Foto: Presse (DJ T.), Interview: Maximilian Fritz und Kristoffer Cornils
Thomas Koch ist die Sorte Szenefigur, welche gerne mal mit den Worten vorgestellt wird, dass sie eigentlich keiner Vorstellung bedürfe. Umso mehr gilt das natürlich in diesem Magazin, schließlich hat er die Groove doch überhaupt erst gegründet – vor ziemlich genau 29 Jahren. Das Beinahejubiläum indes wird mit einem lachenden und einem weinenden Auge gefeiert, schließlich ist die aktuelle 175. Ausgabe die letzte des Magazins. Online aber geht es weiter und genau das führt uns zu einem anderen Jubiläum: 2018 steht DJ T. nun ziemlich genau 30 Jahre professionell hinter den Decks. Er feiert das mit einem Beitrag zum Groove-Podcast, der sich alle Zeit der Welt nimmt: Auf die Sekunde genau 150 Minuten lang reiht Koch, dessen neue EP Istanbul heute auf Get Physical erschienen ist, Zuhausehör-House-Perlen aneinander, mal sphärisch, mal soulful und immer als Geschichte gedacht.
2018 feierst du dein 30-jähriges DJ-Jubiläum. Erinnerst du dich noch an dein erstes Set?
Ehrlich gesagt nein. Es muss bei einer Privatparty gewesen sein, möglicherweise Anfang 1987. An meinen allerersten Mix kann ich mich aber noch gut erinnern. Das war 1986 bei der Geburtstagsparty eines Freundes, noch bevor die Gäste kamen. Er hatte zwei Plattenspieler dort stehen von denen nur einer pitchbar war. Aus irgendeinem Grund stand da zweimal die gleiche Platte von Kool & The Gang, die ich solange synchronisierte, bis sie über Minuten nicht mehr auseinanderliefen. Das war eine Art Schlüsselerlebnis. Zwei Jahre später bekam ich dann die ersten bezahlten Gigs für 50 D-Mark Gage pro Nacht in Frankfurter Diskotheken. Darum habe ich mich dazu entschlossen, mit der für die Jubiläen relevanten Zeitrechnung erst 1988 zu beginnen.
Als du ein Jahr später die Groove gegründet hast, warst du bereits regelmäßig als DJ aktiv. Was bedeutete es damals im Vergleich zu heute, professioneller DJ zu sein?
Zu dieser Frage könnte man ein ganzes Buch schreiben. Ein Beispiel: Mitte und Ende der achtziger Jahre gab es noch kaum Magazine, die DJs gefeaturet haben, es gab keine Formate dafür im Radio oder Fernsehen und es gab kein Internet. Der einzige Weg, sichtbar und hörbar zu werden, war also das Auflegen selbst beziehungsweise bewarb man sich bei Clubs, indem man Mix-Tapes verschickte – letzteres habe ich tatsächlich nie machen müssen, irgendwie hat es bei mir immer auf anderen Wegen geklappt. Ende der achtziger Jahre hatten die allermeisten DJs, selbst die, die damals schon feste Anstellungen in Clubs hatten, auch noch einen Job unter der Woche, das ist ja heute nicht mehr der Fall. Ich glaube der gravierendste Unterschied liegt im Aufwand. Ende der Achtziger hatte ein DJ nichts anderes zu tun als ein, zwei Mal pro Woche für ein bis zwei Stunden in den Plattenladen zu gehen und sich mit dem erworbenen Vinyl dann zu Hause zu beschäftigen. Was man heute alles als DJ zu tun hat, muss an dieser Stelle glaube ich nicht mehr ausgeführt werden. Alleine die Beschäftigung mit ihrer Online-Präsentation beschäftigt die meisten DJs schon um ein Vielfaches mehr als den End-80er-DJ die Musik selbst.
Sowieso vereint kaum jemand derart viele verschiedene Perspektiven auf die elektronische Musik wie du. Als Redakteur, Veranstalter, Label- und Clubgründer sowie DJ warst du bisher aktiv. Gab es nie einen Moment, in dem dich die Leidenschaft für die Musik verlassen hat?
Es gab immer wieder Phasen, in denen ich mich als DJ und Produzent neu erfinden musste, bestimmte Stilrichungen hinter mir gelassen und neue entdeckt habe. Die generelle Leidenschaft für Musik aber, auch über den Tellerrand der elektronischen Musik hinaus, ist immer gleichgeblieben. Nach einer längeren Krise die ich in der zweiten Hälfte der Nullerjahre mit Clubmusik hatte, ist die Leidenschaft in der jetzigen Dekade sogar noch größer geworden.
Manche deiner Kolleg*innen die ähnlich lange dabei sind haben mit verschiedenen Strapazen des DJ-Lebens zu kämpfen und selbst jüngere DJs äußern sich häufiger über seelische und körperliche Belastungen. Hat der Druck über die Jahre zugenommen – und wenn ja, wie lässt sich dagegen angehen?
Der Druck hat über die Jahre immer weiter zugenommen, physisch und mental. Meiner Gesundheit und meinem Privatleben ist es schon seit Langem abträglich. In meinem Leben gab es bisher noch nie eine gesunde Work-Life-Balance. Das soll sich jetzt endlich ändern. Das ist auch der Grund dafür, dass die jetzt anstehende Welttour zum 30jährigen Jubiläum sehr wahrscheinlich die letzte ihrer Art sein wird. Ich werde noch weiter auflegen, aber zunehmend auch in neuen Welten, nicht mehr soviel nachts und in Clubs. Näher zu erklären worum es dabei geht, würde hier jetzt leider zu weit führen.
Über die letzten Wochen hast du einige deiner Edits von Songs und Tracks wie Radioheads “Everything In Its Right Place” oder sogar einem Kraftwerk/Afrika Bambaataa-Mashup auf Soundcloud veröffentlicht. Was macht für dich einen guten Edit aus?
Darüber lässt sich kaum eine objektive Aussage treffen. Ich habe mal ein Edit von Tensnakes „Around The House“ gemacht. Ich kannte über Jahre niemanden außer mir selbst, der das Original gespielt hat. Ich habe es fast in jedem Set gespielt, immer deutlich runtergepitcht. Nicht selten war es der Track des Sets. Jahre später haben wir dann die Rechte für das Edit geklärt um es offiziell auf einer digital erhältlichen Disco-Compilation zu veröffentlichen. Plötzlich ging das Ding durch die Decke, war wochenlang auf Platz 1 in den Genrecharts und hat sich soweit ich mich erinnere weit über 5000 Mal verkauft. Meine einzige Leistung hatte darin bestanden, den Track runterzupitchen, das Arrangement zu verlängern und ihm ein ganz dezentes Remastering zu verpassen. Hinzu kam wahrscheinlich noch ein Momentum, den Track genau zum richtigen Zeitpunkt, auf der Höhe einer Disco-Rennaissance ausgegraben zu haben. All das zusammen hat das Potential, das sich zuvor nicht entfalten konnte, optimal herausgekitzelt. Ist es deswegen ein gutes Edit? Ich denke schon. Darüber hinaus gibt es noch unendlich viele Herangehensweisen an das Editieren. Mash-Ups mag ich auch sehr gerne, wie im Fall von den beiden von dir erwähnten Edits. Meistens bringe ich dann einen Instrumental-Track mit dem Acapella eines anderen zusammen. Oft erfinde ich dann ein komplett neues Arrangement und füge auch noch eigene Sounds hinzu. Demnächst erscheint ein solches Mash-Up übrigen tatsächlich erstmalig offiziell. Ich habe vor ein paar Jahren einmal ein Stück von Sterac mit dem Acapella von Liberty Citys „If You really Love Someone“ gemasht und komplett neu arrangiert. das Ergebnis war eines der bestfunktionierenden Edits, das ich jemals gemacht habe. Die Murk-Brothers sind so drauf abgefahren, dass sie damit jetzt eine neue Vinyl Only-Serie von Murk Records starten werden.
Auf Facebook betreibst du das Format „My Classic Of The Week“, in dem du deinen Followers Klassiker von Donna Summer, The Human League oder auch Richie Hawtin näher bringst. Siehst du dich auch als eine Art musikalischer Erzieher für jüngere Generationen, den DJ somit als “Teacher”?
Ja, in diese Rolle bin ich als DJ erst in den letzten zehn Jahren immer mehr hineingewachsen. Gutes DJing besteht im besten Fall aus einer ausbalancierten Mischung aus Dienstleistung und Teaching. Man muss als DJ auch intuitiv spüren, wo mehr das eine und wo mehr das andere gefragt ist. Genauso wie man einen Party-Raum fühlen können muss, in den man kommt. Manchmal komme ich als gebuchter Headliner in einen Club, den ich noch nie zuvor gesehen habe, in dem der Resident DJ schon um ein Uhr nachts Gas gibt, als ginge es um alles. Ich stehe da nur eine Minute und spüre, dass das der falsche Sound für den Moment ist. Ich resette dann den Raum mit 5 bpm weniger, baue ganz von vorne auf, vielleicht leert sich sogar die Tanzfläche für einen Augenblick, um aber dann aber spätestens innerhalb der nächsten 4-5 Tracks voller zu werden, als sie es vorher war. Darüber hinaus gibt es noch viele Parameter, die einen guten DJ ausmachen. Wenn das alles noch mit einer unverwechselbaren Handschrift und hoher technischer Versiertheit vorgetragen wird, dann ist es die Königsklasse. Wenn man schon angefangen hat, aufzulegen bevor es das, was wir heute als Techno kennen, gab, also noch in den achtziger Jahren, dann empfinde ich es geradezu als Verpflichtung, den Leuten in seinen Sets auch ab und zu mal seine Wurzeln zu zeigen. Kurioserweise scheinen das viele meiner Kollegen genau andersrum zu sehen, bei ihnen definiert sich der „Fortschritt“ ihres Handwerks darüber, immer wieder mit neuen Trends zu gehen und das Vorherige abzustreifen. Ich kann den Ansatz nachvollziehen, aber für mich hatte DJing immer im besten Sinne des Wortes etwas Konservatives. Es geht um das Bewahren von Traditionen und trotzdem gleichzeitig ganz im Hier und jetzt zu sein. Das ist für mich kein Widerspruch.
Was war die Idee hinter deinem Beitrag für unseren Groove-Podcast?
Ein Podcast ist eine eigene Disziplin des DJings beziehungsweise der Selektion und Kuration. Die Magie eines DJ-Sets baut sich auf über die Interaktion zwischen dem DJ, der Crowd und dem Setting des Raumes. Deshalb ist es unmöglich, die Magie eines solchen Momentes aus einem Recording heraushören. Bei einem Podcast gibt es keinen DJ und keinen Raum, nur den Hörer und die Musik. Hier muss sich die Magie aus dem erzeugen, was man Flow nennt. Ich nenne das immer auch: Geschichte. In einem guten Podcast wird eine Geschichte mit gekonnt inszenierten und für das Format stimmigen Spannungsbögen erzählt. Ein DJ hört mit seinem Set oft auf dem Peak seiner Energie auf, einen Podcast lässt man in den meisten Fällen ausklingen. Ich wähle immer zuerst das Thema für diese Geschichte und dann suche ich mir die passenden Tracks dazu. Im Fall des Groove-Podcasts habe ich das mehrere Male umgeschmissen, was selten der Fall ist. Das Thema ist nun: spährische Listening-House-Tracks mit ätherischen und soulful Vocals aus den letzten 20 Jahren.
Last but not least: Wann können wir dich in nächster Zeit hinter den Decks erleben und wie sehen deine weiteren Pläne aus?
Am 30.11. bin ich noch ein letztes Mal in Berlin, im Ritter Butzke, bevor es auf besagte Übersee-Tour zum 30jährigen Jubiläum geht. Von Anfang Dezember bis Ende April werde ich dann in Mexico City wohnen und von dort aus zu meinen Gigs in Nord- und Südamerika starten. Nach meiner Rückkher im Mai werde ich unter dem Jubiläums-Banner in Europa weitertouren aber nur sehr selektiert spielen.
Stream: DJ T. – Groove Podcast 184
01. Burial & Four Tet – Moth
02. Gunnar Wendel – 578 (Omar-S’ Berlin Mix)
03. Theo Parrish & Alena Waters – Sound Control
04. Herbert – It’s Only (DJ Koze Remix)
05. Pulshar – So Tired
06. Mickey Moonlight (Isolée Remix)
07. Christian S – Under The River
08. Audiofly vs Big Bully – I’ll Tell Ya
09. Kim Brown – Camera Moves
10. Adesse Versions – Pressured
11. Freaks – Happy Jus’ To See You Again (Happy Vocal Mix)
12. Felix Da Housecat & Jamie Principle – They Just Want 2 B U
13. Max Berlin – Elle Et Moi (Joakim Remix)
14. The It – Utopian Dream
15. Brooks – Clix
16. Bloody Mary – Spinning Around feat. Eyke
17. Turner – When We Will Leave (Robert Hood Remix)
18. Move D – To The Disco 77 (Live Rework)
19. Genetic Funk – You Need Me (Edit 2)
20. DJ Koze vs Sid Le Rock – Naked (DJ Koze Remix)
21. Traumprinz – All The Things
22. Elgato – Blue
23. Aux 88 – Medicine featuring Damara Naier (Detroit Institute Mix)
24. Portable – Keep On
25. Boundzound – Louder (Martin Buttrich Remix)
26. Laurent Garnier – Feel The Fire
27. Maurizio – Dominia (Carl Craig’s Mind Mix)
28. New Musik – Warp (Ilo Edit)
29. Ilo – It’s You
30. Oni Ayhun – OAR003-B
31. Levon Vincent – Pivotal Moments In Life
32. Talaboman – Loser’s Hymn