KETTAMA und Lone (Fotos: Presse).
Ende Juli veröffentlichten Lone und KETTAMA ihre gemeinsame EP auf R&S Records. Die Platte umfasst zwei Solo-Tracks und einen kollaborativen Titel, „The Way You Feel”. Während die Veröffentlichung für KETTAMA das erste Release auf dem ikonischen Label bedeutet, ist Lone nach über zehn Veröffentlichungen, zu denen unter anderem drei Alben zählen, schon ein regelmäßiger Gast auf R&S. Kennengelernt haben sich Matt Cutler und Evan Campbell, wie die beiden mit bürgerlichem Namen heißen, kurz vor ihrem back-to-back-Set auf dem Glastonbury Festival im vergangenen Jahr, doch bereits zuvor waren sie Fans der Musik des anderen. Ohnehin verbindet die zwei mehr als nur ihre Leidenschaft für elektronische Musik.
Unser Autor Jonas Hellberg sprach mit den beiden über die Vor- und Nachteile des Heranwachsens in Nottingham bzw. im irischen Galway, erste Berührungen mit elektronischer Musik und die Bedeutung von R&S. Im Gruppentelefonat erzählen die Musikfanatiker außerdem, wie die gemeinsame EP zustande gekommen ist, welche Aspekte ihres Schaffensprozesses sie besonders wertschätzen und inwiefern sich die Corona-Zwangspause auf ihre Kreativität ausgewirkt hat.
Ihr beiden habt euch kurz vor eurem back-to-back-Set auf dem Glastonbury 2019 kennengelernt. Wie war es für euch miteinander zu spielen? Wessen Idee war das?
KETTAMA: Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wessen Idee das war.
Lone: Ich glaube, wir haben uns sogar davor schon mal kurz getroffen, weil wir irgendwo in London auf der gleichen Party gespielt haben, oder?
K: Stimmt. Ich habe Matt nur ganz kurz gesprochen und ihm gesagt, wie sehr ich seine Musik mag. Ich habe schon immer sehr zu ihm und seiner Musik aufgeblickt. Er ist ein immens talentierter Musiker. Ich weiß noch, wie ich früher all seine Sachen auf YouTube gehört habe. Jetzt eine EP mit ihm gemeinsam zu veröffentlichen, ist wirklich unglaublich.
L: Aber es stimmt schon, dass wir uns das erste Mal richtig auf dem Glastonbury kennengelernt haben. Das Set war natürlich für uns beide eine Riesensache, weil das Festival weltbekannt ist. Aber um die Frage zu beantworten: Es war überhaupt nicht komisch für uns. Gleich von Beginn an hat alles einwandfrei funktioniert. Unsere jeweiligen Stile passen wirklich großartig zusammen. Danach wussten wir sofort, dass wir irgendwas gemeinsam machen müssen.
Wie war die Corona-Zwangspause bisher für euch?
K: Um ehrlich zu sein, war es tatsächlich eine ziemlich entspannte Zeit, ich kann mich nicht daran erinnern, jemals so viel Freizeit gehabt zu haben. Man hat einfach so viel Zeit, um Musik zu machen und über das eigene Leben nachzudenken. Ich bin währenddessen auch zweimal umgezogen.
L: So war es bei mir auch. Allerdings ist da natürlich auch eine gewisse Angst im Hinterkopf, ob alles jemals wieder zur Normalität zurückkehren wird. Man weiß einfach nicht, wie sich alles entwickelt.
Hat die Zeit eure Musik in irgendeiner Art beeinflusst?
K: Ich weiß gar nicht, ob es so einen großen Einfluss auf meine Musik gehabt hat. Ich habe so viel produziert. Jetzt, wo ich darüber nachdenke: Wahrscheinlich hat es meine Musik unterbewusst beeinflusst. Ich habe viel melodisches, sehr viel verträumtes Zeug produziert, viele unterschiedliche Sachen.
L: Ich arbeite gerade an meinem nächsten Album. Das ist aufgrund der aktuellen Umstände definitiv nachdenklicher geworden. Ich hatte einfach jede Menge Zeit, um mehr ins Detail zu gehen. Da steckt jetzt noch mehr drin, einfach weil ich mehr Zeit investieren konnte.
Seid ihr enttäuscht, dass eure EP auf R&S zu einer Zeit veröffentlicht wurde, in der sie nicht im Club gespielt werden kann?
K: Mich macht das immer noch unfassbar stolz. Ich bin so glücklich, dass die Platte rauskommt. Das ist etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte. R&S ist so ein ikonisches Label, auf dem schon so viel Musik veröffentlicht wurde, die mich geprägt hat. Als ich angefangen habe aufzulegen, gehörte das Label zu meinen größten Einflüssen. Meine ersten Veröffentlichungen waren auf kleineren Labels und ich hätte mich niemals getraut meine Musik an R&S zu schicken, denn ich wollte mich nicht selbst enttäuschen. Es ist wirklich verrückt, auch wenn die Tracks erstmal nicht im Club gespielt werden können. Es fühlt sich trotzdem an wie ein Traum.
L: Natürlich bricht es mir irgendwie das Herz, dass unsere Platte momentan nicht im Club gespielt werden kann. Aber immerhin wird sie von vielen DJs in Livestreams gespielt. Außerdem kann man das auch so sehen: Vielleicht brauchen die Leute solche Musik gerade jetzt mehr als je zuvor. Es ist definitiv nicht verschenkt.
K: Und außerdem ist es eine Ehre, eine Platte mit Matt zu veröffentlichen.
L: Gleichfalls!
K: Es wird bestimmt noch mehr Musik von uns beiden geben. Der Track, an dem wir zusammengearbeitet haben, „The Way You Feel”, ging so schnell und alles passierte ganz instinktiv, es war fast ein bisschen verrückt. Vor allem dafür, dass wir aus zwei verschiedenen Ländern daran gearbeitet haben.
Also wart ihr gar nicht gemeinsam im Studio?
K: Nein. Wir haben uns den Track ein paar Mal hin- und hergeschickt. Das ging ziemlich schnell und war wirklich entspannt. Deshalb klingt er so natürlich.
L: Ja, das merkt man wirklich, oder?
K: Es fühlt sich nicht nach zwei verschiedenen Personen an.
Hattet ihr euch vorgenommen, genau diesen Musikstil zu produzieren? Der Stil der EP scheint eine logische Konsequenz eurer jeweiligen Ansätze zu sein.
L: Es ist einfach so passiert. Die Atmosphäre fühlt sich einfach sehr natürlich an. Wir haben über nichts zu lange nachgedacht. Wir haben uns gedacht, das sind wir, lass uns schauen, was dabei rauskommt.
K: Matt hatte damals diese Idee und hat sie mir geschickt. Und am selben oder am nächsten Tag habe ich ihm dann eine grobes Gerüst zurückgeschickt. Da war der Track dann schon fast fertig. Wir mussten dann nur noch ein paar Kleinigkeiten anpassen. Der Track hat einfach geknallt. Aber um die Frage zu beantworten: Der Synth und die Pads stammen offensichtlich von Matt. Es ist verrückt, wie talentiert er ist. Also haben wir mit seinem Vibe gearbeitet. Wir wollten schon etwas sehr Kraftvolles erschaffen.
L: Mir hat es wirklich Spaß gemacht. Ich weiß, dass Evan Tracks viel härter ballern lassen kann als ich. Ich kann ihm irgendwas schicken und weiß, dass die Kick einfach die fetteste auf der Welt sein wird. (beide lachen)
Gibt es einen Grund, warum die EP einfach nur LONE x KETTAMA heißt?
K: Dafür gibt es eigentlich keinen Grund. Wir wollten einfach nur beide präsent sein.
L: Das bringt es einfach auf den Punkt. Es repräsentiert uns beide.
Evan, du kommst aus der irischen Stadt Galway. Was bedeutet dir G-Town und spielt sie eine Rolle in deiner Musik?
K: Es ist schwierig, die Bedeutung festzustellen. Galway ist so klein. Die Stadt hat nur zwei Clubs, jetzt sogar nur noch einen. Die Musik, mit der ich dort groß geworden bin, war nicht besonders gut. Wir hatten dort nicht die Möglichkeit gute Musik und gute Artists zu hören, dafür mussten wir woanders hinfahren. Aber vielleicht gerade weil ich dort nicht so viel Musik ausgesetzt war, konnte ich meinen eigenen Sound finden. Wenn man keine direkten Einflüsse hat, muss man sich selber etwas ausdenken. Ich war viel auf YouTube, habe im Internet nach alten Platten gesucht. So habe ich Künstler*innen wie Matt gefunden.
L: Ich habe dort, wo ich aufgewachsen bin, die gleichen Erfahrungen gemacht. Ich habe auch nie in einer Großstadt gelebt, also war ich auch nie vielen Einflüssen ausgesetzt. Man musste einen eigenen Weg finden Sachen zu entdecken und dann seine individuelle Version davon erschaffen.
Evan, deine Ästhetik ist häufig ironisch und du nimmst dich und deine Marke nicht zu ernst. Findest du, dass unsere Szene zu ernst ist?
K: Ich glaube nicht. Alle haben irgendwie Spaß. Mir ist bewusst, dass es vor einiger Zeit noch sehr viel ernster war. Aber jetzt geht Techno durch Einflüsse wie Breakbeat in eine neue Richtung. Es sind viele neue Gesichter dazu gekommen, die sich selbst nicht zu ernst nehmen und die Musik als das genießen, was sie ist. Mir gefällt der aktuelle Trend. Ich habe das Gefühl, dass es mehr Persönlichkeiten gibt, das ist aufregender. Man sieht mehr von den Leuten. Früher, als die DJs noch nicht auf Instagram und den sozialen Medien waren, wusste man häufig ja gar nicht, wer hinter der Musik steht.
Du hast schon immer viel Musik umsonst herausgegeben. Erst vor Kurzem hast du vier Tracks über Bandcamp als Free Download angeboten. Warum bietest du deine Musik so häufig umsonst an?
K: Damals habe ich eigentlich jede Woche Tracks hochgeladen, denn ich hatte nichts Besseres zu tun und auch keine Labels oder so etwas. Ich habe die Sachen umsonst angeboten, damit ich Leuten auffalle. Ich bin über Soundcloud größer geworden. Ich hatte nicht das Gefühl, dass viele Künstler*innen ihre Musik gratis angeboten haben. Zumindest war das nichts, was ich oft gesehen habe. Mittlerweile hat sich das geändert. Ich weiß, dass es mir sehr viel gebracht hat, regelmäßig Musik umsonst herauszugeben. Als ich dann während der Quarantäne so viel produziert habe, wollte ich irgendwie wieder zurück zu dieser Zeit. Ich glaube, den Leuten gefällt das. Es geht nicht ums Geld, sondern nur um die Musik.
L: Wenn du so viel Musik machst, dann willst du auch, dass Leute sie hören, oder? Man will sie einfach veröffentlichen.
K: Genau. Den Leuten gefällt es, und ich liebe es auch. Man veröffentlicht seine Musik und bekommt Feedback. Ich mag die Interaktion mit Leuten.
Matt, über die Jahre ist R&S zu deinem Heimat-Label geworden. Woran liegt es, dass du immer wieder zurückkommst?
L: Ich habe selbst den Überblick verloren, wie viele Releases es mittlerweile sind. Ich habe dort drei Alben rausgebracht.
K: Das ist verrückt.
L: Es ist tatsächlich ziemlich beängstigend. Dazu kommen noch diverse EPs und Singles. R&S lassen mich einfach immer das machen, was ich möchte – das ist mir wichtig. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu ihnen. Sie haben noch nie versucht sich einzumischen. Wenn ich eine bestimmte Idee habe, sind sie immer bereit mich zu unterstützen. Das ist wichtiger als alles andere. Und außerdem ist es R&S. Bei mir ist es genauso wie bei Evan. Eine der ersten CDs, die ich je besessen habe, war Aphex Twins Classics. Damals war ich circa zwölf. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich irgendwann mal bei diesem Label landen würde, hätte ich das niemals geglaubt. Manchmal ist es echt zu komisch, darüber nachzudenken. (lacht)
War es deine Idee, die EP über R&S zu veröffentlichen oder sind sie auf euch zugekommen?
L: Es erschien uns einfach logisch. Also haben wir es an R&S geschickt und es hat ihnen sofort gefallen. Das ging alles sehr schnell.
K: Dann gab es dicke Tränen und billige Champagnerflaschen!
Matt, du bist sehr vielseitig und produzierst viele verschiedene Musikstile. Weißt du an einem bestimmten Tag schon, bevor du im Studio ankommst, was du für Musik machen wirst?
L: Ich arbeite immer in Phasen, die sich an unterschiedlichen Projekten orientieren, also an einem bestimmten Album oder einer bestimmten EP. Das jeweilige Projekt hat dann ein konkretes Konzept oder einen Rahmen, in dem ich arbeite. Und das hängt häufig davon ab, was ich zu dem Zeitpunkt gut finde. Also tauche ich jedes Mal in eine bestimmte Welt ab und sobald ein Projekt abgeschlossen ist, überlege ich mir etwas Neues. Ich finde es gut, mir ein grobes Konzept zu überlegen, bevor ich mit etwas anfange, und dann innerhalb dieser Regeln zu arbeiten. So verliert man sich nicht in etwas. Wenn ich etwas abschließe, bin ich danach normalerweise davon gelangweilt. Also mache ich im Anschluss einfach was anderes.
Du hast gerade die Greenhills Road Archive Tracks veröffentlicht – Titel aus deinem persönlichen Archiv, die vor zehn bis 15 Jahren entstanden sind. Wie haben sich dein Sound und dein musikalischer Ansatz seitdem verändert?
L: Ich glaube, dass ich Elemente entfernt habe, die ich nicht wirklich gebraucht habe. Es ist ein stetiger Prozess. Ich stehe immer noch auf die gleichen Sachen, die ich früher schon mochte, allerdings lernt man sich von Dingen zu trennen, die überflüssig geworden sind und man nähert sich immer mehr dem perfekten Ding – wobei ich glaube, dass ich niemals dort ankommen werde. Ich verfeinere und verbessere meinen Sound immer weiter und baue auf meinen liebsten Elementen auf – Chords und Melodien.
K: Ich finde, dass dein Sound sich eigentlich gar nicht so sehr verändert hat. Man hört immer noch, wer dahinter steckt. Es ist einfach immer eine Reise.
Arbeitet ihr schon an etwas Neuem zusammen?
L: Erstmal muss ich mein Album fertigstellen. Wir werden uns hoffentlich treffen, sobald sich die aktuelle Lage etwas beruhigt hat. Und dann schauen wir mal, wohin das führt. Ich habe Lust drauf!
K: Genau, wenn wir uns sehen, werden wir schauen, wohin das führt. Das aktuelle Release kam schon sehr spontan zustande. Wir wollten zwar unbedingt Musik zusammen machen, wussten aber nicht genau, was dabei rauskommen soll. Es wäre cool, ein Konzept zu haben und vor allem gemeinsam im Studio zu sein. Ich bin sicher, dass irgendetwas kommen wird. Matt ist ein super Typ!