Text: Laura Aha, Heiko Hofmann, Alexis Waltz. Fotos: Heiko Hoffmann. Hier findet ihr noch mehr Jahresrückblicksartikel.

Ob Orte des Widerstands, des Eskapismus oder safe spaces – Nachtclubs waren von Anfang an politisch aufgeladene Orte. Wenn 2017 Rassismus und Misogynie den öffentlichen Diskurs vergiften, fordert die politische Großwetterlage auch von der Clubszene ein neues Bewusstsein und eine klare Haltung. Groove hat die Berliner DJ Sarah Farina, den Boiler-Room-Berlin-Kurator Michail Stangl, die Queerparty-Veranstalterin und DJ Ena Lind und The Black Madonna aus Chicago gefragt, wo die politischen Konfliktlinien im Nachtleben derzeit verlaufen und wie die elektronische Musik ihrem utopischen Anspruch endlich gerecht werden könnte.

 

Ihr seid alle sehr aktiv auf Social Media, teilt eure politischen Ansichten mit der Öffentlichkeit. Warum ist es euch wichtig, euch in eurer prominenten Position innerhalb der Szene auch politisch zu äußern?
SARAH FARINA: Man hat eine Plattform und Follower, die man nutzen kann, um Meinungen zu teilen. Heutzutage ist es fast unmöglich, nicht politisch zu sein, es wird immer wichtiger zu sagen, was man denkt.

Spürt ihr da auch eine gewisse Verantwortung?
SARAH: Auf jeden Fall!
MICHAIL STANGL: Für mich steht das im Zusammenhang mit meiner eigenen Geschichte. Ich bin als Einwanderer nach Deutschland gekommen, in einem rechtskonservativen Umfeld aufgewachsen. Clubkultur war für mich ein Raum politischer Bildung und ein safe space. Hier traf ich zum ersten Mal Gleichgesinnte, wurde nicht als einziger Migrant in der Kleinstadt diskriminiert. Für mich gehört das politische Bewusstsein zur Clubkultur dazu, das geht über die Party und Musik hinaus. Einerseits als Teil meiner eigenen Erfahrung, andererseits indem ich gesehen habe, wie Clubkultur andere empowered, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Ich stimme Sarah zu. Ich habe eine Stimme. Ich hab keine Angst, meine Meinung öffentlich zu äußern und dafür auch die Schläge zu kassieren. Daher nutze ich meine Plattform, auch um das auszusprechen, was viele Menschen beschäftigt.
THE BLACK MADONNA: Ich hatte immer eine große Klappe. Ich bin das Kind von Feministen, die Ehefrau eines Flüchtlings, ich bin queer – diese Dinge zwingen dich ab einem gewissen Punkt zum Handeln. Das Persönliche ist politisch. Jeder trägt Verantwortung für die Menschen um einen herum, das ist nichts, was einzigartig in meinem Job ist. In Chicago haben wir zum Glück eine Community, die uns sagt, was sie braucht und was wir besser machen können. Die Smart Bar versucht, der bestmögliche Ort für alle zu sein, Diversität im Line-up abzubilden. Ich habe definitiv ein Gefühl der Verantwortung. Wir sind einer der ältesten unabhängigen Tanzclubs der Welt. Da muss man sich fragen: Wollen wir anführen oder nachlaufen?
ENA LIND: Das war auch die Motivation bei MINT. Wir hatten das Gefühl, dass der Szene Diversität fehlt. Bei MINT ging es darum, Frauen zu unterstützen. Da passiert gerade ganz viel.

Ihr seid alle auch BookerInnen bzw. FestivalorganisatorInnen: Inwiefern beeinflusst das Politische eure Arbeit in diesem Bereich?
MICHAIL: Ich buche keine Arschlöcher. So einfach ist das. Was mir in den vergangenen Wochen wieder aufgefallen ist, ist der Mangel an Diskurs. Das bringt mich zurück zur Ursprungsfrage: Warum haben wir das Gefühl, unsere Meinung sagen zu müssen? Die elektronische Musik-Community lebt oft in einer Regenbogen- und Lollipop-Fantasiewelt, außerhalb der politischen Realität. Doch die sickert immer mehr durch. Einige haben ein Bewusstsein für diese sensiblen Themen entwickelt, andere hingegen ihr wahres Gesicht gezeigt, Meinungen geäußert, die vielleicht schon länger da waren und denen wir nie genug Aufmerksamkeit geschenkt haben. Es gab da dieses Jahr ein paar deutliche Beispiele, die Verbindung der Proud-Boy-Bewegung zu Funk D’Void etwa. Man achtet heute mehr darauf, wen man unterstützt, wem man seine Plattform bietet. Wenn ich Leute für Boiler Room oder Festivals buche, schafft man finanzielle Möglichkeiten für die Menschen. Mit dem Geld hat man eine Verantwortung.
TBM: Dank Social Media weiß du heute, welche deiner Freunde Nazis sind. Das war ein echter Augenöffner, besonders in Amerika, wo wir mit Trumpism und dem Aufstieg des offenen, weißen Nationalismus umgehen müssen. Klar, den versteckten gab es immer. Amerika ist auf weißem Suprematismus aufgebaut worden. Doch plötzlich kommt man mit Leuten in Kontakt, die offen Hakenkreuze tragen, auch in der Technoszene. Das ist ein Schock! Die treten öffentlich in der Proud-Boy-Show auf.

Was genau ist die Proud-Boy-Show?
TBM: Es ist eine Organisation und eine Show, die auf den White-Supremacist-Ralleys aufgetaucht ist. Sie wurde von Gavin McInnes, ehemals von Vice, gegründet. Er ist ein Super-Chauvinist, sie nennen sich selbst Westernists. Viele stehen lose mit der Alt-Right-Bewegung in Verbindung. Die „Libertäre Bewegung“ ist im Prinzip auch nur Alt-Right in schönerem Gewand.

Was ist deren Interesse an Techno und wie passt das zusammen?
TBM: Ich glaube, die Verbindung ist „Freiheit“. Die Idee, dass jeder komplette Freiheit haben soll: „Survival of the Fittest“ sozusagen. Dadurch werden strukturelle Themen wie Rassismus oder Homophobie komplett ignoriert. Alles soll sich von allein regeln, in einem Wettstreit von Ideen, ein Kapitalismus der Gedanken. Sie nennen sich sogar Anarcho-Kapitalisten. Da möchte man sich doch in den Kopf schießen! Das ist eine neue Art, seine Ideologie hinter einem pseudointellektuellen Konstrukt zu verschleiern, statt zugeben zu müssen, dass man ein White Supremacist ist.

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