DJ Harvey in Barbarella´s Discotheque auf dem Love International. Sämtliche Fotos: Jake Davis for Khroma Collective
Hell steht auf einem IPad, das ein Fahrer am Arrivals-Ausgang in den Händen hält. DER Hell? Der Fahrer, der mich abholt, Pejo, zuckt bloß mit den Schultern. Die Namen bekannter DJs lassen hier niemand aufhorchen, an der kroatischen Küste löst ein Festival das nächste ab. Hell spielt wahrscheinlich auf dem Hide Out, sagt Pejo, einem riesigen Techno-Festival, das eine Woche dauert. 20.000 Menschen werden dafür durch den kleinen Flughafen von Split mit seinen fünf Gates geschleust, an dem ich gerade angekommen bin. Mich zieht es zum kleinen Festival Love International mit gerade mal 2000 Besuchern. Pejo bringt schon seit drei Tagen DJs über die bergige Küstenstraße zu der Ferienanlage, in der das Festival stattfindet. Wen er alles schon gefahren hat, weiß er nicht mehr. Bloß, dass sie Englisch gesprochen haben. Da liegt er richtig: Das Love International ist ein durch und durch britisches Festival, das von einer alteingesessenen Crew betrieben wird, die ursprünglich aus Bristol stammt. Es ist aus dem Garden Festival hervorgegangen, das schon 2005 gegründet wurde, eines der ersten Festivals in Kroatien überhaupt. Mit Acts wie Call Super, Dan Shake, Moxie, Joy Orbison, Shanti Celeste oder Saoirse setzt das Festival auf einen aktuellen, breakigen Sound, der in all seinen Facetten und Ausläufern ausgekostet werden soll.
Das Festival findet in einer Ferienanlage statt, die etwas charmant Verlebtes hat. Ich stolpere in das Set von Josey Rebelle, die ihren Signature Clash aus ungelenkem Oldschoolhouse und schroffen, digitalen Basstracks inszeniert, mit dem sie sich zur Zeit auch jenseits der britischen Szene einen Namen macht. Die dialektischen Hakenschläge, zu denen sie mit jedem Track ansetzt, sind zum Teil genial, zum Teil interessant, aber sie scheinen die Crowd, die von der Hochsommer-Sonne schon ziemlich weich geschmort ist, zu überfordern. Jedenfalls blicken die geröteten Gesichter etwas ratlos drein.
Leon Vynehall bringt Ruhe in den Floor vor der Garden Stage. Obwohl er keine 4/4-Grooves spielt, zieht sich eine stetige, rhythmische Linie durch die Tracks, ein Stück weit unberechenbar, aber doch fließend. Der Großteil der Aufmerksamkeit liegt bei ihm bei den Sounds. Er arbeitet mit den spröden, dubbigen Pads und Flächen, die man auch von seinen Releases kennt. Aus diesem Kosmos entsteht eine akustische und eine emotionale Vielfalt, die überraschend lebendig und humorvoll klingt.
Holz, Stein und ein breites Cowboylächeln
Wenn man sich die satten, farbigen Blüten der Bougainvillea oder des Oleander wegdenkt, könnte man sich auf diesem Floor noch auf einem Festival in Brandenburg befinden. Das geht vor der Beach Stage nicht mehr. Da tanzt man direkt am Meer, an einem Pier liegen die Schiffe, auf denen die Boat Partys stattfinden, die ein bisschen wie Ausflugsdampfer, ein bisschen wie Piratenschiffe aussehen.
Vor dieser malerischen Silhouette spielt Paramida einen, verglichen mit dem anderen Floor, konventionellen, weil 4/4-lastigen Housesound. Ein wenig abgekämpft sieht die Wahlberlinerin aus, die Festivalsaison hat ihren Preis. Das ändert nichts an der Selbstverständlichkeit, mit der die Grooves den Dancefloor um den Finger wickeln. Da steckt mehr drin, als man auf den ersten Blick meint: Die klassischen Housesounds werden zerlegt und auf lose, spielerische, unerwartete Weise wieder zusammengesetzt. Wo es Josey Rebelle um Brechungen geht, arbeitet Paramida aus dem Inneren der Grooves. Orpheu The Wizard verschmilzt beide Prinzipien. Bestens aufgelegt wirft er seinen Kopf nach rechts und links, es ist kaum möglich, zu bestimmen, was genau da zusammengemixt wird. Er cuttet zackige Grooves und agile Funksamples aneinander, die einzelnen Tracks wirken, als seien sie selbst schon Edits.
Mit Orpheus Set geht die Party auf dem Festivalgelände um 14 Uhr auch schon zu Ende. Weiter geht es im Barbarella, einer Diskothek, die sich 10 Kilometer entfernt im kroatischen Nirgendwo befindet. Viele fahren Taxi, obwohl auch ein kostenloser Shuttle angeboten wird. Eine Truppe krakeelender, bestgelaunter Raver*innen wird so durch kurvige Straßen transportiert. Das Barbarella ist ein großzügiger Open Air-Club, der von Steinblöcken umschlossen ist, der sich aus der Umgebung rausnimmt und zum Himmel öffnet. Es ist ein eleganter Ort, der mit seinen einfachen Materialien wie Holz und Stein den aufgeblasenen, künstlichen Luxus mancher mediterraner Clubs vermeidet.
In der DJ Booth steht niemand anderes als DJ Harvey. Trotz der überschaubaren Kapazität von 2000 Besuchern protzt Love Int. mit einem opulenten Programm, das keine Wünsche offen lässt. Harvey lächelt sein Cowboy-Lächeln und sieht über Stunden hinweg so aus, als sei er gerade eben zufällig vor dem DJ Pult gelandet. Er spielt den schwebenden, durchlässigen Discosound, den man mit ihm verbindet, der im Kontext dieses Festivals mit seiner Avant-Ambition überraschend gefällig klingt. Während das Festival größtenteils von Engländer*innen besucht wird, ist die Crowd hier ein wenig gemischter und sind erfreulicherweise auch einige Locals da. So entsteht ein interessanter Mix aus Raver*innen, feierfreudigen Touristen und Leuten aus der Gegend.
Geniale Diletanten
Am nächsten Tag lande ich am späten Nachmittag auf dem Beach Floor. Getanzt wird nur vereinzelt, die Gäste chillen am Strand und trinken Bier, das die Betreiber der Anlage selbst brauen, oder Cocktails aus orangefarbenen Plastik-Karaffen, aus denen mehrere Strohhalme herausragen. The Maghreban spielt weiche, sphärische Sounds, die sich zu unerwartet dichten Grooves verweben, die zugleich charmant und fordernd sind und das hochsommerliche Gemüt pleasen. Zum Tanzen kann er mit diesem kunstvollen Mix aber nur etwa zehn Menschen bewegen. Das hat nichts mit seiner Musik zu tun, sondern mit einem strukturellen Problem des Festivals: Die Mehrheit der Besucher*innen will sich erst nach Einbruch der Dunkelheit bewegen, bis dahin kurieren sie ihren Kater aus, chillen am Strand oder treiben sich außerhalb des Festivalgeländes rum, etwa im benachbarten Ort Tisno. Da vor dem Städtchen eine Insel liegt, ist das Meer dort ganz still und verbreitet eine besondere, gelassene Stimmung.
Bei Derek Carr ist dann sogar nur eine einzige Person auf dem Floor, was schade um dem klassischen, ungewöhnlich organischen Electrosound ist, den er spielt. Bei Tristan Da Cunha füllt sich die Tanzfläche. Er nimmt den electroiden Faden auf, erweitert ihn um eine verspielte, augenzwinkernde Note und rüttelt die Crowd mit abrupten Übergängen wach, die sie nach dem Dinner gut gebrauchen kann. Mit DMX Krew wird dieser Electro-Abend mit einem Held des Genres beendet, der zwar noch genauso in der Materie ist wie vor 20 Jahren, dabei aber etwas gelangweilt wirkt.
Der Headliner dieser Nacht ist einer der beliebtesten Liveacts der Szene: Paranoid London. Sänger, Tänzer, Performer Josh Caffe projiziert mit seiner spinnenartigen Gestalt und seinen abrupten Bewegungen und Vocals eine faszinierende Fremdartigkeit. Gerardo Delgado and Quinn Whalley wirken nicht weniger unberechenbar, sie springen an einem breiten Tisch mit einem Berg von Gear hin und her. Dass manche der Loops allzu sehr nach bestimmten Chicago-Klassikern klingen, schadet ihren Platten, aber nicht ihrem so dilettantischen wie genialen Live-Act.
Nach Paranoid London zieht es mich zum Olive Grove. Dieser versteckte Floor bedient jene, die sich in einem monotonen Sound mit technoiden Spitzen verlieren wollen, etwa von Fantastic Man und Francis Inferno Orchestra, die hier b2b spielen und ihren funktionalen Sound mit nagenden Synths und rhythmischen Verschiebungen daran hindern, gefällig zu werden.
Agiler Disco & zuckende Blitze
Parallel dazu wird auf dem Beachfloor ein geradlinigerer Sound als gestern gesponnen, das Test Pressing Soundsystem setzt einen minimalistisch-trippigen Grundton, Eric Duncan garniert diesen mit Soul- und Funk-Splittern. Eine Antithese zu dem extrovertierten, schrillen Auftritt von Paranoid London ist das Set von Prosumer. Ein vergleichbar kompaktes, gebündeltes, mitreißendes Set hat man bisher auf dem Festival noch nicht gehört. Den harten, schweren, monotonen Grooves hört man ihre Berlin-Sozialisation an, gegen ihre ungestüme, rohe Energie wirken alle anderen Sets beherrscht. Prosumer setzt eine klare Linie zwischen Drinnen und Draußen. Wenn man draußen ist, will man drinnen sein. Wenn man drinnen ist, ist man nicht mehr in der Lage, über irgendwas anderes nachzudenken. Als sei das nicht genug, werden die konzentrierten Grooves von sweeten, MDMA-verzückten Momenten gebrochen.
Mein finaler Festivaltag steht im Zeichen einer Bootsfahrt, wie sie den ganzen Tag über bis in die Nacht auf zwei Kähnen stattfinden. Ich habe mir „Bears In Space” mit Kornél Kovács ausgesucht. Der hat aber seinen Anschlussflug verpasst, deshalb dürfen Victor Rodriguez und Chris Bowen den gesamten, vierstündigen Ausflug beschallen. Die beiden Ikonen des schwulen Nachtlebens von Los Angeles spielen ein klassisches Disco Programm mit Songs wie “Touch Me In The Morning” von Marlena Shaw oder “Mama Soul” von The Soul Survivors, das durch und durch glaubwürdig ist, aber mit der Zeit allzu amerikanisch und zu glatt klingt. Zwischendurch zieht ein Sturm über das Boot hinweg, am Horizont zucken Blitze, was der Stimmung auf dem Schiff eine unerwartete Dramatik verleiht.
Über den Steg gehen wir auf das Festivalgelände zurück, wo Sets von Darshan Jesrani von Metro Area und ein b2b von Vladimir Ivkovic & Ivan Smagghe auf uns warten. Love Int. schöpft aus dem Vollen. Manchmal wünscht man sich, der in der Regel aus Zwei-Stunden-Slots bestehende Timetable würde den DJs mehr Zeit geben. Aber das ist nur ein einziger Wermutstropfen. Tisno lässt sich von dem kroatischen Festival-Wahnsinn nicht aus der Ruhe bringen, die Anlage von The Garden inszeniert ihren mediterranen Charme auf angenehm zurückhaltende Weise, mit den britischen Kids hat man verlässliche Raver*innen um sich, die sich trotz Verlockungen wie aus Luftballons zu konsumierendem Lachgas im Griff haben. Zusammengehalten wird dabei alles vom Musikprogramm, das einem schlichtweg die Ohren übergehen lässt. Und mit Acts wie Jan Kinčl & Regis Kattie aus Split bemüht sich das Festival sogar um die Einbindung der örtlichen, kroatischen Szene.