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Nach düsteren UK-Experimenten veröffentlicht Konx-om-Pax seine dritte LP Ways Of Seeing auf Planet Mu. Tom Scholefield, den Mann hinter dem Moniker, kennt man auch von neonfarbenen, futuristischen Artworks für Hudson Mohawke oder Leisure System. Die Poster von Leisure System hängen neben MIDI-Keyboard und Monitorboxen in seinem Zimmer unweit der Berlin-Neuköllner Sonnenallee, wo wir den entspannten Glasgower zum Interview treffen. Unten rumort ein arabischer Gemüseladen, oben schlürfen wir Espresso und sprechen über das Geheimnis guter Clubmusik, Synästhesie und warum ihm sein Umzug von Glasgow nach Berlin zu einer optimistischen Einstellung verholfen hat.

Deinen Alias Konx-om-Pax hast du Aleister Crowleys Buchtitel Kom-om-Pax: Essays on Light entnommen, das neue Album heißt Ways Of Seeing. Licht und Sehen scheinen ein Thema von dir zu sein. 

Das ist mir tatsächlich noch gar nicht aufgefallen. Aber unbewusst ziehen sich die Themen von Wahrnehmung und Sehen durch meine gesamte Arbeit. Den Albumtitel habe ich aus einer Kunst-Doku über [den Maler und Kunstkritiker, d. Aut.] John Berger. Die haben mich an den Kunst-Unterricht in der High School, mein Kunststudium und Galerien als geschützte Räume erinnert, was ich wirklich mochte. Jetzt fühlt es sich an, als ob ich zurück an der Universität bin, weil ich einfach jeden Tag aufwache und Musik, Kunst und viele andere Sachen mache und zurück in dieser spaßigen, kreativen Zone bin.

Also warst du eine Zeit lang nicht so kreativ?

Ich habe mich ein bisschen verloren gefühlt, bis ich angefangen habe, dieses Album zu machen. So fand ich zurück zu meiner Musik oder dem Sound, den ich seit langer Zeit zu machen versuchte. Jetzt habe ich gerade den Dreh raus, Clubmusik zu produzieren. Das ordentlich hinzukriegen, hat die Hälfte meines Lebens gedauert. Und ich stehe immer noch am Anfang.

Die Platte ist auf jeden Fall geradliniger und fröhlicher geworden als dein voriger Output.

Ich war viel auf Festivals mit Kode9 unterwegs und von echt komischer, dekonstruierter, wütender, industrieller Musik und hartem Techno umgeben, der zwölf Stunden lang wie derselbe Track klingt. Daher wollte ich was melodisches und nicht zu kompliziertes machen.

Tom Scholefield in seinem Heimstudio in Berlin-Neukölln. Foto: Alicja Khatchikian.
Tom Scholefield in seinem Heimstudio in Berlin-Neukölln. Foto: Alicja Khatchikian.

Also langweilt dich dekonstruierte Club-Musik?

Ja, ich wollte sie rekonstruieren [lacht], zurück zu den Anfängen bringen. Ich hatte immer Acid Trax-Platten in meinem Kopf, mit einer Roland TR-707 und einer TB-303. Nur zwei Elemente, total simpel, wie Armando. Wann immer ich mich dabei erwischt habe, die Tracks komplizierter zu machen, habe ich versucht, zu Acid House oder Zeugs wie Boards Of Canada zurückzukommen. Weil das war immer total simpel und melodisch.

Weniger ist mehr?

Ja, ich bin definitiv reduktionistisch vorgegangen. Um “Missing Something“ abzuschließen, habe ich ungefähr zwei Jahre und dreißig Versionen gebraucht. Der Track war zu kompliziert, hatte zu viele Elemente und Veränderungen. Weil die Melodie so eingängig ist, dachte ich, ich muss weiter dran schrauben, obwohl mich das total verrückt gemacht hat. Ich erinnere mich, wie ich den Track in diesem schrecklichen Winter gemacht habe, als ich viel in der Wohnung festhing und vom Sommer träumte. Der sollte im Sommer wirklich gut in der Panorama Bar kommen. Ich glaube, ich benutzte dieselben Samples wie ein Boards Of Canada-Track von einem alten öffentlichen Informationsfilm über eine Nordkanadische Inuit-Gemeinschaft. Davon wollte ich eine Rave-Version machen. Meine Mitbewohner tun mir leid, die mussten wochenlang diesen 16 Bar-Loop hören. Ich habe sie langsam in den Wahnsinn getrieben wie in dieser Szene von The Shining: All work, no play [lacht].

Tracks zu verkomplizieren und Layer anzuhäufen ist einfacher als sich auf starke Grundelemente zu konzentrieren?

Ich habe mir auch viel altes Material von mir von vor zehn Jahren angehört. Mein erstes Release war eine CD-R von einer Installation bei den Optimo-Partys in Glasgow. Total noisy and extrem komische Musik wie Merzbow. Es war komisch, sich diese ausgetüftelten Sachen wieder anzuhören und zu realisieren, wie viel Mühe ich mir gemacht habe, Dinge zu verkomplizieren. Das könnte ich gar nicht mehr. Oder vielleicht – sollte ich mal ausprobieren.

„Ich arbeitete an Musik, Hudson Mohawke arbeitete an Musik und Lunice drehte Joints.“

Dein Umzug nach Berlin im Jahr 2016 hat dich bei deiner neuen Platte stark beeinflusst?

Es ist ein ziemliches Klischee, aber ich wollte auch nach Berlin, weil mich Sachen wie Basic Channel und Chain Reaction faszinierten. Mein erster Kontakt mit Techno waren diese deutschen Dub Techno-Sachen wie Wolfgang Voigt, Profan oder Burial Mix. Die ordentliche Minimal Techno-Schule wie Jeff Mills, Tresor oder Surgeon. Über diese Dub Techno-Gerüste wollte ich immer meine eigenen melodischen Einfälle legen.

Also wolltest du sehen, wo diese Musik entstanden ist?

Ja, und länger in einem Club bleiben können als fünf Stunden. In Schottland ist um drei Uhr morgens Feierabend. Hier fange ich dann frühestens an aufzulegen, meistens sogar später.

Tom Scholefield alias Konx-om-Pax in seiner Wohnung in Berlin. Foto: Alicja Khatchikian
Tom Scholefield alias Konx-om-Pax in seiner Wohnung in Berlin. Foto: Alicja Khatchikian

Manche empfinden Berlin als eine roughe und deprimierende Stadt, aber dir hat sie zu einer positiveren Einstellung verholfen?

Nun, ich komme von der schottischen Westküste. Die Leute dort sind ziemlich offen und nett, aber es gibt einen tief verwurzelten Zynismus und eine Underdog-Mentalität. Irgendwann hatte ich genug davon. Schotten allgemein sind ziemlich beschissen drauf. Wenn du fragst, wie es ihnen geht, werden sie wahrscheinlich jammern. Deshalb war mein erstes Album so trübselig [lacht]. Ich finde die Leute in Berlin sind ein bisschen optimistischer. Wie unterschiedlich man das wahrnehmen kann, ist komisch, alles total relativ. Und Berlin ist so eine internationale Stadt.

Wie hast du in Berlin deinen Platz gefunden?

Ich glaube, ich verstehe mich mit den Leuten hier, weil das die sind, die aus ihren Heimatstädten flüchten wollten. Die schwarzen Schafe der elektronischen Szene, die ganzen Leute, die neue Sachen ausprobieren wollen. Und ich wollte mich mehr bei Leisure System einbringen und kannte ein paar Leute von Planet Mu, Hyperdub und Warp hier. Es ist gut, von seelenverwandten Leuten umgeben zu sein, die Sachen machen wie du. Das war in Glasgow anders – es gab halt DJs. Ich fühle mich einfach mehr Zuhause, wenn ich mit Ned Beckett und Sam Barker von Leisure System abhänge, weil wir alle dieselbe Musik feiern wie UK Rave-Kram und Warp-IDM gemischt mit deutschem Techno. Ich hoffe nur, dass der Brexit nicht passiert, aber lass uns lieber nicht drüber reden.

Der Vorgänger Caramel und die Refresher-EP deuten deine aktuelle Ausrichtung schon an, oder?
Refresher war wie eine Erleuchtung: Oh, ich kann diesen Kram produzieren. Als ich einige meiner Lieblings-DJs wie Denis Sulta, Ben UFO oder Truss meine Platte spielen sah, war ich total stolz: Yeah, ich hab’s geschafft, einen Track zu machen, der in Clubs läuft. Das habe ich versucht, seitdem ich 16 bin.

Was ist denn das Geheimnis guter Clubmusik?

Lass es so einfach und reduziert, wie du kannst. Danny Daze und ich quatschen da viel drüber. Es muss fast dumm sein, nicht zu viele Veränderungen, Entwicklungen oder Sounds haben. Weil wenn du deinen Track richtig laut spielst, kommt immer weniger Information durch die Lautsprecher. Also können die Leute auf dem Dancefloor weniger Elemente besser verarbeiten. Das ist wie zu versuchen, alte Zahnpasta rauszuquetschen. Weniger ist mehr. Sei dir sicher, dass deine Kickdrum und der Sub wirklich gut produziert sind. Davon abgesehen habe ich keine Ahnung. Ich lerne selber noch und schaue YouTube-Tutorials übers Abmischen.

Auf der neuen Platte kollaboriert du erstmals viel mit anderen Artists. “LA Melody” ist im Haus von Hudson Mohawke in Los Angeles entstanden, als ihr mit Lunice rumhingt?

Genau, ich war mit Kode9 und Nick Dwyer dort fürs Diggin In The Carts-Event, diese Remixe von japanischer Computerspiel-Musik. Weil wir schon so weit weg eine Show spielten, versuchte ich einen Urlaub draus zu machen. Damals lebte Ross [Birchard; Hudson Mohawke] in Silver Lake und ich hatte meinen Laptop dabei. Ich arbeitete an Musik, er arbeitete an Musik und Lunice drehte Joints. Ich habe noch niemanden kennengelernt, der Blunts so Kette raucht. Also fühlte ich mich ziemlich entspannt und inspiriert und haute einfach den Track raus.

Woher kennst du Hudson Mohawke?

Wir haben uns durch Dominic Flannigan von LuckyMe kennengelernt und deren Nächte in kleinen Bars in Glasgow geschmissen. Ich habe viel seines frühen Artworks designed und wir haben damals manchmal zusammen aufgelegt.

Wie kam’s zu “I’m For Real” mit Nightwave?

Maya [Medvešek] ist eine Freundin von mir aus Glasgow. Sie hatte zu Myspace-Zeiten einige echt erstaunliche Vocal-Tracks gemacht, also sollte sie welche für einen Track auf dem Album machen. Der hatte ursprünglich ein Motown-Accapella drin. Da bin ich drauf gekommen, als ich Jeff Mills vor Jahren über den Einfluss von Motown auf Detroit Techno sprechen hörte. Also studierte ich ein bisschen Motown-Kram und dieses Accapella sprang mir entgegen. Ich wollte etwas wie Drexciya machen, aber mit Motown-Einschlag, ziemlich Detroit. Maya veränderte die Vocals dann, jetzt erinnert’s mich auch an Radioactive Man.

“Rez” ist eine Hommage an das alte Sega-Spiel?

Nein, das begann als ein Remix von Scott Browns Happy Hardcore-Tune “The Rezerection”, ein Riesen-Hit im UK. Aber es entwickelte sich zu etwas anderem. Es gibt auch einen alten Underworld-Track, der “Rez” heißt.

Es wäre lustig, einen Happy Hardcore-Track von dir zu hören.

Nun, ich arbeite gerade quasi an so Kram für die Liveshow. Ich bin nicht wirklich ein Live-Musiker, eher ein DJ der seine Visuals live performt. Beim Großteil der elektronischen Musik wird doch nur auf Play gedrückt – sogar mit Ableton. Die Leute kriegen eh nicht mit, was der Typ am Laptop genau macht. Wenn du Live-Visuals kontrollierst, kannst du einfach mehr jammen. Dabei fühle ich mich wohl.

„Sound hat für mich eine Farbe und eine Form. Keine Ahnung, Autechre sind ein dunkles Grün und Blau, während Aphex Twin eher so Herbstrot ist.“

Du produzierst hier mit einem kleinen Set-Up am Laptop mit MIDI-Keyboard oder wie muss man sich das vorstellen?

Ich schreibe in meinem Zimmer hier und habe einen Proberaum am Ostkreuz, wo ich Lärm und Mixdowns machen kann, ohne dass sich jemand beschwert. Eigentlich habe ich keine große Routine, außer ich muss Sachen fertig kriegen. Ich habe damit aufgehört, bis tief in die Nacht zu arbeiten. Für deine eigene Gesundheit ist es besser, das wie einen normalen Job zu machen. Häufig kommen Einfälle für Tracks, wenn ich darauf warte, dass ein Video rendert. Ich bin happy, dass es fertig ist, und fange an eine fröhliche Melodie zu schreiben. Gewisse Menschen inspirieren mich dazu, Musik zu machen. Ich kriege eine positive Energie von ihnen, die wirklich einfach in Musik zu übertragen ist.

Beeinflusst dich deine Arbeit als Grafikdesigner und Visual Artist beim Produzieren – einer der neuen Tracks heißt „Magenta One“?

Das ist wie Lila. Die Farbe mag ich, seitdem ich als Kind mit den ersten Apple-Computern herum gespielt habe. Im Zeichen-Programm gab es fünf total knallige Farben: Neongrün, Magenta, Rot, die habe ich immer benutzt. Sie sehen zuckersüß aus.

Wobei das neue Cover ja nicht ganz so knallig geworden ist.

Wie altes Neon, ungesättigte Farbe – auch wegen dem Namen Ways Of Seeing und der ganzen Kunst-Geschichte. Ich liebe übrigens das Naturhistorische Museum in Berlin. Ich bin damit aufgewachsen, in Museen zu gehen und habe mich unter Dinosauriern immer wohlgefühlt. Ich mag diese Miniatur-Dioramas mit prähistorischen Szenen total und wollte, dass das Artwork so aussieht und in einem Museum stehen könnte. Ich habe mich dabei auch von der japanischen Animation Akida und frühen 90er-Cartoons wie Ghostbusters inspirieren lassen.

Symbolisiert der riesige Steinbrocken mit der komischen Maschinerie vom Album-Artwork eine Fusion aus Natur und Technologie?

Mit meiner Musik und meinen Visuals will ich einfach meine Interessen vermischen. Mein Schaffen ist eigentlich ein audio-visueller Remix von Dingen, die ich mag. Ich liebe Landschaftsfotografie und Poster alter Filme. Der Felsen auf dem Cover ist übrigens ein Scan aus Island, der mich irgendwie an Schottland erinnert. Es könnte eine Szene in einem surrealistischen Sci-Fi-Streifen sein, der gar keinen Sinn machen muss. Bloß ein Haufen Erinnerungen in eine Skulptur gequetscht, ziemlich selbstreferentiell. Jedes kleine Ding da drin hat mit mir zu tun und Filmen, die ich mag.

Kannst du sowas wie Musik sehen oder Farben hören?

Ich kann Melodien sehen, Sound hat für mich eine Farbe und eine Form. Keine Ahnung, Autechre sind ein dunkles Grün und Blau, während Aphex Twin eher so Herbstrot ist. Chris Clark ist ein bisschen gedeckter, wie Moos oder Burgunder. Eine alte, staubige, burgunderrote Jacke [lacht].

Wow, das ist ziemlich spezifisch. Und wie sieht deine eigene Musik aus?

Verblasstes Neon, wie ein alter Leuchtstab [lacht].

Könntest du dir vorstellen, nur noch Musik zu machen?

Nein, weil ich Musikmachen ziemlich anstrengend finde. Ich kann es nur für eine Weile, für drei bis vier Stunden machen, bevor es mich verrückt macht. Aber ich will immer noch etwas machen, also mache ich mit dem visuellen Kram weiter. Musik in kleinen Dosen. Aber ich könnte auch niemals damit aufhören, das macht mich einfach glücklich.

Du sprachst ja schon über ein Konzept-Album mit nur ein oder zwei Maschinen, also was wird deine Zukunft bringen?

Meine Palette begrenzen und selbstreferentieller werden, zu meiner alten experimentellen Musik zurückkehren, aber mit echt zugänglichen Melodien ausgleichen. Also ein Mix aus total kranker Scheiße und super eingängigem Kram. Alles einfach lassen. Und du musst einen Plan haben. Ich denke nach drei Alben habe ich das besser drauf, meine nächste Platte wird straffer und kohärenter. Ich will nächstes Mal definitiv direkt die visuelle Seite von Anfang an mitentwickeln. Es ist immer das Gleiche: Die Musik fürs Album war an Weihnachten 2018 fertig. Ich nahm ein paar Wochen frei und merkte plötzlich: Scheiße, ich muss ja noch das Artwork und die Poster machen. Das war ziemlich stressig, aber ich habe es mit dieser Platte zum ersten Mal pünktlich hingekriegt. [Planet Mu-Boss] Mike Paradinas ist ziemlich zufrieden mit mir, keine bösen Anrufe oder so [lacht].

Ways Of Seeing von Konx-om-Pax ist am 14. Juni auf Planet Mu erschienen.

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