Jazz, etwas familiärer, ja einfach weltlicher, körperlicher zu klingen als ihre Referenz. Der Strom, aus dem die Musik gemacht ist, diese umgewandelte Energie, bricht sich hier unmittelbarer den Weg nach draußen, ohne deswegen weniger subtil sein zu müssen.

Eine andere ebenso relevante Referenz für die erwähnten Das Ende der Liebe könnte das Projekt Black To Comm des Hamburger Experimentalelektronikers Marc Richter sein. Der hat für Diode – Triode (Cellule 75, 16. September) erstmals seinen Klarnamen verwendet, was im Entstehungszusammenhang des Albums völlig Sinn macht. Im Rahmen eines Stipendiums am renommierten Pariser Musikforschungsinstitut INA-GRM hat Richter die Erkenntnisse, die bei einer experimentellen, ausprobierenden Herangehensweise an Stimmsynthese herumkamen, auf eine Ebene reinen Sounds umgelegt. Es geht also gerade nicht um bessere Verstehbarkeit oder klangliche Klarheit synthetischer Stimmen, sondern um die Glitches und Pannen, die zu einer elektroakustischen Soundcollage gefügt sind.

Das slowakische, seit längerem in Berlin ansässige Duo und Paar Päfgens entwickelt einen spezifischen, von Elektroakustik und Drone informierten Dark-Ambient-Sound aus einer Indie-Besetzung, die sich aus den Postrock- und Shoegaze-Quellen des Projekts nährt, aber weitaus experimenteller und freier agiert als in den Genres üblich. Die elektrisch zischenden und brummenden Drones ihres jüngsten Tapes Der Regen (Econore, 24. Juni) zeigen exemplarisch, wie Detail- und Ideenreichtum aus konsequentem und insistierendem Ausprobieren entstehen können.

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