Jeden Tag werden DJ-Mixe ins Netz geladen. Manche sind besser, manche sind schlechter und nur wenige werden uns jahrelang begleiten. Jeden Monat sucht das Groove-Team die fünf besten des vorangegangenen Monats aus, präsentiert in alphabetischer Reihenfolge. Diesen Monat mit Cera Khin, Clark Price, Hodge, Shyboi b2b DJ Bus Replacement Service und Violet. Und wer danach noch nicht genug hat, schaut einfach mal beim Groove-Podcast vorbei.

Cera Khin – Dekmantel Podcast 230


C’hantals „The Realm” in der Acapella-Version ist definitiv eines der meistgenutzten Intros für Sets jeglicher Couleur und wurde dank seiner Ecstasy-schwangeren Botschaft, die die idealtypische Essenz des Ravens einfängt, logischerweise unzählige Male gesampelt. Cera Khin wagt es trotzdem, das leicht klischeebehaftete Sprechstück an den Anfang ihres Dekmantel-Mixes zu packen. Zu Recht, hat sie in den folgenden 60 Minuten doch mehr als genug zu bieten, was diese große Geste rechtfertigt. Die Tunesierin entwickelt von der ersten Kick an eine beispiellose Durchschlagskraft, die die nötige Prise Humor nicht vermissen lässt: An Tzusings unverkennbare, asiatische Breakbeat-Gewitter schließt J-Zbels „Mortel Kombat” an, das mit wirren Samples aus dem (fast) gleichnamigen Videospiel, einem satten Beat und spontanen Acid-Lines begeistert.

Anspruchsvoll kombiniert die LazyTapes-Chefin Stücke verschiedenster Genres, die vor allem eines gemeinsam haben: Kompromisslose Aggressivität und ein fortwährend hohes Energielevel. Richtig ernst wird es nach etwa einer Viertelstunde, als Clouds’ „Sharp Like a Razor” relativ unvermittelt losdröhnt und mit prägnanten Vocals und einnehmender Melodie kein Zurück mehr gewährt. Toni Moralez’ „Ghetto Techno” bedarf ob seines Namens keiner Kategorisierung mehr, mit „The J-Zbel Anthem” vom kommenden Debütalbum des Lyoner Kollektivs schaffen es außerdem noch Hardcore-Versatzstücke und die ikonische Eisenbahn aus „Moskow Diskow” in den Mix. Klar: Diese Stunde ist genau so überladen, wie ihre Beschreibung klingt und keineswegs leicht verdaulich geraten. Selten klang ein Set aber kontemporärer und mit mehr Spaß aufgenommen als Cera Khins Dekmantel Podcast. Ein weiteres Zeichen dafür, dass Stringenz als Prämisse ausgedient zu haben scheint. Maximilian Fritz

Clark Price: Truancy Volume 241


Als Teil des Partykollektivs Honcho hat Clark Price die queere Szene Pittsburghs mit dem elektronischen Underground verschaltet. Dass in seinem Club Hot Mass im Keller eines schwulen Badehauses nicht nur die üblichen Verdächtigen wie The Black Madonna oder Honey Soundsystem spielen, sondern mit Danny Daze, Forest Drive West, Josey Rebelle oder ND_baumecker auch die europäische Elektronik-Avantgarde vertreten ist, macht diese Partys noch interessanter. Diese interkontinentale Spannung treibt auch Price´ Mix für Truants an. Den dramatischen, abgehackten 2Step-Groove von Cooly G. löst er im gelassenen, minimalistischen Percussionsound von DJ Minx auf. Percussionlastig bleibt das Set mit PTMC, und Wata Igarashi verbindet eine fokussierte Snare mit entgrenzten Fusionklängen. Igarashis slickes Sounddesign wird von einem schroffen Juan Atkins-Track und unberechenbarem Vogelgezwitscher von Yellow Magic Orchestra gebrochen. Mit 0h85 x C. kommen Locals aus Pittsburgh mit einem traditionellen R&B-infizierten Housesound zu Wort, mit D.Tiffanys Drum & Bass geht Price gleich wieder in die andere, gebrochene Richtung. Einen Breakbeatmeilenstein von A Guy Called Gerald mixt er mit dem leftfield R&B eines weiteren Local, von Liquid Earth. Ein erster Höhepunkt ist “Tense Planet” von Vulva, einem 1993er Projekt von Thomas Melchior, der eine eigentümlich unterkühlte englische Rave-Euphorie mit ungewöhnlich abstrakten, insektenartigen Klängen verbindet. Mit Pangaea und Daniel Bell stellt Price eine überraschend nahtlose Verbindung zwischen einem Helden aus den 1990ern und einem aus den 2010ern her. Dann spielt er obskuren Electro aus Deutschland und einen kultigen, unter anderem von Maceo Plex gefeierten Collectortrack von Simulant, der den Mix zu einem zweiten Höhepunkt treibt. Von dort geht es zu UK-House-Vordenker Kid Bachelor (von Bang the Party) und Air Liquides driftenden, organischen, klangverliebten Techno. Gene on Earth fasst dann nochmal die Integration von Techno und Breaksbeat, die dieses Set zu unverzichtbar macht, in einem so gefassten wie entgrenzenden Stück zusammen. Alexis Waltz

Bassiani invites Hodge: Podcast #53


Bassmusik zwischen Peaktime-Abriss und Bedroom-Experimenten: Hodge ist mit seinen ausgefuchsten Produktionen seit 2011 längst in den Plattenkisten dieser Welt angekommen – ob mit seiner kürzlich releasten techy Kollaboration mit Peach Discs-Boss Shanti Celeste, Bigroom-Monster wie auf Untolds Hemlock Recordings, verspultem Tribal auf Berceuse Heroique, der expressiven Laurel Halo-Collab auf Livity Sound oder seinen Techno-Wunderwaffen mit UK-Kollege Randomer auf Clone. Dass der Wahl-Berliner und Mother’s Finest-Resident mindestens genauso vielseitige und mitreißende Sets spielt, dürfte sich langsam auch herumgesprochen haben. Doch mit seinem Mitschnitt für den Bassiani-Podcast – genau, der Club in Tbilisi mit der Razzia – setzt der umtriebige Musiker noch einen drauf. Eine Lehrstunde in Sachen Opening-Sets – denn fast drei Stunden nimmt uns Hodge mit auf (s)einen Trip und verliert dabei nie den roten Faden. Der Wahl-Berliner startet beim ambienten Intro mit verträumten Synths und deutschen Texten (Else Lasker-Schüler – Herbst: “Auf einmal musste ich singen / Und ich wusste nicht warum. / Doch abends weinte ich bitterlich. / Es stieg aus allen Dingen / Ein Schmerz und der ging um / Und legte sich auf mich.”) und schließt nahtlos mit psychedelischen Bass-Hybriden an. In Minute 55 taucht der erste straighte Beat auf, um eine Stunde lang seinen Trademark-Sound zwischen Technobrettern und Bass-Experimenten zu erkunden. Der Mixmaster-Wahnsinn endet mit einer weiteren Stunde Acid-Perlen und Rave-Krachern wie Stennys und Andreas melancholischen Remix von Peverlists und Kowtons “End Point”. Das DJ-Set als Reise ist eine verdammt abgedroschene Metapher – aber hier passt sie einfach wie die Faust aufs Auge. Raoul Kranz

Übrigens: Erst im Februar 2019 kredenzte der gebürtige Bristoler einen GROOVE-Podcast und stand uns Rede und Antwort.

Shyboi b2b DJ Bus Replacement Service – Discwoman 69

In der neusten Folge der Discwoman Mixreihe treffen zwei Giganten des Underground aufeinander. Auf dem Foto, welches am Abend der Livemitschnitts aus New York geschossen wurde, steht Shyboi, die gebürtige Jamaikanerin, Wahl-New Yorkerin und Teil der Discwoman Familie, die für ihre energetische und stets erfrischende und experimentierfreudige Trackauswahl bekannt ist. Zu ihrer rechten hinter den Decks befindet sich DJ Bus Replacement Service, die bei ihren Gigs als Kim Jong Un verkleidet eine dadaistische Show abliefert, und in deren Sets das Publikum eine gewaltige Mischung aus Comedyshow, Satire und echten Bangern serviert bekommt. In diesem Mix geben sich Gabber-Remixes von R&B Hits, Jersey Club, extrem beschleunigter, französischsprachiger Afrobeat Pop, Ballroom und der griechische Eurovision Beitrag aus dem Jahr 2010 die Hand. Was daraus entsteht? Ein explosiver Rave Mix, der nichts für schwache Nerven ist, der Ecken und Kanten hat, der einen zum Lachen bringt und zum kompletten Ausrasten animiert. Caroline Whiteley

Violet @ mina / Lisbon – 24th April 2019


Wer sich aktuell für House und Breakbeat interessiert, wird Violet aka Inês Coutinho in der einen oder anderen Form begegnet sein. Sei es über Platten ihres Labels naive, das zum Beispiel die viel gelobte Devotion-EP von Octo Octa und Eris Drew veröffentlicht hat, über Sendungen des von ihr mitgegründeten Internetradios Rádio Quântica oder als DJ. Bei dieser Aufnahme ist sie in ihrem heimischen Element zu hören: mina ist eine Partyreihe und queeres Kollektiv aus Lissabon, von dem Violet seit seinen Anfangstagen ein Teil ist.

Die zweistündige Aufnahme fungiert als imaginäres Fenster zu einer großen Party; blickt man hinein, sieht man einen wilden Rave. Die Menschen drängen sich dicht nebeneinander, stapeln sich fast die Wände hoch. Sie wackeln mit den Hüften, wenn Violet einen ultraperkussiven Track ohne Kick spielt; bouncen hin und her wie Bälle in einem Flipperautomat, als darauf ein breakiger Track folgt; stampfen auf und ab, sobald ein 90s-Rave-Brett mit sirenenartiger Melodie erklingt. Es ist ein wilder Partyspaß, bei dem der Rhythmus im Mittelpunkt steht. Dass das alles reibungslos ineinander gemixt wird, versteht sich von selbst. Cristina Plett

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