Wo wir beim interessant-seltsamem Umgang mit dem eigentlich Wohlbekannten sind: Was der französische Songwriter Eric Chenaux auf Say Laura (Constellation, 18. Februar) macht, geht definitiv über alle Referenzen in Folk, Jazz und World Music hinaus, wird schnell weird und bleibt doch normaler Folk-Pop – oder etwa nicht? Wie das ohne Reibung zusammengeht, ist das offene Geheimnis dieses Albums. Unmittelbar klar ist jedenfalls, dass es funktioniert.
Die experimentelle Popmusik der Produzentin Softmax aus Chicago zieht ihre unmittelbare Kraft ebenfalls aus der Stimme – auf vielfach gebrochene und verspiegelt-verspielte Weise allerdings. Das Debüt But What if There Isn’t? (Psychotic Reaction Music, 18. Februar) auf dem enigmatischen Sublabel (?) von Warp, das sich bislang vor allem um den Output der britischen Soulsängerin Nao kümmerte, verkompliziert und dekonstruiert wohlgeratene Songs aus dem Spektrum des introspektiven Bedroom-R’n’B. R’n’B allerdings betrachtet durch die digitalen Filter der Insta-Generation, zerfleischt in den Selbstzweifeln und Selbstüberhöhungen der Millenials. Was einmal wohlsortierter Popsong war, wandert munter durch die Metabenen und wird zu etwas Neuem und Tollen, bleibt aber auf eine Weise unmittelbar, die immer poppiger R’n’B bleibt. Das exzellente Cover weist einen Weg durch diese Internet-Post-Internet-Kunst: Ein gemalt aussehendes Jewel-Case für einen rein digitalen Release.
Die in Berlin lebende Peruanerin Alejandra Luciana Cárdenas alias Ale Hop setzt ebenfalls auf Stimme und auf globale virtuelle Kollaboration. So sind Stimmen eine von vielen Quellen für die komplexen Soundscapes der hochspannenden LP Why Is It They Say A City Like Any City? (Karlrecords, 4. Februar). Das ist sie nicht zuletzt, weil Cárdenas’ eigentliches, erstes Instrument die Gitarre ist, die hier eine Grundierung abgibt, aber selten als solche identifizierbar ist und definitiv nie dominant. Hier schwirren Samples, Lautsprecher-Durchsagen, Drones, Noise und KI-gesteuerte Synthese als postglobales urbanes Ambiente im Wortsinn durch Stücke, die eine Karte des städtischen Lebens bilden und eine gut erkennbare, brillant schillernde Spur legen, auf der sich Vergangenheit und Zukunft kreuzen werden. Irgendwann einmal.
Der in Bristol lebende Valentin Doychinov stellt die Gitarre etwas erkennbarer in den Mittelpunkt seiner schwer zu fassenden Soundscapes, die Ale Hop nicht unähnlich zwischen crunchy Noise, gewittrigen Beats und dunkelblaunotigen Jazz-Anklängen hin- und herschwirren. Als Abyss Divide nimmt sich Doychinov diese Freiheiten im Rahmen von dunklem Techno, aber unter dem Alias V-Stók kennt er keine Limitierungen. Die Stücke des vierten V-Stók-Albums Liminal (Position Disposition) können zu feingliedrigem Ambient oder dröhnendem Industrial werden. Irgendwo mittendrin streut aber immer eine verwehte Gitarre ihre melancholischen Akkorde.
Der in Österreich lebende Münchner Noah Berger alias Noayama betreibt Beat- und Sample-Dekonstruktion bereits in zweiter Generation. Weniger Glitch und IDM als bei Vater Michael Fakeschs einflussreichem Projekt Funkstörung, referiert Bergers Projekt auf einen japanophilen, samplestarken Instrumental-Hip-Hop, wie ihn etwa Meitei / 冥丁 perfektioniert hat. Noayamas Debüt-EP Yama Calling (Musik Aus Strom) macht definitiv genauso viel nostalgisch-gute Laune wie Meiteis abgefahrene Sample-Oden, setzt aber auf handfestere Beat- und Sample-Arbeit, roh und unmittelbar wie direkt aus dem MPC gerungen.