Eine Party ist Zusammenkunft von Menschen. Warum können sie nicht die Bedingungen ändern, unter denen sie zusammen feiern?
TBM: Weil Männer an der Macht sind.
SARAH: Es geht um Machtverhältnisse. Solange dieselben weißen, alten Männer das Sagen haben, wird sich in der Welt nichts verändern. Wenn Leute nicht reflektieren und sich fragen: Welche Hautfarbe habe ich, wo komme ich her? Anders können sie kein Bewusstsein für ihre Privilegien entwickeln.
TBM: Es ist wichtig, mehr Frauen und PoC in Machtpositionen zu bringen. Wenn mehr Frauen, PoC, Women of Color und alle anderen Kombinationen die Verantwortung übernehmen, wirst du erleben, wie sich die Dinge auf einer tieferen Ebene verändern. Wenn ich aber an eine Sache in der Dance Music glaube, dann, dass die Männer das nicht zulassen. Sie werden ihre Reihen schließen. For sure!
MICHAIL: Der Erfolg der Musik ist zurzeit auch ihr Untergang. In einer kleineren Community waren die Diskussionen greifbarer. Clubs haben als soziale Orte funktioniert. Da fand mehr statt als nur Partys, Nachbarschaftsaktivismus, Menschen bildeten sich politisch. Je erfolgreicher die Clubmusik wurde, desto mehr wurde dieses Verständnis von Community verwässert. Es kamen immer mehr Leute dazu, die kein Interesse an dem Diskurs hatten oder nichts von ihm wussten. Diese Leute sehen nur den Spaß, aber nicht die Kämpfe, die ausgefochten werden mussten, um diesen Spaß möglich zu machen. Ein Teil der Leute ist offen für eine Auseinandersetzung. Viele lehnen den Diskurs aber ab, weil er ihre privilegierte Position in der Party, zu der sie kaum etwas beisteuern, infrage stellt.

Die geschlechtliche Vielfalt Berlins wird in den Clubs abgebildet, die Migrantenkulturen finden dort kaum statt.
MICHAIL: Wir müssen nicht nur für Vielfalt in der DJ-Kanzel sorgen, sondern auch im Publikum. In vielen Berliner Clubs findet ein Gatekeeping über Mode und so letztlich über den Geldbeutel statt. Vor zehn Jahren waren Sweater und Jeans mehr als genug, um auszugehen. Jetzt ist „dress to impress“ angesagt, wenn du in bestimmte Clubs kommen willst. Das ist verrückt. Ich bin mir sicher, dass man einen racial bias bei den Berliner Türstehern feststellen könnte, wenn man untersucht, wer reinkommt und wer nicht. Und in Berlin ist das extremer als in anderen Städten. Schau dir das Robert Johnson in Offenbach an!
SARAH: Wenn ich ausgehe, denke ich nicht ständig daran. Aber manchmal denke ich: „Whoopsie! Ich bin die einzige nicht-weiße Person im Club.“
ENA: Das ist komisch, wenn man bedenkt, wie divers die Stadt ist.
SARAH: Musik sollte für jeden zugänglich sein. Die neue Generation weiß teilweise nicht mehr, wo die Soundsystems und House und Techno herkommen. Im Geschichtsunterricht sollte es nicht nur um die Nazis gehen. Über HipHop zu reden kann ein Weg sein, den Kolonialismus zu thematisieren und erklären weshalb die Dinge so so sind wie sie sind.
TBM: Jede Ära der Clubmusik ist auf sehr explizite Weise mit einer politischen Krise verbunden. Du kannst nicht über Funk sprechen, ohne über Black Power zu reden. Das gilt für alle Musik nach James Brown. Wie kann Tanzmusik heute anders sein als zu der Zeit, als James Brown „Black and Proud“ veröffentlichte?
MICHAIL: Berlin ist ein viel sicherer Ort für queere Menschen als Moskau. Mit dem Boiler Room reise ich aber oft in Länder, wo Clubkultur noch ein safe space und ein politischer Ort ist. In Osteuropa und in Asien sind Clubs oft die Orte, an denen sich die Kids zum ersten Mal als sie selbst zeigen können. Das Rabitza in Moskau war ein solcher Ort und er wurde im August von der Polizei kurz und klein geschlagen.

The Black Madonna und Ena Lind

Wie kann der Community-Gedanke in der Szene stark gemacht werden?
TBM: Die finanzielle Unabhängigkeit, die uns das Auflegen gewährt, verpflichtet uns auch dazu, zu investieren. Ich spiele an sehr problematischen Orten. 2017 ist mir klar geworden, dass es wichtiger ist, sich dort die Hände schmutzig zu machen, als im Netz Männer anzuschreien. Ein Land zu boykottieren, weil dort üble Verhältnisse herrschen, und sich dafür zu brüsten, interessiert mich nicht. Ich finanziere ein Stipendium an einer DJ-Schule auf Sri Lanka – mit der Bedingung, dass es an eine Frau geht. Meine amerikanischen Dollar kommen da sehr weit. In Uganda haben wir den Leuten Midi-Controller gebracht, die sind da schwer zu kriegen.
SARAH: Wir müssen auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Sexismus ist kein Thema, zu dem man nur Frauen befragen sollte oder nur Schwarze zu Rassismus. Auch diejenigen, die die Strukturen aufrechterhalten, müssen einbezogen werden.
TBM: „Was denkst du über den Aufstieg des Feminismus in der Technoszene, Ricardo Villalobos?“ – die Antwort wäre wahrscheinlich wirklich spannend.
SARAH: Genau, das solltet ihr mal fragen, wenn ihr euer nächstes Interview mit einem weißen, männlichen DJ macht.
TBM: Ich habe eine Eingebung. (lacht) Genau das hast du getan, Laura.
Laura Aha: Und ich werde nicht damit aufhören.
TBM: Es gibt eine Lücke zwischen der Utopie von Dance Music und der Wirklichkeit. Manches speist sich aus dem Afrofuturismus, manches aus den Gospel Roots der House Music. Die Realität ist aber, dass viele Leute in der Oldschool-Danceszene totale Arschlöcher sind. House Music ist dieses wunderbare Ding. Aber sie konnte auch sehr gefährlich sein. Sie gilt heute als diese hyperqueere Kultur, aber viele Leute in der formativen Szene sind zutiefst homophob. Ein Spannungsfeld zwischen Realität und
Ästhetik. Meine Hoffnung ist, dass wir Dance Music neu erfinden können, ohne dieser falschen Mythologie unser Ursprungsgeschichten zu erliegen.
MICHAIL: Falsche Mythologie ist ein gutes Wort. Dein Statement basiert auf der Annahme, dass die Teilhabe an der Clubkultur ein Akt des Widerstandes ist. Das ist sie aber zumindest im Westen seit mindestens 20 Jahren nicht mehr.
TBM: Die Clubszene ist aber kein Garten Eden, in dem irgendwann jemand Adams Apfel gegessen hat. Von wegen: Dann kam Tech House und alles war vorbei. Dance Music hat wie jeder andere Ort auf dem Planeten unter Kolonialisierung gelitten. Das ist wahr. Dennoch war Dance Music immer gefährlich. Als „Promised Land“ rauskam, kam auch „Beat That Bitch With A Bat“ raus. Eine tief problematische Platte, die ich bis ans Ende meiner Tage lieben werde. Dieser politische Widerspruch hat von Anfang an existiert. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir behaupten, es hätte diesen mythischen safe space tatsächlich gegeben. Es hilft uns nicht, uns vorzustellen, dass es dieses utopische Paradies gab. Wir müssen uns vorstellen, was als Nächstes kommt. Um das zu tun, müssen wir die systemischen Probleme bekämpfen. Denn sie erfordern eine systemische Lösung.

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