In den letzten Jahren ließ sich die elektronische Musik zu oft zum harmlosen Partyspaß degradieren. Daniel Avery gibt ihr ihre Unbedingtheit, ihre Notwendigkeit zurück. Auf seinem neuen Album noch mehr als auf seinen Maxis und dem Debüt. Song For Alpha beginnt mit „First Light“. Das Stück ist ein einziger Ton, der die Aufmerksamkeit schärft, der beseitigt, was man davor gehört hat. Bei „Stereo L“ führt uns Avery in seine Klangwelt ein. Da ist ein ruhiger Downbeat mit kristall-klaren Hi-Hats und einer shufflenden Snare. Wenig später arbeitet sich eine Bleep-Figur in den Vordergrund. Sie klingt fremdartig, unwirklich, futuristisch, sie erinnert an die ersten Warp-Maxis von LFO oder Sweet Exorcist, an den Minimal-Sound der 2000er auf Force Inc. und Cytrax, an den aktuellen, schwedischen Techno von Pär Grindvik oder Simon Haydo, an Aleksi Perälä. Dieser Klang hat etwas Bedingungsloses. Er ist ein Kristall, der für sich steht, eine Struktur, die sich aus sich selbst heraus entwickelt.
Mit „Projector“ sind wir mittendrin in Daniel Averys kompromissloser Sound-Ästhetik. Der Track besteht allein aus vier Synth-Pattern. Im Hintergrund läuft ein ratternder Groove, ganz leise. Sein Debütalbum hat erst Form angenommen, als er es mit seinem Mentor Erol Alkan abgemischt hat, erklärt Avery. Und die Mischung von Song For Alpha ist noch extremer. Die Grooves bleiben ganz leise im Hintergrund, sie lassen die Sounds erstrahlen. So wechseln sich bei „Projector“ zunächst zwei Melodien ab – klar, kalt, strahlend. Wie zwei Stimmen, ein Bariton und ein Mezzosopran, die uns etwas zurufen, ein Appell, eine Aufforderung. Nach einigen Minuten kommt eine dritte Figur dazu, sie hat etwas Besänftigendes. Und auch sie hat ein höherstimmiges Gegenstück. Tenor und Sopran. Dann setzen die ersten beiden Stimmen aus, auch der Groove hält inne und nur die beiden besänftigenden Stimmen bleiben da. Wenig später ist der Break vorbei und alle Elemente kommen zurück. Die Streicher, die jetzt bei vielen anderen ProduzentInnen einsetzen würden, bleiben aus. Am Ende lässt Avery für einen einzigen Takt nur das Drumming stehen. Wie der letzte Drumkick in einem Echo verhallt, ist elektrisierend, fast verstörend.
Ein Flächenstück gewährt uns eine kurze Pause. „Sensation“ ist das erste richtige Techno-Stück auf dem Album. Ein schwerer, dumpfer, humpelnder Groove, ein Geräusch wie ein Tischtennisball. Plötzlich schiebt sich eine Fläche in das Stück, überwältigend, gigantisch. Der pure Klang. Und am Ende steht da wieder der nackte Groove. Dann „Citizen // Nowhere“: an- und abschwellende Flächen, luftig, ein Breakbeat, aus Noise modellierte Drums. Abgehackt, flink, ein Robotertanz.
„Clear“: ratternde Electro-Grooves, auf ein Minimum heruntergebrochen. Tolle Bleeps, wie aus einer anderen Welt. Wieder denkt man an LFO. „Diminuendo“ ist noch einmal Techno, aber minimaler. Der Techno der 2000er. Oder eine Party, die schon lange tobt. DJ und Crowd sind aufeinander eingespielt. Ein Schürfgeräusch setzt einen Puls. Ein flatternder Drone erklingt und der Groove verschwindet, wie von Geisterhand. „Days From Now“: einzelne, verstimmte Töne, Aphex Twin die Musik der Einsamen. Wenig später kommt das Finale. „Slow Fade“: Langsame Beats, eine elliptische Melodie, die eine tiefe, unterdrückte Sehnsucht verkörpert. Schweigsam und umso aussagekräftiger. „Glitter“ ist Neunziger-Techno, fließend
funky, mit einer zarten Melodie, unschuldig. Bei „Endnote“ erklingt eine der Frauenstimmen, die Avery so liebt. „Come here“, sagt sie. Dann der Abschied: Klirrendes Glas und ein einziger Ton. Sind das Flächen? Oder Drones? Oder Streicher gar?
Video: Daniel Avery – Slow Fade