5. Forests 森林 – Idol Collapse (Left Hand Path)
Wenn sich ein Label denselben Namen gibt wie eine legendäres Death-Metal-Album, dann kommt eine LP wie diese nicht wirklich als Überraschung daher. Umso überraschender ist es jedoch, was auf Idol Collapse zu hören ist. Die Band Forests 森林 kommt aus Taiwan und wird von Tzusing protegiert, musikalisch geht es in eine ganz ähnliche Richtung wie bei dem L.I.E.S.-Produzenten. Nur auf dem Dancefloor wird das, was über acht Tracks auf Idol Collapse zu hören ist, eher seltener zu aufzufinden sein – es sei denn natürlich, irgendwer lässt Helena Hauff davon erfahren.
Da gehören aber Forests 森林 auch gar nicht hin, sondern stattdessen in leere Fabrikhallen oder muffige Kellergeschosse. Ihr Post-Punk-inspirierter Industrial-Sound lebt von seinen mächtigen, kratzigen Bässen, die von Drones, porösen Synthie-Lines oder verhallten Vocals umspielt werden. Das Programm heißt Kargheit, das Resultat Überwältigung. Denn viel Gewalt steckt auch in dieser Musik, die ihres gemächlichen Tempos zum Trotz eine unbändige Energie entwickelt. Eine kleine Notiz an die Industrial-Techno-Szene, dass auch diesseits der 130bpm Härte möglich ist und obendrein ein schwerer Klumpen Musik, der im Plattenregal irgendwo zwischen Coil, Nasenbluten und der Bunker-Diskografie seinen Platz finden sollte. Nicht, weil Forests 森林 genauso klängen – sondern weil sie ähnlich radikal einen Scheiß auf Bequemlichkeiten geben. (Kristoffer Cornils)
4. Okzharp & Manthe Ribane – Closer Apart (Hyperdub)
Die LP Closer Apart des Wahllondoners Okzharp und der in Johannesburg lebenden Tänzerin, Musikerin und Künstlerin Manthe Ribane beschreibt die Gegenwart mit gleißenden Synthesizern, hopsenden Computer-Sounds und der verfremdeten Stimme von Ribane. Ihre Lyrik wirkt fragmentiert, schwingt zwischen Sprache und Gesang, spielt mit dem Sound einzelner Worte: „Never say never again“ wiederholt sie in einem Track in verschiedenen Kombinationen zu einem langsam schreitenden Instrumental, das der Forderung mit rollenden Trap-Bassdrums Nachdruck verleiht und Zuneigung durch warme Sounds ausdrückt.
Irgendwo zwischen Dubstep-Anleihen, die auseinanderdriften und sich an Kwaito schmiegen, der zu einem schlingernden Synthesizer und minimalistisch pulsierenden Beat zerfließt, spiegelt sich die eigene Zukunft in der nahen Ferne von Ribanes Worten: „We are the secret of the universe/don’t know what you gonna do with this/but I’m sure you gonna make it work“. (Philipp Weichenrieder)
3. Pariah – Here From Where We Are (Houndstooth)
Pariah kennt man besonders als Teil von Karenn. Fünf Jahre lang hat er damit gekämpft, einen Ansatz für sein Debütalbum zu finden. Auf Here From Where We Are verfolgt er nun weder die Dubstep- und UK-Garage-Ansätze seiner zwischen 2010 und 2012 erschienenen Maxis weiter, noch greift er den Analog-Techno auf, den er zusammen mit Blawan produziert. Stattdessen ist es ein reines Ambient-Album. Dabei orientiert sich Pariah am Ambient der Urform von Brian Eno oder Steve Reich. Aktuelle Ansätze von Purient oder Ben Frost etwa, die meistens ziemlich düster und apokalyptisch klingen, werden ausgeklammert.
Pariah klingt da überraschend harmonisch und positiv, das Album ist eine gute Hörerfahrung. Dennoch hätte man von einem exponierten britischen UK-Techno-Künstler ein Debüt mit mehr Affinität zum Nachtleben erwartet. Die Dichte der ineinander verwobenen Synths, die vor einer sich stetig modulierenden Kulisse von Drones operieren, verweist immerhin unterschwellig auf seine Auftritte als Teil einer Live-PA. (Felix Hüther / Alexis Waltz)
2. RP Boo – I’ll Tell You What! (Planet Mu)
Den Rhythmen von Footwork kommt das Hirn hin und wieder nicht hinterher. Fast würde man dann erstarren vor Konzentration, wäre da nicht der Groove in den hakeligen Drums, Bässen und Samples, der physischen Stillstand verhindert. Vor 20 Jahren schraubte Kavain Space den Track „Baby Come On“ zusammen und gilt damit als Schöpfer von Footwork. Zum ersten Mal enthält mit I’ll Tell You What! ein Album von ihm nun aktuelle Stücke.
Immer wieder erklingen Samples, die nicht nur funktional, sondern auch als Botschaften gehört werden können. In dem Track „At War“ spiegelt sich die Gewalt auf Chicagos Straßen ebenso wie die Kultur von Dance Battles, die Aggression in Kreativität kanalisieren kann. Neben High Energy-Tracks wie „U Belong To Me“ erscheint das dramatische „Wicked’Bu“ wie eine polyrhythmische Soul-Ambient-Oper. RP Boo legt meisterhaft gegensätzliche Spannungen zwischen Starre und Bewegung, zwischen Ich und Wir in seine Stücke und zeigt, wie faszinierend es ist, sie nicht aufzulösen. (Philipp Weichenrieder)
1. Stefan Goldmann – An Ardent Heart (Macro)
Wie nur wenig andere hat Stefan Goldmann Minimal Techno zum Fundament eines ästhetischen Gebäudes gemacht, dessen Methodik und Selbstverständnis über die Sphäre der Clubs weit hinausreicht. Seitdem beschallen seine Klangentwürfe nicht nur Dancefloors wie den des Berghains, sondern auch Theaterbühnen, Kultureinrichtungen und Kunstfestivals. Insofern ist das Minialbum An Ardent Heart fast so etwas wie ein kleines Comeback: Expliziter als mit den sechs neuen Tracks – die Coda „Engine Reprise“ bildet die bestätigende Ausnahme – hat der 40-jährige Producer und DJ die Tanzfläche schon lange nicht mehr adressiert.
So schließt An Ardent Heart im Grunde genommen einen Kreis, den Goldmann mit seinem Debütalbum The Transitory State zu ziehen begonnen hat. Seine Expertise in Polyrhythmik und sorgfältiger Handhabe von Sounddetails bildet den Kontrapunkt zu den linearen Grooves der Stücke. Vor allem der Titeltrack mit indischem Einschlag weiß nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. (Harry Schmidt)