Sexistischer Hass: Keine Seltenheit gegenüber FLINTA* DJs
Die digitale Gewalt richtet sich nicht nur gegen Judith selbst. Einmal schickt ihr eine befreundete DJ den Screenshot einer hasserfüllten, von Sexismus und Verachtung triefenden Nachricht, die diese von einem Crew-Kollegen erhalten hat. Sein Anlass: Die DJ hatte einen Vortrag von Judith über Sexismus in der Festival- und Clubkultur gepostet. „Ich finde auch heftig, dass das so ausstrahlt. Dass Frauen, die Sachen von mir teilen, auch solche Nachrichten bekommen. Was ist nur mit den Leuten los?”
„Ich würde viel lieber zuhause Musik basteln, mich von der Muse küssen lassen. Stattdessen bereite ich Vorträge vor, stattdessen sitze ich in emotionsgeladenen Plena mit Frauen, die sich vernetzen wegen sexualisierter Gewalt.”
Auch in Gesprächen mit anderen DJ-Kolleginnen liegt der Fokus öfter auf Hassnachrichten und sexueller Belästigung auf Social Media. Im gemeinsamen Austausch versuchen sie, einen Umgang damit zu finden. Mit solchen Problemen werden männliche DJs in der Regel wohl nicht konfrontiert, vermutet Judith. „Ich sehe einen Post von einem Kollegen: ‚Ich wollte mal abschalten, hab’ mich in den Bergen von der Natur inspirieren lassen und diesen Track hier fertig gemacht.’ Und dann sehe ich einen Post von einer Kollegin: ‚Meine Therapie, um aufzuarbeiten, was mir hier angetan wird, ist anstrengend; ich mache jetzt Social-Media-Pause.’” Auch Judith hatte kürzlich gepostet, dass es ihr sehr schlecht geht und sie zu ihrer Familie fahren muss, um sich von dem ganzen Hass und Stress zu erholen. „Mich hat es sehr traurig gemacht, als mir eine junge Frau geschrieben hat: ‚Ich habe voll Interesse, Auflegen zu lernen, aber mir macht wirklich Angst, wie mit dir umgegangen wird.’”
Judith beneidet die weißen cis Männer in ihrem Kolleg*innenkreis darum, sich nicht mit Hass und Gewalt herumschlagen zu müssen und stattdessen freie Kapazitäten fürs Musikmachen nutzen zu können. Das wünscht sie sich auch: „Ich würde viel lieber zuhause Musik basteln und mich auf Auftritte vorbereiten, mich von der Muse küssen lassen, wenn ich mal Freizeit habe. Stattdessen bereite ich Vorträge vor, stattdessen sitze ich in emotionsgeladenen Plena mit Frauen, die sich vernetzen wegen sexualisierter Gewalt.”
Falsche Feministen: Lippenbekenntnisse gepaart mit sexistischen Vorwürfen
Die Hassnachrichten, die Judith bekommt, sind die eine Sache. Doch auch andere, vermeintlich harmlose Nachrichten treffen sie hart. Der Unterschied zu den Hassnachrichten: Es sind Nachrichten in höflichem Ton, die sich aus feministischen Lippenbekenntnissen und sexistischen Vorwürfen zusammensetzen und von Männern aus Judiths Umfeld kommen – von einem Kumpel, Bekannten, DJ-Kollegen. Es sind Männer, die sie persönlich kennt, und die vermutlich nicht einmal die Absicht haben, sie zu verletzen. Zumindest geben sie das vor.
Wird die Message solcher oft sehr langen Nachrichten heruntergebrochen, sehen sie ungefähr so aus:
‚Hey Judith, ich bin ja voll auf deiner Seite. Ich bin Feminist und für Gleichberechtigung. ABER ich wollte dir mal sagen, dass wir Männer doch wollen, dass mehr Frauen auflegen. Die trauen sich halt einfach nicht an die Technik. Und eigentlich werden Frauen-DJs doch gerade total bevorteilt, die werden easy peasy erfolgreich und bekommen Gigs hinterhergeschmissen. Für uns Männer ist es gerade nicht mehr so leicht. Du bist vielleicht einfach nur etwas überempfindlich, oder? No Offense, aber mit deinem Rumgenerve spaltest du die Szene. Hier gibt es nichts, gegen das gekämpft werden muss. LG, XYZ [Booker-/DJ-/Veranstalter-/Kumpel-Vorname]. P.S.: Meine Freundin ist übrigens auch Feministin.’
Zugegeben, diese fiktive Nachricht ist etwas zugespitzt. Und doch repräsentiert sie im Grunde die Quintessenz solcher Nachrichten. Ähnliche Gedanken- und Argumentationsmuster begegnen Judith auch in Posts, Statements oder persönlichen Gesprächen.
‚Eigentlich werden Frauen-DJs doch gerade total bevorteilt’
Zentraler Bestandteil ist der Verweis auf die angebliche ‚Übervorteilung’ weiblich gelesener DJs. Dass die mehr als fragwürdig ist, dürfte anhand von Judiths Erfahrungen und Beobachtungen sowie der übrigen Faktenlage (siehe Teil 1) deutlich geworden sein. Doch auch jene Männer, die Judiths Engagement in besagten Nachrichten kritisieren, müssten es eigentlich besser wissen – denn sie selbst behaupten ja schließlich, ihr zuzuhören und ihre Posts zu lesen. Würden sie das wirklich tun, würden sie wohl selbst bemerken, wie grotesk die Mär von der ‚Übervorteilung’ im Vergleich zu den realen Verhältnissen scheint.
‚Meine Freundin ist übrigens auch Feministin’
Oft werden Frauennamen aus dem Bekannten- und Freund*innenkreis aufgezählt, die dem Verfasser offenbar als ein feministisch geprüftes Gütesiegel herhalten sollen. „Frauen werden wie ein Schutzschild vorgeschoben: ‚Guck mal, die kenn ich, und die findet mich nicht scheiße. Ich bin einer von den Guten.’ Das finde ich problematisch.” Sie erwähnt die vielbeachtete Rede der US-amerikanischen Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez, die diese im Sommer 2020 hielt, nachdem sie von einem Abgeordneten sexistisch beleidigt worden war. Auch dieser Abgeordnete hatte versucht, die Existenz seiner Frau und Töchter als Beweis für seine profeministische Haltung zu verkaufen. Judith hat die Rede von Ocasio-Cortez in ihrem ‚Tape of Change’ verarbeitet. „Tolle, wichtige Rede. Sie sagt ganz klar: Nur weil du eine Frau und Töchter hast, schützt dich das nicht davor, ein Sexist zu sein und respektlos mit deinen Mitmenschen umzugehen.”
‚Mit deinem Rumgenerve spaltest du die Szene’
Den Vorwurf, sie würde die Clubszene mit ihrer Kritik an den sexistischen Zuständen und patriarchalen Strukturen ‚spalten’, bekommt sie besonders oft zu hören – sowohl in Hassnachrichten als auch in den angeblich wohlwollenden Nachrichten. Judith übersetzt ihn so: „Man macht ja Stress, und früher war nicht so viel Stress. Da haben die Frauen Gott sei Dank ihre Klappe gehalten und in der ersten Reihe getanzt. Das, was als Spaltung betitelt wird, ist im Grunde nur: Wir lassen uns nicht mehr alles gefallen und sprechen es an.”
„Ich finde das so frech. Man macht konstruktive Sachen, die in Spaltung umgedreht werden.”
Besonders trifft es sie, wenn ihr unterstellt wird, ihre Arbeit sei destruktiv statt konstruktiv, sie solle doch lieber mal ‚für etwas’ arbeiten. „Das finde ich super verletzend. Die müssen doch mitbekommen, dass ich bei G-edit bin und wir Workshops geben; dass ich bei Feat. Fem bin und wir eine Podcast-Reihe machen, in der wir FLINTA* aus der Region sichtbar machen; Ich bin bei fem*vak. Ich finde das so frech. Man macht konstruktive Sachen, die in Spaltung umgedreht werden.”
Vermeintlich harmlos, aber nicht weniger verletzend
Gegen Verständnisfragen hat Judith nichts – die sind eben nötig, um dazuzulernen. Doch ums Lernen geht es in diesen Fällen nicht, glaubt sie. Denn in der Regel beharren die Verfasser in der darauffolgenden Diskussion vehement auf dem Standpunkt ihrer Nachricht. Judith erklärt es beispielhaft an einer Auseinandersetzung mit einem befreundeten Booker: „Er will Recht haben und schafft es nicht, aus dieser Abwehrhaltung rauszukommen. Und am Ende setzt sich ein großer, weißer, männlicher Booker mit wirklich allen Privilegien, die man sich vorstellen kann, auch noch auf die Betroffenen-Position. Ich argumentiere ja aus der Betroffenen-Position, und sogar die nimmt er mir, indem er sagt: ‚Ich als weißer Mann darf gar nichts mehr sagen und leide darunter.’ Das finde ich respektlos.”
„Wenn mir irgendein fremder Dude eine Drohnachricht schickt, muss ich nicht mit meiner Vergangenheit aufräumen. Wenn man die Person kennt, hat das Einfluss auf deine Beziehung mit anderen Menschen.”
Es tut Judith weh, solche Nachrichten von einem Menschen zu bekommen, von dem sie dachte, er wäre auf ihrer Seite. Diese angeblich wohlwollenden Nachrichten treffen sie genauso hart wie die absichtlich verletzenden Hassnachrichten. „Da bricht ein Konstrukt zusammen, wenn du merkst, was eigentlich im Kopf abgeht bei einer Person, die man schon lange kennt und von der man was gehalten hat. Es ist ja auch ein schmerzhafter Prozess, den ich nun so oft erlebt habe: Freunde aus berechtigten Gründen infrage stellen, Freunden mehr durchgehen lassen – man ist doch schließlich befreundet – und dann Freunde in diesem Prozess liegen lassen, weil sie Teil des Problems sind und wirklich verweigern zu lernen und zuzuhören.”
Mit solchen Leuten gibt es natürlich Schnittstellen im Bekannten- und Freund*innenkreis. Das führt zu einem weiteren Problem: Sie verschwinden nicht so leicht aus Judiths Leben – denn im Gegensatz zu denen, die ihr Hassnachrichten schicken, kann sie nicht einfach auf ‚Blockieren’ klicken. „Wenn mir irgendein fremder Dude eine Drohnachricht schickt, hab’ ich Angst, da geht’s mir auch schlecht. Aber die kenne ich nicht – da muss ich nicht mit meiner Vergangenheit aufräumen. Wenn man die Person kennt, hat das Einfluss auf deine Beziehung mit anderen Menschen, die diese Person kennen. Das ist superschwierig.”
Die Ignoranz der Szene: „Du sagst, der Himmel ist blau, und alle so: ‚Nee, der Himmel ist grün’”
Ihr die Kombination aus feministischen Lippenbekenntnissen und sexistischen Vorwürfe als valide Argumentation verkaufen zu wollen, vergleicht Judith mit dem Phänomen Gaslighting. Der Begriff bezeichnet eine Form der psychischen Gewalt, bei der eine Person eine andere Person emotional manipuliert – mit dem Ziel, sie an ihrer Wahrnehmung zweifeln zu lassen. Das kann zum Beispiel in toxischen Beziehungen auftreten. Judith erkennt im Gaslighting ein ähnliches Prinzip wie in solchen Nachrichten. „Wenn jemand offensichtlich sexistische Sachen gemacht oder geschrieben hat, dafür zu Recht kritisiert wird und sich dann hinstellt und sagt ‚Ich bin kein Sexist’, macht mich das sauer. Da sitzt jemand vor dir, frisst Frikadellen und erzählt dir, ‚Ich bin Veganer’. Ich finde, wenn man behauptet ‚Ich bin auf eurer Seite’, dann soll man bitte wirklich auf unserer Seite sein.”
„Ich hab’ den Begriff mal ins Spiel gebracht, um deutlich zu machen, dass diese totale Uneinsichtigkeit von vielen Menschen in der Szene einen krank machen kann. Das passiert bei mir ja gerade.”
Dass diese Reaktion nicht nur auf einer individuellen Ebene passiert, spürt Judith deutlich an den unzähligen ablehnenden Reaktionen auf ihre Erfahrungsberichte und ihre Kritik an den patriarchalen Zuständen in der Clubszene – die Kämpfe seien längst gekämpft worden, jetzt dürfen Frauen doch auflegen und haben dabei auch noch Erfolg, also könne es doch kein Problem mehr mit Sexismus geben. „Ich komme mir bescheuert vor. Du sagst, wie es ist – und ich bin da ja keine individuelle Geschichte, ich weiß ja auch von meinen Kolleginnen und Netzwerk-Partnerinnen, dass das stattfindet –, und die Leute, an die das adressiert wird, sagen: ‚So ist das nicht’.” Judith kann einfach nicht verstehen, wie die realen Verhältnisse so massiv ignoriert oder beschönigt werden können, ohne die Absurdität dieser Widersprüche zu erkennen. „Du sagst, der Himmel ist blau, und alle so: ‚Nee, der Himmel ist grün.’ Und ich denke mir: HÄ? Der ist doch blau, sehen die Leute das nicht?!”
Obwohl Judith weiß, dass sie richtig liegt, gehen die kollektiven Abwehrreaktionen auf ihre Kritik nicht spurlos an ihr vorbei. „Es ist schon krass, wenn dein Umfeld, wenn die Szene dir zurückmeldet, dass du falsch liegst – ‚Wir sind alle gar nicht sexistisch’. Beim Gaslighting sind es natürlich Leute, die gezielt und bewusst Betroffene, nenne ich es mal, manipulieren. Hier ist es ja kollektiv. Aber ich hab’ den Begriff mal ins Spiel gebracht, um deutlich zu machen, dass diese totale Uneinsichtigkeit von vielen Menschen in der Szene einen krank machen kann. Das passiert bei mir ja gerade.”
Patriarchale Zusammenhänge erkennen
„‚Wir sind gegen sexuelle Gewalt’ – das unterschreiben alle ganz schnell. Aber gleichzeitig werden sexistische Witze gemacht, unfaire Honorare gezahlt und die Care-Arbeit wird den Frauen in den Kollektiven überlassen.” Woran liegt es, dass die Wahrnehmungen bezüglich der Missstände in der Szene so stark auseinandergehen?
Grund dafür könnte sein, dass die Zusammenhänge von Gewalt und Unterdrückung im patriarchalen System nicht erkannt werden. „Leute sind oft erschrocken, wie schnell ich auf Monis Rache komme – ‚Judith, hier geht’s um Lineups! Warum fängst du jetzt mit sexuellen Übergriffen an?’ Ich will, dass die Zusammenhänge erkannt werden, denn das alles gehört zusammen. Und für mich ist das der schnellste Weg, um das wirklich benennen zu können: Wir haben ein Problem in der linken Szene – Monis Rache. Punkt. Google it.”
Der Monis-Rache-Fall: „Seit dem 7. Januar 2020 ist nichts mehr wie vorher”
Bei dem Vorfall auf dem Monis Rache Festival, den Judith anspricht, geht es um sexualisierte Gewalt gegen weiblich gelesene Festivalbesucher*innen. Durch eine Recherche von STRG_F wurde am 7. Januar 2020 öffentlich, dass der Festivalmitarbeiter Henning F. heimlich Kameras auf Dixi-Klos installiert, Besucher*innen ohne ihr Wissen auf der Toilette gefilmt und entsprechende Videos von als Frauen gelesenen Menschen auf Porno-Seiten verkauft hatte. Henning F. war in der linken Szene aktiv und lebte bis zur Publikation der Recherche in einem linken Leipziger Hausprojekt. Das Verfahren gegen ihn wurde Anfang 2021 vorläufig eingestellt.
„Alle Leute, die immer noch glauben, das wäre ein Einzelfall gewesen – das ist es offenbar nicht”, sagt Journalistin Patrizia Schlosser in ihrer zweiten Recherche für STRG_F. In diesem Video deckt sie wenige Monate nach der Veröffentlichung des ersten auf, dass auf weiteren Festivals illegale Nacktaufnahmen von als Frauen gelesenen Menschen erstellt und verkauft wurden, zum Beispiel in Duschen auf der Fusion. Offenbar auch auf anderen Veranstaltungen sind Besucher*innen illegal auf der Toilette gefilmt worden. Wie Henning F. waren oder sind auch andere Täter Teil der linken (Club-)Szene.
„Ich fühle mich nirgendwo mehr sicher. Nur noch in dieser Wohnung, weil ich mit einer Frau zusammenlebe. Aber in dem Moment, wo ich den Laptop aufmache, fühle ich mich hier auch nicht mehr sicher.“
In Judiths aktivistischer Arbeit spielt der Monis-Rache-Fall eine große Rolle. Auch, weil Judith selbst davon betroffen ist – sie hatte damals auf dem Festival gearbeitet. „Für mich ist seit dem 7. Januar 2020 nichts mehr wie vorher. Das meine ich ernst. Ich fühle mich nirgendwo mehr sicher. Nur noch in dieser Wohnung, weil ich mit einer Frau zusammenlebe. Aber in dem Moment, wo ich den Laptop aufmache, fühle ich mich hier auch nicht mehr sicher. Weil dann sowas rauskommt, dass du bei einem Festival auf Klo gefilmt wirst, wenn du denkst, du bist alleine. Auf einem profeministischen, antikapitalistischen Festival, das ein Freiraum für alle sein will, eine Utopie. Und das ist es nicht! Das ist so schmerzhaft an diesem Vorfall.”