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Mai 2021: Die essenziellen Alben (Teil 1)

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3MB featuring Magic Juan Atkins – 3MB featuring Magic Juan Atkins (Tresor) (Reissue)

3MB featuring Magic Juan Atkins - 3MB featuring Magic Juan Atkins

Im März 1991 öffnete der legendäre erste Tresor in Berlin, und noch im gleichen Jahr wurde auch das dazugehörige Label gegründet. Für Tresor Records war von Anfang an der Austausch mit etlichen Größen der US-Technoszene – vorwiegend aus Michigan – bedeutend, und so kam es bereits im zweiten Label-Jahr zur Zusammenarbeit von 3MB alias Moritz von Oswald und Thomas Fehlmann und dem Detroiter Juan Atkins. Als 3MB featuring Magic Juan Atkins produzierte das Trio ein Album gleichen Namens mit eigentlich nur vier Stücken, von denen drei aber in jeweils zwei Versionen darauf enthalten sind und die eigentlich allesamt einen gewissen Legendenstatus genießen. Das Album wird nun zum Jubiläum in allen gängigen Formaten neu aufgelegt. Und auch wenn bei der derzeitigen Flut an Wiederveröffentlichungen nicht vergessen werden sollte, genauer hinzuschauen, ob dies auch gerechtfertigt ist – gerade in Anbetracht des immer größer werdenden Staus in den Presswerken, der die Veröffentlichung von aktuellen und zeitrelevanten Scheiben oft stark verzögert –, kann die Antwort hier nur Ja mit doppeltem Ausrufezeichen lauten. Natürlich kann ein solches Album an dieser Stelle nicht analytisch besprochen und beschrieben werden wie eine Erstveröffentlichung, genauso wenig, wie man das bei einer Stg.-Pepper– Deluxe-Edition machen würde. Aber so viel steht fest und muss auch gesagt werden: Die drei Musiker trafen sich seinerzeit unter einem extrem guten Stern und produzierten hochinspirierte Stücke, die vor allem vom Spannungsfeld der clubbigen und strengen Beats einerseits und der andererseits damals wie heute nicht allzu gängigen und oft auch nicht so gern gesehenen Musikalität im harmonischen und auch strukturellen Bereich der Tracks leben. Gerade dieses Abweichen von auch 1991 schon geltenden Szene-Regeln – Stichwort: DJ-Polizei – lässt diese Stücke nicht nur unfassbar gut altern, sondern verleiht ihnen darüber hinaus bis heute eine Relevanz, wie sie auch unter neuen Produktionen nur selten zu finden ist. Mathias Schaffhäuser

Arovane – Atol Scrap (Keplar)

Arovane - Atol Scrap

1999, als Atol Scrap von Arovane erstmals erschien, war noch Aufbruchstimmung in Berlin. Da wurde noch eher auf die nächste musikalische Innovation spekuliert als auf das nächste Immobilienobjekt. Es gab mehr Clubs als Hostels. Blumen brachen durch den Asphalt. Die Sonne schien uns aus dem Arsch. Und, kein Witz, in Prenzlauer Berg war es echt cool. Das schreibe ich, während ich mir in die geballte Faust beißend eine Träne verdrücke. Denn Berlin Ende der Neunziger war der shit. Auch musikalisch. Allein bei dem kleinen Label DIN, von dem als Dynamo und Traktor bekannten Torsten Pröfrock geführt, veröffentlichten in diesen Tagen Monolake (Robert Henke), Pole (Stefan Betke) und eben Arovane (Uwe Zahn) ihre ersten Platten. Dessen Debüt Atol Scrap spiegelt so ein wenig den damaligen Zeitgeist der elektronischen Musik. Wie auf dem Artwork versinnbildlicht, verdrahtet er IDM, Minimal, Downbeat, Ambient miteinander und führt sie zu einem zentralen Ganzen. Die Musik hat nichts von ihrem Reiz verloren, die Sounds sind knusprig wie am ersten Tag, und so detailversessen rhythmisch war Uwe Zahn später nur noch selten. Gleichzeitig ist der später ausdifferenzierte, Räume langsam öffnende Ansatz bereits hörbar. Diese Reissue war lange überfällig, und es ist ein Glück, dass sie via Keplar nun erstmals auch auf Vinyl erhältlich ist. Sebastian Hinz

Artefakt – Days Bygone (Delsin)

Artefakt - Days Bygone

Das niederländische Produzentenduo Artefakt hat sich bei Techno-Purist*innen schon länger ein besonderes Standing erarbeitet. Sowohl im Team als auch solo sind Nick Lapien und Robin Koek Meister der tiefergehenden Schattierungen von Techno und Ambient-Texturen.

Diese Qualitäten ihrer gemeinsamen Alben Kinship und Monsoon sind auch auf der dritten Studio-LP Days Bygone tonangebend. Die Beats sind zwar ab und zu noch präsent, der Fokus aber liegt auf den vielschichtigen Kompositionen aus Pads und Synths, den kleinen Details und allem Drumherum. Rhythmen sind vielmehr eine Hilfestellung, ein Klettergerüst für die verschlungenen, komplexen Gebilde aus melodiösen Flächen, die sich daran emporschwingen. So entwickelt das Album auf Tracks wie „Orinoco Basin” und „Iridescence” durchaus Fahrt, aber will seinem Gesamt-Konstrukt aus lebhaften Einzelteilen nie die Show stehlen. Das mag sich abenteuerlich und anspruchsvoll lesen, wirkt im Hörprozess aber nie überbordend, da die beiden im Minimal-Techno erfahrenen Produzenten auch hier mit gesunder Reduktion arbeiten. Überhaupt fällt das Album mit seinen 34 Minuten Laufzeit angenehm kompakt und bescheiden aus. Ideen werden präsentiert und verblassen wieder, noch ehe sie völlig ausgespielt sind. So hört man sich Days Bygone auch gerne ein paarmal hintereinander an. Leopold Hutter

Basic Rhythm – Electronic Labyrinth (Planet Mu)

Basic Rhythm - Electronic Labyrinth

Auf dem Cover des neuen Basic-Rhythm-Albums ist ein etwas körniges Analog-Foto einer Hochhaussiedlung zu sehen. Im Mittelpunkt des Bildes steht der St.-Fabian-Tower, ein 22-stöckiger Wohnkoloss, der im Norden Londons bis zu seinem Abriss im Jahr 2002 weithin sichtbar war. Dieses Haus beherbergte früher den Drum’n’Bass-Piratensender Rude FM. Genau dort begann in den späten Neunzigern die Karriere von Anthoney J Hart, der nun sein viertes Album unter dem Namen Basic Rhythm präsentiert. Wer nun aber meint, dass der Londoner auf Electronic Labyrinth eine nostalgische Zeitreise in seine Rave-Vergangenheit unternimmt, liegt falsch. Nicht völlig falsch, aber doch ziemlich falsch.

Zum einen verarbeitet Hart mit seinem Projekt Basic Rhythm schon immer Einflüsse aus seiner Rude-FM-Zeit (während er unter dem Namen Imaginary Forces abstrakt-vertrackt zu Werke geht), zum anderen tummeln sich die Retro-Elemente auch auf Electronic Labyrinth wieder eher unter der Oberfläche. So hat das an Frühneunziger-Rave-Sounds erinnernde Synthesizer-Motiv auf „Techno” nach 30 Jahren bereits etwas gelitten und kommt deshalb merkwürdig verzerrt daher. „Palace of the Peacock” wiederum weckt Erinnerungen an Playstation-Grime-Platten aus den Nullerjahren. Auf „Hayward Road” bittet ein Preset-Streichorchester ganz Rondo-Veneziano-mäßig zum Tanz, darunter knuspert ein fehlgeleiteter 2-Step-Beat, der in den letzten Zügen zu liegen scheint. Überhaupt – wenn ein Track „Techno” heißt, ist nicht wirklich Techno drin. Und so blubbert die 303 auf dem Techstepper „Acid Track” auch nur sehr subtil. Den Schlusspunkt dieses rundum interessanten Albums setzt mit „The Secret Ladder” ein großartiges Ambient-Stück, das klingt wie ein kapitaler Wasserrohrbruch. Holger Klein

Fatima Al Qadiri – Medieval Femme (Hyperdub)

Fatima Al Qadiri - Medieval Femme

„I have a sound palette and I change it very slowly. I introduce new elements into it, but there is a basic foundation. I think it is not uncommon to have signature sounds”, erklärte die kuwaitische Musikerin und Konzeptkünstlerin Fatima Al Qadiri dem Autor 2016 in einem Gespräch zu ihrem Album Brut. Nun erscheint nach einem Soundtrack für den beim Filmfestival in Cannes 2019 ausgezeichneten romantischen Gespensterfilm Atlantics mit Medieval Femme ihr drittes Album beim Label Hyperdub.

Diesmal erweitert sie ihren futuristischen 3D-Digital-Signature-Sound mit den Klängen mittelalterlicher arabischer Instrumente. Als Inspiration dienten ihr sehnsüchtige Gedichte arabischer Dichterinnen vom fünften bis 13. Jahrhundert. Diese kommen allerdings nur zeitweise in Form von mantraartig vorgetragenen Zitaten im sonst überwiegend instrumentalen Album vor.
Stattdessen stehen mittelalterliche Instrumente im Mittelpunkt. Mal pur, mal elektronisch aufgepolstert. Zuweilen ahmt der Synthesizer nah am Camp-Kitsch die Klänge von Flöten oder der Kurzhalslaute Oud nach. Auch hievt er kirchliches Orgelspiel in den digitalen Himmel. Dazwischen durchschneidet Fatima Al Qadiris Gesang immer wieder sinnlich den Klangraum und atmet kleine, fesselnde Pop-Partikel aus. So gelingt ihr ein packender Balanceakt zwischen sakralem Mittelalter und digitalem 21. Jahrhundert, der eine mystische Verbindung zwischen alter Musik und jenen hyperrealen Welten schafft, in denen Al Qadiri seit fast zehn Jahren musikalisch navigiert. Atmosphärisch schließt das Album zudem an ihren Atlantics-Soundtrack an, der ebenfalls schwer dramatisch fließt. Für Medieval Femme hat Fatima Al Qadiri alles nur noch etwas tiefer in eine an Michael-Nyman-Soundtracks erinnernde, tragisch hippe Melancholie halluziniert, die kürzlich auch schon Alben von Künstlern wie Eartheater auszeichnete. Michael Leuffen

Flying Lotus – Yasuke (Warp)

Flying Lotus - Yasuke

Yasuke ist der Titel einer Netflix-Produktion. Die Anime-Serie beruht auf einer Figur mit historischen, jedoch stark diskutierten Grundlagen, wenn es etwa um die Herkunft Yasukes geht: Mosambik, Sudan, Äthiopien werden vermutet, mithin drei sehr unterschiedliche Regionen Afrikas. Sicher ist jedoch: Yasuke landete im 16. Jahrhundert mit portugiesischen Missionaren in Japan und war für alle der erste Mensch afrikanischer Herkunft, die mit ihm zu tun hatten. Die Serie belässt es jedoch nicht bei den Kampfkünsten Yasukes von vor 500 Jahren. Es gibt auch monströse Insekt-Maschinen mit Laser-Ausstattung, gegen die sich Yasuke und seine Mitstreiter*innen unter dem japanischen Herrscher Oda Nobunaga behaupten müssen.

Zwei grundsätzliche Ästhetiken wiegen also Yasuke ab, und endlich gelangen wir zum super-gelungenen Soundtrack von Flying Lotus: Die des Einzelkämpfers mit einzigartiger Geschichte und die Deplatziertheit in der Zeit. Steven Ellison alias Flying Lotus geht den ersten Part Oldschool-mäßig Hip-Hop-haft an: die Legende vom Kämpfer, mit heiligem Ernst das Schwerte liebend. Kopfnicker-Beats, versetzt mit japanischen Trommeln und Saiteninstrumenten, siedeln über und unter den fliegenden Bildern. Thundercat gastiert in „Black Gold”, Niki Randa glänzt mit Mezzosopran in „Hiding In the Shadows” und „Supreme Memories”. Bang!

Das zweite, nennen wir es mal Captain-Future-Ding hat etwas Easy-Peaysy-Leichtfliegerhaftes. In seiner Stimmung vergleicht der Produzent aus L.A. es selbst mit Vangelis’ Blade-Runner-Score; auch die zeitweise großartigen Passagen von Hans Zimmers Blade-Runner-2049-Aufnahmen (sic!) fügen sich da ein. In „Shoreline Sus” geht es um die riesigen Räume zwischen zwei Synthesizer-Klängen, in „Mind Flight” stoßen zwei Klingen aneinander und die Sounds vermitteln den Eindruck stiebender Metallteilchen. Will sagen: der Typ kann beides, Dope und Ambience. Herausragender Soundtrack, herausragendes Flying-Lotus-Album. Christoph Braun

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