Illustration: Super Quiet. Mehr Rückblicke findet ihr hier.

Nach Jahren des Zuwachses steckt mancher Plattenladen heute in der Zwickmühle. Zu viele neue und vor allem neu aufgelegte Releases stehen einem nicht unendlichen Plattenladen-Budget gegenüber und schaffen in Konkurrenz zueinander nur noch minimal den Sprung in die Plattenkisten der Shops.

„Wenn ich mich entscheiden kann zwischen einem neu aufgelegten Klassiker von Moodymann, Ron Trent oder Larry Heard, der seine Relevanz schon gezeigt hat, und einem Newcomer, dann müsste ich mich auf längere Sicht rein wirtschaftlich für den Klassiker entscheiden“, sagt Just von Ahlefeld, Mitbetreiber des Hamburger Plattenladens Smallville. Dessen Sortiment ist auf aktuelle Clubmusik ausgerichtet, hat aber seit den Anfängen auch stets einen großen Backstock an Klassikern, die jedem, der die Geschichte der Housemusik auf Vinyl nacherleben will, ein Spielfeld bietet. Ganz so neu ist das Phänomen der Reissues nämlich nicht. Vor allem House-Blueprints kamen immer – mal mehr, mal weniger ehrlich lizenziert – neu heraus und Qualitätsadressen wie Hardwax pressen in unregelmäßigen Abständen Zeitloses von Basic Channel oder Maurizio nach. Dass nun auch Techno oder Drum’n’Bass vermehrt neu aufgelegt wird, ist auch auf einen Generationswechsel und die damit neu geweckte Neugier auf Geschichte zurückzuführen. „Neue Musik kann ihre Zeitlosigkeit ja noch nicht beweisen. Es bedarf eines trainierten Gehörs und Erfahrung, um in der Flut der wöchentlichen Neuveröffentlichungen das Gute herauszufiltern. Die meisten Reissues haben ihre musikalische Qualität schon belegt. Für mich ist das die Aufgabe eines DJs: Woche für Woche die wirklich relevanten neuen Stücke zu finden und zu spielen. Nur so hört das Publikum von ihnen und kann die favorisierten Tracks und deren Künstler entdecken“, erklärt Serge vom Rotterdamer Vertrieb und Plattenladen Clone.

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Eine ebenfalls nicht neue These, denn schon seit Beginn der technisch reproduzierten Clubmusik gehört das wöchentliche Erscheinen von zahllosen EPs fest zum DIY-Spirit einer Musikkultur, die für sich die Etikette „Zukunft“ beansprucht. Und schon immer mussten visionäre DJs das Besondere aus dem Profanen filtern: „Beim Einkauf von Reissues bin ich heute oft euphorischer als bei neuen Platten. Früher konnten wir von einem Newcomer 30 Platten verkaufen. Da sind wir heute eher in einem einstelligen Bereich“, verrät Markus Lindner vom Berliner Plattenladen Oye. „Das hat für mich oft mit Qualität zu tun. Abgesehen von Klassikern ist viele Musik, die neu aufgelegt wird und die kaum wer kannte, musikalisch spannender. Zeitgenössisches klingt oft wie eine musikalische Visitenkarte, die dazu dient, Gigs zu bekommen, und nicht deshalb entstand, weil sich der Künstler individuell ausdrücken will. Das erklärt auch, warum sich alte Platten gut verkaufen. Sie klingen oft origineller als vieles Neue.“ Eine Mutmaßung, die einige seiner Kollegen teilen, aber nicht gern öffentlich aussprechen.

Dass alte Musik, die kaum einer kannte und die nur in einer überschaubaren Sammlergemeinde ein Hit war, heute plötzlich bekannt wird, liegt aber auch an DJs. Künstler wie Hunee, Floating Points oder Motor City Drum Ensemble haben manchem raren Disco-Boogie-Vinylschatz zu einer Neuauflage verholfen, die in den Verkaufscharts landete. Discogs ist auch behilflich. Wird eine Platte hier teuer gehandelt und kommt neu heraus, steht sie automatisch bei Vinylfans hoch im Kurs. Und das zulasten von Newcomern, die auf Vinyl immer weniger absetzen. Den Rückgang jedoch nur auf das vermehrte Interesse an Bewährtem zurückzuführen wäre zu kurz gedacht. Abgehobene Vinylfantasiepreise und leicht bedienbare Musiksoftware, die vieles perfekt, aber auch identisch klingen lässt, schaden ebenso. Und ob interessante neue Musik zwangsläufig nur im Format Vinyl erscheint, ist fraglich. Für einen jungen, aufstrebenden DJ mit kleinem Geldbeutel ist gezieltes digitales Einkaufen ohnehin kostengünstiger.

Am Ende bestimmt die Kundschaft. Und natürlich die Labels, Plattenläden und Vertriebe, die mal mehr, mal weniger nach Qualitätsmaßstäben arbeiten.

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