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[REWIND2024]: Ist das Ritual der Clubnacht noch zeitgemäß?

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Dieser Text ist Teil unseres Jahresrückblicks. Alle Texte findet ihr hier.

Wir sind uns wohl einig: Die letzten Jahre liefen für die Clubkultur suboptimal. Das Versprechen, dass nach den entbehrungsreichen Pandemiejahren alles wieder so wird wie vorher, blieb schmerzhaft uneingelöst. Was lässt sich also über 2024 sagen? Erst mal nicht viel Positives. Ein kleiner Abriss aus der Berliner Blase: Im August gibt die Renate bekannt, dass sie Ende 2025 – nach dann 18 Jahren – schließen muss. Im September folgt mit dem Watergate – nach 22 Jahren – die zweite Berliner Club-Institution. Klar, beide sind vom Wohlwollen eines notorischerweise nicht sehr wohlwollenden Vermieters abhängig. Das kehrt den Trend, der sich daraus ableiten lässt, aber nicht um. Clubs geht es schlecht, auch ganz ohne die anlasslose Verdopplung von Mieten.

Renate Biergarten
Nicht nur der Garten der Renate, auch der zugehörige Club schließt Ende 2025 (Foto: Wilde Renate)

Das gilt für die Berliner Szene im Speziellen, die deutsche, aber auch für die internationale. Die Ursachen dafür sind, wie könnte es anders sein, multikausal, soll heißen: Es liegt nicht nur am Geld, dass Clubbetreiber:innen allenthalben ächzen. Spätestens nach diesem Jahr stellt sich die Frage, ob das Konzept von Clubs als ganzheitliche kulturelle Einheit überhaupt noch trägt, ob wir uns Clubs noch leisten können – und wollen.

Schließt schon Ende dieses Jahres: Das Watergate (Foto: Marie Staggat)

Zu Beginn des letzten Jahres untersuchten wir in der GROOVE #177 unter anderem das Feierverhalten der nachwachsenden, insbesondere während der Pandemie mit Clubmusik sozialisierten Generation. Ein Ergebnis: Das feierlich zelebrierte Ritual einer klassischen Clubnacht verliert an Bedeutung. „Wieso sollte ich Eintritt für einen Club zahlen, wenn ich die Party auch einfach selbst machen kann?”, scheint die zur Erkenntnis geronnene Frage zu sein, die sich viele jüngere Raver:innen stellen. Ältere Rave-Generationen wenden sich vom Drop-Geballer mancher junger DJs naserümpfend ab, erfolgreiche DJs sind weniger auf Clubs angewiesen. Sie veranstalten oft eigene Events mit Ticketing in Off-Locations oder kommerziellen Venues.

Für die junge Generation wird die Losung der eigenen Party mit Bluetooth-Lautsprechern und Späti-Bier noch einleuchtender, wenn man sie für Festivals anpasst. Ticketpreise von über 160 Euro bilden schon länger keine Ausnahme mehr, sondern eher die Regel. „Wieso sollte ich Eintritt für ein Festival bezahlen und campen, wenn ich mir eine Box schnappen und auf der grünen Heide mein eigenes Open Air veranstalten kann?”, lautet die aktualisierte, traurigerweise irgendwie einleuchtende Fragestellung. Dazu kommt eine ohnehin veritable Festivalkrise, die sich in diesem Jahr noch verschärft hat. Mit dem MELT musste ein altehrwürdiges Schlachtschiff die Segel streichen, mit dem Nachtiville eine vielversprechende Alternative für den tristen Januar nach nur zwei Ausgaben wieder aufgeben.

Das Melt 2019 (Foto: Nicola Rehbein & Jen Krause)
Gibt’s nicht mehr: das MELT (Foto: Nicola Rehbein & Jen Krause)

Als wären die rein existenziellen Krisen nicht schon genug, befindet sich die Clubkultur seit dem 7. Oktober des Vorjahres in ideologisch zermürbenden Prozessen. „Darf ich die picket line crossen und noch im Berghain spielen, ohne ein genocide enabler zu sein?”, mussten sich DJs 2024 allen Ernstes fragen. Ganze Partyreihen sollten weggecancelt werden, weil sie sich dem Gesinnungsdruck aus der Anonymität heraus nicht beugten. Und Clubs wie das //:about:blank wurden von sogenannten pro-palästinensischen Aktivist:innen attackiert – physisch und verbal. Das IfZ, das zum Ende dieses Jahres übrigens auch schließt, tut das nicht zuletzt, weil „der Versuch, Positionen zu verbinden und Widersprüche auszuhalten”, gescheitert ist. Gleiches könnte man vom elendigen Eiertanz rund um die unpraktikable Antisemitismusklausel des Berliner Senats zu Beginn dieses Jahres behaupten. Auch eine weitere besorgniserregende Tendenz verstärkte sich im Laufe dieses Jahres und des Israel-Palästina-Konflikts nochmals: Es wurde weniger miteinander, sondern mehr übereinander gesprochen, auch begünstigt durch, na klar, mittels eifrigem Social-Media-Aktivismus zur Schau gestellte Solidarität und die damit verbundene Blasenbildung.

Schließt sich Ende des Jahres dauerhaft: der Eingang des Leipziger IfZ (Foto: Tobi Tais)

Fünf Absätze, vollgepfropft mit ausschließlich negativen Inhalten. Was bleibt da noch anzufügen? Vielleicht die dümmste aller Durchhalteparolen und infamste aller Dauerlügen: Nächstes Jahr kann nur besser werden! Sicher nicht. Erstens wurde ebenjene mindestens seit 2020 Jahr für Jahr widerlegt. Und zweitens gab es doch den ein oder anderen Lichtblick, auch wenn man schon genau hinsehen musste. Die Clubkultur mag düsteren Zeiten entgegenblicken, ihr Zusammenhalt ist aber nicht völlig erodiert. Das sieht man an potenziellen neuen Formen der Solidarität, die Social Media und den intensiven Konkurrenzkampf hoffentlich überwinden mögen. An handfestem politischem Aktivismus ohne ideologische Rutschpartien, wie er sich jüngst im Zuge der Proteste in Georgien entwickelt.

Dabei muss es gar nicht immer das große Format, der gelebte internationale Zusammenhalt im Angesicht der Weltpolitik sein. 2024 markiert auf seine Weise auch das Jahr der prosperierenden Kollektive, die unabhängig vom Genre eine Rückbesinnung auf die Grundwerte der Dance Music propagierten. Ob man dafür das abgenudelte PLUR wieder aus der Mottenkiste holen muss? Nicht unbedingt, denn Partys und Gruppen machen ihr eigenes, zeitgemäßes Ding. Manche grenzen sich mit offensiv zur Schau getragener Geschmackssicherheit vom Edit-Geballer der letzten Jahre ab und setzen stattdessen auf musikalische Tradition, wieder andere schaffen die benötigten queeren Rückzugsorte in Berlin, die der Senat ursprünglich streichen wollte.

Läuft immer noch reibungslos: Hard-Techno und die zugehörige Klamotte (Foto: NAKT)

Für dieses Jahr fällt es besonders schwer, konkrete musikalische Trends zu benennen. Nach der Hard-Techno-Peitsche der letzten Jahre, die vielerorts immer noch erbarmungslos auf den NAKT-Lederharness knallt, bedurfte es hie und da wieder mehr Fröhlichkeit, manche sprachen in längeren und kürzeren Clips sogar von einem veritablen Italo-Disco-Revival. Wieder andere sahen 2024 die große Wiederauferstehung von Tech-House als Antithese zum ADHS-Sound der letzten Jahre gekommen: Kein Dolce Vita, sondern genüssliches Auf-der-Stelle-Treten, was für die Heads, the real deal. Was Tech-House für den Einzelnen aber genau bedeutet und ob er nicht einfach existieren kann, ohne wider Willen jedes Jahr aufs Neue in beliebig wirkende Revival-Narrative gepresst zu werden, bedürfte tatsächlich mal einer Klärung. 

Denn musikalisch gab es 2024 kaum Impulse, die jenseits von (Mikro-)Szenen wahrgenommen wurden. Auch neue Star-DJs als Katalysatoren einer erfrischenden Interpretation der in die Jahre gekommenen Ansätze der Clubmusik zwischen Techno, House und Breakbeats lassen auf sich warten. Das Ghettotech-Revival der Pandemie, das Comeback von Trance und Pop-Techno wenig später und die südamerikanische Fusion von Breaks, Trap- und Pop-Elementen der letzten beiden Jahre haben inzwischen eher ihre Nischen gefunden als Gamechanger zu sein. Egal ob eine Party mit ein paar hundert Gästen in einem kleinen Club oder ein lukratives Ticket-Event – wirklich globale Trends entstehen nicht. So bleibt unklar, ob die Clubkultur 2025 weiter zerfasert – oder ob ein neuer musikalischer Ansatz entsteht, der die Feiernden näher zusammenbringt. Das allein wird aber nicht genügen – denn das gemeinsame Feiern im Club muss wieder als politischer Raum gegenüber Lippenbekenntnissen in den sozialen Medien erkannt und als solcher genutzt werden.

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