The Bug feat. Dis Fig – In Blue (Hyperdub) 

Zwei Großstadtbewohner*innen machen zusammen ein Album. Sie verwandeln Bevölkerungsdichte in Sound: rechthaberische Radler*innen, Flagship Stores, Geschwindigkeit, das Ausbleiben geteilter, durchtanzter Nächte. Die beiden, das sind The Bug und Dis Fig. Auf In Blue sind Idee wie auch die Mittel, die beide zur Umsetzung nutzen, so groß, dass ihr Sound alles karg werden lässt. Es wird Wüste. Zur Wüste gemacht mit den Werkzeugen zweier an Klangforschung interessierten und in Clubs sozialisierten Produzent*innen.  

Und diese Werkzeuge sind die Knöpfchen über den Schriftzügen Delay und Echo. Sie vermitteln das großstädtische Ich der klanggewordenen Realität. „Around Me” lautet passenderweise der Titel des ersten Stücks. Es wirkt wie eine Ouvertüre Klassischer Musik. Wie ein Prisma zeigt es das Kommende. In der Ferne taucht eine Wand auf, noch ist es ruhig hier, doch der Sandsturm zieht auf. Dis Figs Stimme, verpackt in Echo-Wolken, zärtlich sprechend, wird präsenter und bringt metallen funkelnde Dissonanzen im Bass-Spektrum mit, bis diese wieder verhallen. Mit „Come” ist die Wand voll da. Heulendes Schleifen, Kopfnicker-Bass-Drum, surrende Saiten. Überhaupt rauscht und zupft es um die Beats und Harmonien. Oder ist das Verhältnis gar umgekehrt?


Dieser Sound, dieser große Entwurf, er klingt nicht nur weich. Er hat schon auch mächtig Kick. Er ist Pop und Denken zugleich.


„Blue To Black” und „End In Blue” lauten die Brückenstücke, die den Spannungsbogen des Beginns bis zum Ende spannen. In beiden Tracks gibt es keine Dominanz zwischen Effekt und Ausgangston, beide sind undenkbar ohne einander. „Blue To Black” klingt düster in seinem Marsch-Rhythmus und seiner sirenenartigen Beklemmung. Das Schlussstück „End in Blue” hingegen löst die Gegensätze auf, es gibt weder Beklemmung, noch gibt es Angst oder Freude, es gibt eine Berührung, und die geht aus von Felicia Chens Stimme und vom allmählichen Verhallen der Signale. Jetzt ist wirklich alles eingeebnet.

Wüste bedeutet auf In Blue, der ersten Zusammenarbeit der in Berlin lebenden US-Amerikanerin Felicia Chen und des jüngst nach Brüssel gewanderten Briten Kevin Martin: ein eben gemachter Raum, keine Zukunft, keine Vergangenheit, nur Gegenwart. Dieser Sound, ein sensualistisches Schwirren, mag überraschen angesichts der zuvor geleisteten Arbeiten von Dis Fig und The Bug. Bei Erstgenanntem gibt es zumindest ein Vorspiel. Denn bereits in der Zusammenarbeit mit The Earth alias Dylan Carlson lotete Martin das Stoische aus. Die Langsamkeit, das Rauschen um des Rauschens willen, da allerdings noch in Übereinkunft mit extremen Gitarrenfeedbacks. In der Zusammenarbeit mit Dis Fig stülpt er die expressionistischen Zacken seines Œuvres als Techno Animal und The Bug zum ersten Mal komplett um.


Die Dichte, für die nun beide Künstler*innen so bekannt sind, die ist auch da auf In Blue. Sie ist auch ebenso präsent wie in den jeweiligen Arbeiten zuvor. Nur ist sie eben runder, weicher, unmittelbarer.


Eine ähnliche Umkehrung vollzieht übrigens auch Dis Fig. War doch auch sie bisher vor allem durch weitaus rabiatere Tracks, Remixes und DJ-Sets bekannt. Musique concrète und Industrial, was von hartem Techno noch so rumliegt, Hip Hop, Schreie, das waren in etwa die key selling points ihres im vergangenen Jahr vielbeachteten Albums Purge.

Die Dichte, für die nun beide Künstler*innen so bekannt sind, die ist auch da auf In Blue. Sie ist auch ebenso präsent wie in den jeweiligen Arbeiten zuvor. Nur ist sie eben runder, weicher, unmittelbarer. Alle harten Sounds kommen wie in Watte verpackt, etwa der Dancehall-Beat in „Blood”,  die schiffssirenenhafte Bassline von „In 2 U” oder die Synthesizer-Muster von „Levitating”, die in ihrer frivolen Neugier sogar an Depeche Mode erinnern – nicht unbedingt die naheliegendste Referenz eines Albums von The Bug und Dis Fig.

All dem sei hinzugefügt: dieser Sound, dieser große Entwurf, er klingt nicht nur weich. Er hat schon auch mächtig Kick. Er ist Pop und Denken zugleich. Nach dem Philosophen Marcus Steinweg ist die Wüste „Schauplatz der fiebrigen Selbstvermittlung mit dem Nichts”. Um diese Formulierung in ihrer Tiefe zu durchdringen, gibt es Wege. Einer davon ist, viel zu lesen. Der andere: dieses Album hören.

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