Shinichi Atobe – Love of Plastic (DDS)

Schon von der im Jahr 2001 veröffentlichten Debüt-EP von Shinichi Atobe auf Chain Reaction ging ein sonderbarer Glanz aus. Ship-Scope war das perfekte Chain-Reaction-Release, weil es den knisternden Dub Techno des von Mark Ernestus und Moritz von Oswald betriebenen Labels als Ausgangspunkt dafür nahm, das Leben nicht einfach nur zu abstrahieren, sondern zu bejahen.

Der Rest der Geschichte ist bekannt, der Rest der Geschichte ist verworren: 13 Jahre lang war nichts mehr von dem angeblich in Saitama lebenden Japaner zu hören, bis ihn Miles Whittaker und Sean Canty nach ein paar E-Mails wieder dazu bewegen konnten, neues Material einzusenden. Seitdem erscheinen in ungefährer Regelmäßigkeit wieder neue Alben von ihm, wurde sogar ein Bild veröffentlicht, das scheinbar die Zweifel über seine Identität – gemutmaßt wurde unter anderem, es handle sich lediglich um ein Nebenprojekt anderer Artists aus dem Chain-Reaction-Umfeld, vielleicht sogar um Demdike Stare selbst – aus dem Weg räumten.

Ein neues Album von Shinichi Atobe ist Anfang 2022 nicht mehr das Event, das die Veröffentlichung von Butterfly Effect vor acht Jahren darstellte. Zwischen der Rückkehr des Produzenten, die gleichermaßen fulminant wie understated wirkte, und Love of Plastic liegen schließlich vier weitere LPs, und in einer Musikwelt, in der die Affekte gemeinhin durch Verknappung geregelt werden, kühlen sie angesichts einer solchen Schlagdichte merklich ab.

Das macht es allerdings auch einfacher, sich auf die Musik zu konzentrieren. Nachdem Atobe mit Yes einen großen Trostspender in den ersten Pandemiesommer entließ und dafür seinen Sound merklich aufpolierte, führt Love of Plastic dies nun mit bescheidenen Gesten fort. Die Aufgekratztheit früherer Releases ist ab dem dubbigen Intro sofort spürbar, doch weicht die noch bis Heat so dominante Klangsignatur – rostig, porös, angestaubte Hardware – zunehmend dem wohligen Hochglanz, der schon Yes zu einem besonderen Album machte.

„Love of Plastic 1” bietet nach dem kurzen Auftakt bouncigen House mit donnernden und doch zugleich wabernden Chords, einer sonderbaren Spielautomatenmelodie und schließlich käsigen Pianosplittern, die eher an Robert Miles’ „Children” denn an Marshall Jeffersons „Move Your Body” denken lassen. Das weitschweifige Pathos Atobes nämlich ist kein nostalgisches. Es richtet sich nicht in die Vergangenheit zurück, sondern in den Raum.


Die Liebe zum Plastik, zum billigen, glänzenden Material, das wir Techno nennen, sie geht auf dieser Platte tief.


Das neuneinhalbminütige „Love of Plastic 5” beispielsweise tuckert, von scharfkantigen Hi-Hats akzentuiert, gleichermaßen schleppend wie rasend von einem emotionalen Plateau zum nächsten. Atobe lässt eine repetitive Melodie über einem eng verzahnten Miteinander von Chords und Bass schweben und ausfaden, damit die nächste übernehmen und die Sache in eine andere Richtung führen kann. Der Sound treibt diesen Track in beiden Bedeutungen dieses Worts.

So lässt Atobe selbst rumorenden Quasi-Acid („Love of Plastic 8”) unbeschwert klingen, ein knapp zweiminütiges, auf einer einzigen zittrigen Chordsequenz basierendes Stück („Loop 6”) wie eine halbe Ewigkeit scheinen. Selbst wenn die Preset-Trompeten quietschen („Love of Plastic 6”) oder die Keys Melodien spielen, die in ihrem dilettantischen Übermut an schiefe Synth-Pop-Heimaufnahmen aus den frühen Achtzigern denken lassen („Ocean 2”), verstecken sich dahinter keine ironischen Gesten. Sondern ein Angebot, sich darauf einzulassen.


Es entsteht im Verlaufe dieses Albums kein Flow, der auf ein Ziel hinausläuft. Vermittelt wird stattdessen ein Gefühl, das jedes dieser diskret für sich stehenden Stücke durchwirkt.


Die Liebe zum Plastik, zum billigen, glänzenden Material, das wir Techno nennen, sie geht auf dieser Platte tief. Auch wenn der Ton wie in den komplexen Rhythmen von „Beyond the Pale” mal rauer wird und IDM-Tropen aus den frühen Neunzigern aufruft, ändert das nichts an diesem Eindruck. Und wenn Love of Plastic schließlich mit „Severina” auf einem fast schon klassischen, von durchschneidenden Chord-Stabs kontrapunktierten Chain-Reaction-Beat endet und den aber von noch mehr Fake-Trompeten und Glockentönen, die an ein Windspiel erinnern, umspielen lässt, ist der verwirrende Gesamteindruck endgültig perfekt.

Es entsteht im Verlaufe dieses Albums kein Flow, der auf ein Ziel hinausläuft. Vermittelt wird stattdessen ein Gefühl, das jedes dieser diskret für sich stehenden Stücke durchwirkt. Eines von der Weite einer Welt, die mit dieser Musik bequem vom Bett aus vermessen werden kann. Das macht aus Love of Plastic dann erst recht nicht das große Event, das die überraschende Veröffentlichung des Albums im ersten Moment darzustellen schien. Was es stattdessen bietet, ist allerdings viel besser: eine Abfolge von neun in die Länge gezogenen Momenten, ein sonderbarer Glanz. Kristoffer Cornils

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Kristoffer Cornils war zwischen Herbst 2015 und Ende 2018 Online-Redakteur der GROOVE. Er betreut den wöchentlichen GROOVE Podcast sowie den monatlichen GROOVE Resident Podcast und schreibt die Kolumne konkrit.