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Motherboard: April 2021

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Die Minimalismen des Australiers Matt Rösner sind auf No Lasting Form (Room40, 2. April) ähnlich divers, beschränken sich in der Klangfarbe allerdings auf ein körniges Hellgrau aus Synthesizerquellen. Interessant allerdings, was Rösner mit dieser aktiven Zurückhaltung so anstellt. Denn minimalistisch wirkt hier gar nichts.  

Der Orgel/Synthesizer-Minimalismus des Schweden David Granström besitzt einen nochmal anderen Charakter. Im Sound und Emotionsgehalt eher reichhaltig auftrumpfend veranlagt, sucht Empty Room (Hallow Ground, 2. April) das Einfache und Repetitive der Strukturen, wenn es darum geht auf Strecke zu arbeiten, sich in Dauer und Persistenz zu üben. Wie seine skandinavischen Peers Kali Malone, Maria W Horn und Mats Erlandsson beherrscht Granström das Handwerk der Zurückhaltung in Perfektion, öfter als diese verzichtet er aber auch mal darauf und dronet in die Vollen. 

Richard Chartier, der als Pinkcourtesyphone gerne morbiden Dark-Ambient-Soundscapes in modrigen Ballsälen nachstellt, verfolgt unter seinem bürgerlichen Namen einen extremen Minimalismus des Beinahe-Nichts. Interreference (Room40) kommt für diese Verhältnisse beinahe üppig daher, was Soundfülle und Struktur angeht. Der Minimalismus liegt im körnigen, beinahe weißen (oder besser gesagt: pinken) Rauschen der Synthesizer. 

Wo Chartier das Generelle, Unpersönliche bis Übermenschliche im Minimalismus sucht, findet der Kalifornier Yann Novak an selber Stelle das exakte Gegenteil. Persönliche Erfahrungen, individuelle Intensitäten und Identitäten im Fast-Nichts. Queer und selbstbewusst, wach und woke und doch melancholisch in sich gekehrt misst das knapp 25-minütige Finding a Way to Live (Superpang) einen Raum der Erfahrung ab, der größer und bunter kaum sein könnte in den minimalsten Drone-Ambient-Variationen.

In diesem Zusammenhang möchte ich das italienische Digital-Only-Label Superpang, auf dem in diesem Frühjahr neben Novak und Forsberg noch einige andere Feinheiten, etwa von Mark Templeton, erschienen, noch einmal allen Freund*innen der experimentellen Schönheit nahelegen. Wie die australischen Longform Editions hat Superpang keinen fixen Künstlerstamm oder lokalen geographischen Fokus, sondern veröffentlicht vorwiegend langformatige Einzelstücke von meist noch kaum etablierten Künstler*innen aus aller Welt, die praktisch alle eine Entdeckung und Weiterverfolgung wert sind.

Ebenso wie das belgische Audio.Visuals.Atmosphere, wo eine Form des experimentellen und minimalen, aber eher undüsteren Dark Ambient kultiviert wird, der das bevorzugte Medium des Labels, nämlich Kassetten, bestens reflektiert. Emptiness, Reworked, Rewoven (Audio.Visuals.Atmosphere) des Belgiers Sequences erscheint als C56-Tape und Vinyl, und das Remix-Album gibt einen interessanten Überblick über eine neue, noch junge Dark-Ambient-Szene in Benelux und Skandinavien, die ihre traditionellen Bindungen an Industrial und Noise weitgehend abgeworfen hat, ihre vorherrschende Ästhetik aber noch nicht aufzugeben bereit ist. Nächste Verwandte finden sich zum Beispiel in Berlin bei Vaagner oder in Kopenhagen bei Janushoved.

Auf der konventionelleren Seite der von Nicht-Pop inspirierten akustischen Klänge spielt die sogenannte Neoklassik, immer ein Wackelkandidat, aber ebenso ein Muss in dieser Kolumne. Wenn sie ihre Fühler in Richtung Minimalismus oder in Richtung nichtwestlicher, nichtklassicher Musiken ausstreckt, geht das oft gut. Das haben gegen Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bereits Acts wie das Penguin Cafe Orchestra und World-Music-Grenzgänger wie John Hassell demonstriert. Der Brite Tom Hill ist noch nicht ganz so lange aktiv, sein Solo-, dann Duo und Trio, dann wieder Soloprojekt Origamibiro bringt die Ideen einer akustischen, weltweit inspirierten, minimalistischen Neoklassik mit Postrock und Pop-Elementen allerdings noch immer auf den Punkt. Miscellany (Denovali) ist eine Hörerfahrung, die an Techno und House, an Rhythmus und Wiederholung geschult ist.

Emo-Klassik statt Neoklassik, immer zum Maximum des Möglichen und Erträglichen zu spielen, ist eine weitere Möglichkeit, der tendenziell beliebigen neoklassischen Gefälligkeit zu entgehen. Wobei Marc Euvrie letzteres bestimmt noch nie nachgesagt wurde. Der Franzose, der als The Eye of Time politisch wachen Dark Ambient und Heavy Electronica produziert, hat weder Angst vor klaren Ansagen noch vor Gefühlsextremismus in Schmerz und Liebe. So ist sein nach 2014 zweites nicht-elektronisches Album Acoustic II (Denovali) Piano/Cello-Neoklassik aus dem Spirit von Hardcore und Postrock. Dass Euvrie Schönheit und Ausdrucksstärke schätzt, ohne das Bewusstsein von Konflikt und Gewalt zu verleugnen, hebt seine Musik weit über den neoklassischen Durchschnitt.

Der Rostocker Johann Pätzold ist ebenfalls so ein rauer, widerspenstiger Charakter, der seine Musik so überschwänglich und voll von Emotionen gestaltet, dass die Grenze zwischen Schönheit und Schmerz sich doch aufheben möge. Sein Alias Secret of Elements spielt also immer am oberen Rand der noch auszuhaltenden Intensität knapp am Kitsch vorbei. Das ist auf Chronos (Infiné, 24. April) nicht anders. Ebenfalls von Postrock und Trip-Hop informiert, ist das Album eine Extreme suchende wie kraftstrotzende Angelegenheit mit vorwiegend großen Momenten weit jenseits der Stille.

Die isländische Pianistin Eydís Evensen setzt auf ihrem Debüt Bylur (XXIM/Sony Classical, 23. April) dagegen auf die Kraft der inneren Einkehr und Ruhe. Ihre Arbeit vibriert vor Erregung und Emotion, bleibt aber diesseits von Introversion und Melancholie. In Musik gesetzt mit dem Kunstgriff, den super-intimen, super-persönlichen Erfahrungen nicht zu nahe zu kommen, sondern immer genau nahe genug, um zu berühren, aber nicht übergriffig zu werden. Dass in einem solchen Spiel von Distanz und Nähe, aus Identifikation und einem Larger-than-Life-Startum eine so intensive Schönheit entstehen kann, ist das Versprechen großer Popmusik. Vielleicht sogar das einzige Versprechen, das Pop je gemacht hat. Eydís Evensen kann es jedenfalls spielend einlösen.

Dass der vierte und letzte Teil der tollen EP-Reihe Music For Home des Labels Mü-Nest Labels aus Kuala Lumpur wieder toll wird, daran bestand eigentlich kein Zweifel. Was Label-Associate Euseng Seto alias Flica allerdings daraus macht, übertrifft alle Erwartungen. Music for Home Vol. 4: BETWIXT (Mü-Nest) schafft ganz große, kleine Ambient-Klänge aus der gefühlten Erfahrung von hundert Jahren Neoklassik und den besten, melancholischsten Anime-Soundtracks, die je geschrieben wurden. Sie finden klare Schönheit in der Beschränkung. Drei mal drei Minuten, und alles ist schon wieder vorbei. Wie gut, dass es die Repeat-Funktion gibt.

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