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Ein feministisches Festival engagiert keine Cis-Dudes. Und das Internet explodiert. Peace, Love, Unity und Respect auf dem Dancefloor: Ja, bitte! Wenn es aber darum geht, Platz auf den Bühnen zu machen, ist es mit der Unity offenbar ganz schnell vorbei. Ein Kommentar.
Wenn es nicht so traurig wäre, man könnte fast darüber lachen: „,Das göttliche Weibliche’: Neues Festival kündigt männerloses Line-Up an”, postete das FAZEmag vergangene Woche und löste damit eine Welle der Empörung aus. Eine News, die man seit Anbeginn der Festivalgeschichte in umgekehrter Form wahrscheinlich bei 90 Prozent aller Festivals hätte posten können. Nur, dass „Festival kündigt frauenloses Line-Up an” dann halt keine News gewesen wäre. Sondern einfach der Standard.
Angekündigt wurde hier das Londoner Underground-Festival Risen, das im April an einem Tag an verschiedenen Veranstaltungsorten in Hackney Wick stattfindet. „Celebrating the Divine Feminine” lautet der etwas esoterisch anmutende Untertitel von Risen. Gemeint ist damit, dass sich die Veranstalter*innen bemühen, vor allem Frauen, nicht-binäre und trans*geschlechtliche Menschen auf die Bühne zu buchen und hinter den Kulissen zu beschäftigen. Der Dancefloor hingegen sei aber natürlich offen für alle.
Wäre man wohlwollend und würde zwei Augen zudrücken, dann könnte man zu dem Schluss kommen, dass dieses letzte kleine Detail einigen der etwa 500 Menschen, die die Kommentarspalte unter dem Post sofort mit ihren Gedanken zum Thema Gleichberechtigung fluteten, eventuell entgangen ist. „Techno war mal ein GEMEINSAMES Ding…”, hieß es da. Oder: „Warum? Techno ist für alle da!” Genau, Jürgen, die Grundlagen für Techno wurden sogar von marginalisierten, queeren, nicht-weißen Menschen gelegt – also: hin da!
Auch wenn es mit DJ-Größen wie Amelie Lens, Charlotte de Witte und Nina Kraviz so aussieht, als würden Frauen das DJ-Game unter sich aufteilen, sind sie doch im Verhältnis zur gesamten Szene gesehen eine kleine Minderheit.
Traut man sich aber, die Augen wieder aufzumachen, liest man hier neben plattem Stammtisch-Sexismus („Ach, was fürs Auge is doch auch mal nicht schlecht oder”) – der übrigens nicht nur von Männern kommt („Wer will es sehen? Sorry, frage als Frau”) – vor allem Kommentare von Männern, die nach einer Männerquote schreien, „umgekehrten Sexismus” wittern und sich offenbar derart in ihrer angestammten Machtposition und Deutungshoheit bedroht sehen, dass ihnen nichts Eloquenteres einfällt, als sich selbst als diskriminierte Opfer zu inszenieren.
Im Bezug auf ein Underground-Festival, dem gerade mal 1000 Menschen auf Instagram folgen, scheinen diese Befürchtungen mehr als absurd. Auch mit den besten politischen Intentionen wird es Risen nicht schaffen, ein jahrhundertelang gewachsenes System umzustürzen, an dessen Spitze nach wie vor mächtige Männer stehen (wer sich weitergehend für das Thema „strukturelle Diskriminierung” interessiert, bitte hier entlang). Denn ja, diese mächtigen Männer stehen auch an der Spitze der Technoszene.
Auch wenn es mit DJ-Größen wie Amelie Lens, Charlotte de Witte und Nina Kraviz so aussieht, als würden Frauen das DJ-Game unter sich aufteilen, sind sie doch im Verhältnis zur gesamten Szene gesehen eine kleine Minderheit. Und gebucht werden sie eben trotzdem nach wie vor vor allem von Männern. Peace, Love, Unity and Respect auf dem Dancefloor: Ja, bitte! Wenn es aber ums Geld geht, ist es mit dem Ruf nach Unity und Respect meistens ganz schnell vorbei.
Dank Studien wie der FACTS Survey von female:pressure oder der Initiative Keychange lässt sich das auch mit Zahlen belegen: Als Keychange 2018 mit ihrem Manifest für eine diversere Musikbranche an den Start gingen, lag der Anteil nicht-cis-männlicher Artists auf Festivalbühnen bei gerade mal 14 Prozent. Auch wenn das Bewusstsein langsam im Mainstream ankommt und die Sichtbarkeit steigt, ist der Gender Pay Gap auch in der Kreativbranche ein Thema: 2019 betrug er (in den USA und Kanada) immer noch satte 26 Prozent!
Wenn ein Festival wie Risen durch die schlichte Sichtbarkeit talentierter Frauen, nicht-binärer und transgeschlechtlicher Menschen auf und hinter der Bühne 2022 eine solche Empörung auslösen kann, ist das alarmierend.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Diskussion in den Kommentaren unter dem Post nicht nur zynisch. Sie verzerrt auch die Realität und sorgt für Frontenbildung innerhalb der Szene. Aufgabe eines verantwortungsbewussten Mediums wäre es hier gewesen, die Kommentare und Desinformationen zumindest zu moderieren. Vom FAZEmag gab es jedoch trotz mehrfacher Aufforderung von Leser*innen in der Kommentarspalte keine einzige Intervention, mit der zum Beispiel richtig gestellt wurde, dass auf diesem Festival natürlich alle Genderidentitäten zusammen feiern dürfen. Auch verschwörungsideologische Kommentare blieben einfach unkommentiert stehen.
Erst letztes Jahr war das FAZEmag vom aktivistischen Instagram-Channel iam_a_dj für die 2017 erschienene Kolumne „Die Baukasten-DJane startet durch” von Marc DePulse kritisiert worden. Das Magazin hatte die Kolumne im Anschluss von der Seite genommen und sich mit einem Statement entschuldigt, in dem es hieß: „Das FAZEmag steht für Gleichberechtigung, wir verurteilen Sexismus, Rassismus und Diskriminierung aufs Äußerste.” Dass man im Zuge dessen nicht gleich mal eine Generalinventur im Backend gemacht hat und Artikel wie „Das sind die erfolgreichsten Topless-Deejanes” von 2019 (!) (Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde inzwischen von der Seite genommen, Screenshots ersparen wir euch) gleich mit von der Seite genommen hat, spricht für sich.
Und ein Gutes hat der Shitstorm: Er zeigt, dass wir genau solche Festivals unbedingt brauchen, um deutlich zu machen: Nein, Techno ist nicht nur heterosexuell, weiß und cis-männlich.
Wenn ein Festival wie Risen durch die schlichte Sichtbarkeit talentierter Frauen, nicht-binärer und transgeschlechtlicher Menschen auf und hinter der Bühne 2022 eine solche Empörung auslösen kann, ist das alarmierend. Diese Kommentarflut zeigt schwarz auf weiß, welchen Sexismen FLINTA* im Musikgeschäft tagtäglich ausgesetzt sind. Sich unter diesen Vorzeichen überhaupt auf eine Bühne zu stellen, erfordert Mut. Festivals wie Risen sind daher ein Refugium, ein safer space, an dem sich alle mal kurz Luft zum Atmen verschaffen können. Wahrscheinlich also gar nicht so schlecht, wenn die Techno-Trolle aus der Kommentarspalte dort nicht hinkommen.
Und ein Gutes hat der Shitstorm: Er zeigt, dass wir genau solche Festivals unbedingt brauchen, um deutlich zu machen: Nein, Techno ist nicht nur heterosexuell, weiß und cis-männlich. PLUR bedeutet nämlich auch, sich mit FLINTA* zu solidarisieren und seine eigenen Privilegien zu hinterfragen. Denn, ja: Techno ist für alle da.