Foto: Frank P. Eckert

Dass ein Tag nach dem Release von A Collective Memoir (Urvakan Records, 22. Februar) die Welt vieler der Beteiligten in Flammen stehen würde, ist eine bizarre, elende, bittere Pointe. Das macht die vom Goethe-Institut betreute Compilation experimenteller Elektronik aus der Ukraine, Russland, Georgien und Armenien zu einem Fanal für kulturelle Zusammenarbeit und Zusammengehörigkeit. Gegen den Krieg, gegen jeden Krieg. Und gegen die resignative Vorstellung, dass Kultur nichts bewirken kann im Angesicht von Gewalt und Machtmissbrauch. Vielleicht liegt doch gerade hier die Saat für eine andere, bessere Zukunft, nicht nur in Osteuropa. NIE WIEDER KRIEG!

Im November vergangenen Jahres habe ich es bereits angedeutet: Die Stücke, weder Songs noch Tracks, des Singapurer Duos Aspidistrafly vereinigten so viele, um nicht zu sagen praktisch alle in dieser Kolumne geliebten und wertgeschätzten Ideen und Emotionen als Tugenden. Das dritte Album von April Lee und Ricks Ang, Altar of Dreams (Kitchen Label, 25. Februar), ihr erstes Lebenszeichen nach zehn Jahren, vereint so unglaublich mühelos experimentelle, spooky Soundscapes mit ultimativ sanften wie extrem gut abgehangenen und durchkonstruierten Erwachsenen-Popsongs, die sich vom Jazz, Folk, und J-Pop der Achtziger ebenso inspiriert zeigen wie von manchem Prog und Yacht-Pop der Siebziger, ohne je etwas daraus kopieren zu müssen. Mit der Kraft des zarten, des Zartestmöglichen heilen diese Sounds die Welt in Traumlogik. Nur ein klein wenig. Was schon viel mehr ist als vieles andere. Warum passiert so etwas nicht öfter?

Stimmexperimente aller Art gehen aktuell sehr gut. Was aber die in New York lebende Mexikanerin Delia Beatriz Martínez alias Debit daraus macht, ist schon Next Level. Die wagemutigen Soundscapes auf The Long Count (Modern Love, 18. Februar) packen neben der digital prozessierten Stimme noch ebenso schwer bearbeitete traditionelle Instrumente der Maya in den Mix. Der Effekt einer verfremdeten Stimme, immer ein gewisses Unbehagen auszulösen, sei es ein wohliges Erschauern, eine schleichende Beklemmung oder ein kathartisch Unheimliches wie im Horrorfilm, wird von Debit auf die Spitze getrieben. Die schrillen Sounds von Knochenflöte und Okarina, klangliche Artefakte einer vor langer Zeit gewaltsam untergegangenen Kultur, verstärken den geisterhaften Effekt noch zusätzlich.

Das Trio Dolman / Rossy / Jobin nutzt die Stimme in einem Jazzkontext in maximal ungewöhnlicher Besetzung. Are You Here to Help? (Aaron Dolman, 18. März) wirkt vollakustisch und auf traditionelle Weise experimentell. Doch die subtil pulsierenden, von Ausbrüchen und Glitch dekonstruierten Songtracks sind allein durch ihre ungewöhnliche Besetzung – Schlagzeuger Aaron Dolman und die Stimmen von Sarah Rossy und Eugénie Jobin – schon Cutting Edge, was zeitgenössischen Jazz und zeitgenössische (Nicht-)Elektronik angeht.

Den Arbeiten der schwedischen Alles-Mit-Allem-Experimentatorinnen Kajsa Magnarsson & Marta Forsberg ist die Stimme ebenfalls eine wichtige Inspiration. Die Klangskizzen und Sample-Collagen, die sie zusammen auf die Doppel-Single Kompisitioner (Lamour Records, 25. Februar) montiert haben, können dann zu lupenreinem Beinahe-Pop, zu Ambient oder zu harschem Noise werden. Jedenfalls werden sie selten länger als zwei Minuten und überzeugen durch super freundliche Weirdness.

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