Andy Stott – It Should Be Us (Modern Love)
Mit It Should Be Us meldet sich Andy Stott nach dreijähriger Pause auf Modern Love, seinem home turf, zurück. Schon das Cover leitet ein in die beklemmende Grundstimmung Stott’scher Elektronik: ein schwerfälliges Zebra im Schnee, schwarz-weiß, melancholisch und weird. Dieser Eindruck wird zunächst konterkariert. „Dismantle” eröffnet die EP mit einer warmen Synth-Line, die an einen verblassten Strandurlaub erinnert. Urplötzlich unterbricht sie ein langsam schleppender Beat mit einer Düsterkeit, der einem den aktuellen Dezembertag wieder vor die Augen ruft. Das Nebeneinander von fast schon kitschigen Melodien („Promises”) und langsamen, chuggy Rhythmen („It Should Be Us”) ist omnipräsent. „0L9” und „Ballroom” stechen jedoch klar aus dem Konzept heraus: Während der erste mit UK-Groove auf den Dancefloor prischt, erinnert der zweite Track an Footwork-Eskapaden à la Jlin. Dabei bleiben viele der Tracks („Collapse”) im Skizzenmodus eines aufgenommenen Live-Jams – kreative Ideen, aber chaotisch durcheinandergeworfen. Beim Durchhören fragt man sich daher, ob die EP eher dazu diente, die Festplatte des Künstlers von altem Ballast zu befreien. It Should Be Us evoziert den klassischen Andy Stott-Vibe. Die EP transportiert eine (er-)drückende Schwere, die gleichzeitig eine unheimlich zarte Seite besitzt. Wie ein sentimentaler, marschierender Riese mit Trauerflor. Shahin Essam
Benedikt Frey – Cells (ESP Institute)
Eine Neigung zu düsteren Produktionen war bei Benedikt Frey ja schon in anderen Zusammenhängen erkennbar, etwa im Projekt INIT, zu dem er die eine Hälfte beisteuert. Auf seiner EP Cells drängen die brütenden, dräuenden Anteile jetzt noch stärker als bisher in den Vordergrund. „Interlinked” mischt derangierten Acid mit monotonen, Chant-artig geloopten Stimmen. In „Pilot” sind Drones und traurig tastende Melodien fern jeglicher Beats ganz unter sich. Für „Substance B” wechselt Frey dann wieder etwas die Tonlage, erhöht das Tempo mit einem motorisch hämmernden Postpunk-Rhythmus, über den er repetitiv-monotone Synthesizertöne schichtet. Gelegentlich meldet sich jemand wie kommentierend zu Wort. Und „Pedal to the Metal” ist ein Gebräu aus hallenden Patterns, die teils ungemütlich verzerrt über der stoischen Bassdrum hin- und herschmirgeln. Trotz seiner trübsinnigen Grundanlage hat dieser unterkühlte Groove alles in allem durchaus etwas Heimeliges. Tim Caspar Boehme
Intergalactic Gary – Signs of Disarray (Midnight Shift)
Seit mehr als drei Jahrzehnten gibt es in Den Haag eine Musikszene, die für ihre Vorliebe zur Electronic Disco bekannt ist. Vielleicht ist das nicht verwunderlich. Denn sechzig Kilometer von Den Haag entfernt lebte in Haarlem der Gründer des legendären Labels Rams Horn Records, Guido Weyprecht. Das veröffentlichte ab 1979 inflationär Italo Disco und andere Arten elektronischer Disco. Den Haag selbst gilt seit I-Fs folgenreichem Hit „Space Invaders Are Smoking Grass” sicherlich als ein Zentrum für das Detroit Electro-Revival der späten 1990er. Intergalactic Gary alias John Scheffer ist spätestens seitdem als DJ und Musikproduzent ein Bestandteil der Den Haager Szene. Zu Hochzeiten des Electrotrash um das Jahr 2000 veröffentlichte er mit I-F auf dessen Label Viewlexx. Dann wurde es um ihn als Musikproduzent wieder etwas stiller. Seine neue E.P. Signs of Disarray – die erste Soloveröffentlichung seit 15 Jahren – zollt dieser Sozialisierung eindeutig Tribut. So klopft der Titelsong stoisch mit einem analogen Sechzehntel-Italo-Bass und langen Roland-Space-Echo-808-Disco-Snare-Claps nach vorne. Aus dem Nichts ertönt eine dystopische Synth-Fläche, die sofort dunkle Euphorie entfacht. Mit trockenen Disco-Claps macht „Invisible Intruder” langsamer weiter und erfreut mit einem Synthesizer-Chor, der Erinnerungen an den PPG Wave Synth und Art of Noise wachruft. Auf der B-Seite kommt „Nickel from the Bumper” als dumpfes, industriell klingendes DJ-Tool ganz ohne String-Layers aus. Während „Mystified” mit 1990er–Cosmic-Anleihen, einer Art Hohner Rhythm 80-Afro-Groove und vielleicht mit Korg800-Glocken in die Untiefen des Tanzflächen-Gehirns vordringt. Intergalactic Gary liefert exakt und solide die Art von Platte, die man aus Den Haag erwartet. Dass der Technoproduzent Redshape drei Tracks auf der E.P. abgemischt hat, ist neben der netten Anekdote aber kaum hörbar. Mirko Hecktor
Jay Clarke – Klockworks 28 (Klockworks)
Die London-Berlin-Connection läuft zu Höchstform auf! Der Fabric-Resident Jay Clarke präsentiert auf Klockworks seine nun schon zweite Solo-EP. Diese zelebriert ironischerweise weder UK-Sound noch Berliner Technogewitter, sondern – Trommelwirbel – die Motor City schlechthin, Detroit! Butterweiche Grooves dominieren die Tracks und scheppernde Rhythmen lassen Hörer*Innen gar keine andere Möglichkeit, als sich fallen zu lassen und den Highway-Ride zu genießen. Ben Klock selbst nutzte über die letzten Monate die pure Energie der Clarke-Tracks schon regelmäßig in seinen eigenen Sets, wobei er vor allem „Visualize”, die A1 der Platte, zu favorisieren schien. Nicht verwunderlich, scheint der Titel doch fast wie für eine Ben Klock-Performance handgefertigt. Verglichen dazu schlägt dann „In Dreams” subtilere Töne an, was allerdings nur heißt, dass die Hörer*Innen in einen unaufhaltsamen psychedelischen Mahlstrom gezogen werden, in dem dann Handclaps und ästhetische Sci-Fi-Soundschnipsel warten. Die Flipside fußt auf selbigem (Erfolgs-)Prinzip. „The Cage” knallt und rummst während „The Right Time” mühelos hinfort trägt. Nice. Andreas Cevatli
Joy Overmono – Bromley (XL Recordings)
Bromley liegt im Südosten Londons. Da liegt auch das Studio von Overmono, dem Duo der Brüder Tom und Ed Russell, die solo unter anderem als Truss beziehungsweise Tessela produzieren. Joy Overmono wiederum ist der aktuelle Zusammenschluss von Joy Orbison und Overmono. Die vereinten Kräfte führen dabei nicht zu Gerangel auf den Tonspuren, vielmehr konzentriert das Trio seine Auswahl an Mitteln auf das Nötigste. In „Bromley” wird ein synkopierter Beat langsam aufgebaut, wieder zurückgenommen, ohne dass zwischendrin die ganz große Pause wartet. Vielmehr halten sie den Rhythmus auch in seiner abgespecktesten Form stets im Fluss. Im letzten Drittel kommt dann eine leicht verknisterte Frauenstimme dazu, die mit digitalem Stottern „Say it, yea-a-a-a-a-ah!” einwirft – mit der Kraft eines Laserstrahls. „Still Moving” rauscht zunächst untergründiger, lässt irgendwann ein böse verzerrtes Synthesizermelodie-Fragment los, das für unruhige Spannung sorgt. Hier wird erst einmal wild am Körper gezerrt, bis ein vergleichsweise filigraner tribalistischer Beat die Energie zu kanalisieren beginnt. Mit ähnlich heftigem Ergebnis wie die A-Seite. Ziemlich großartig, diese zwölf Minuten. Tim Caspar Boehme