Der Schweizer Simon Grab beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit der klanglichen Darstellung des Anthropozän, der menschengemachten Wirkungen auf die Erde, unser aller Lebenswelt. Mittlerweile kein selten aufgegriffenes Thema mehr, zeugen Grabs Arbeiten doch von einem etwas anderen Zugriff auf das Anthropozän. Weniger Solastalgie, das mit der Melancholie verwandte individuelle Schmerz- und Stressempfinden, ausgelöst von Umweltzerstörung und Klimawandel, sondern etwas unmittelbar Drängendes, das immer auch akute soziale und gesellschaftliche Aspekte mit einschließt. Diese Dringlichkeit wird auf dem mit Francesco Giudici eingespielten [No]Surrender (-OUS) ganz direkt verstanden, als Warnsirenen aus dem Feedback-Noise der sozialen Missstände und Ungleichheiten.

Und Country-Ambient ist immer noch ein Ding. Sogar – oder vielleicht gerade – wenn er nicht vom Land, nicht einmal aus dem Land des Country und Western kommt, sondern aus der Metropole London, von einem Briten, der sich The Howard Hughes Suite nennt und auf High & Lonesome (The Slow Music Movement, 18. Februar) Ambient-Americana aus Pedal-Steel und Slide-Gitarre, macht wie sie amerikanischer kaum sein könnte.

Das Nashville Ambient Ensemble kommt dann tatsächlich aus dem inneren Kern des Country-Heartlands der USA, ist dafür aber erfreulich divers und innovativ besetzt. Das vergangenes Jahr erschienene Debüt des siebenköpfigen Ensembles, Cerulean (Centripetal Force) ist eine riesengroße Empfehlung, eventuell sogar das Referenz-Country-Ambient-Album des Jahres.

Und Mark Nelson, der Amerika schon im Namen Pan•American führt, setzt ebenfalls auf Pedal Steel, Gitarren-Twang, weiten Himmel und große amerikanische Gefühle. Auf The Patience Fader (Kranky, 18. Februar) so intensiv, klar und transparent wie kaum je zuvor in den mittlerweile 25 Jahren seines Soloprojekts. Dass Nelson dieses Sentiment lebt und perfekt in klangliche Melancholie umsetzen kann, sollte inzwischen bekannt sein. Auf eine extrem zurückhaltende, unaufdringliche Art schafft er es immer wieder aufs Neue, damit zu verzaubern.

Der Pole Tomasz Bednarczyk arbeitet und forscht an den heilenden Aspekten der Psychedelik, was in diesem Fall nicht nur die Wirkung psychotroper Substanzen wie Psilocybin oder Ketamin auf posttraumatischen Stress und Depression meint, sondern vor allem auch die Wirkung von immersivem Sound. Seine Soloarbeiten unter eigenenem Namen hat er dafür 2010 offiziell eingestellt. So kommt seine neue Arbeit Windy Weather Always Makes Me Think Of You (12K, 25. Februar) dann doch etwas überraschend. Wobei sich in der Zwischenzeit doch gar nicht so viel geändert hat. Weit in den Hintergrund gemischte Field Recordings vor allem von Naturphänomenen, von Reisen um den Globus werden mit synthetischen Sounds zu sanften harmonischen Flächen aufgefüllt, zu warmen Drones, nicht unähnlich denen von Celer. 

Psychedelik alter Schule gefällig? Nun, an substanzaffinem Drone-Rock, zumal kalifornischer Herkunft, bestand über die Jahre eigentlich selten wirklicher Mangel. Aber eine Freude ist es dann doch wieder, wenn ein Album aus den Sumpftiefen hervorbricht, das klingt, als wäre es keinen Tag älter als ’67 oder ’92 oder 2022. Microwavelengths (Broken Clover Records, 14. Februar) von Carlton Melton ist so ein Ding. Alt und grau geworden sind höchstens die Bärte der Musiker, ihr fusseliger Freakout-Space-Rock klingt frisch wie immer.

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