Dieses familiäre Verhältnis spürt man auch bei der Ankunft am Leipziger UT Connewitz, wo am Abend das Konzert stattfindet. Überschwänglich begrüßen sich alle, als hätten sie sich wochenlang nicht gesehen. Zwei Monate waren sie in 18 Städten in 15 Ländern unterwegs. „Die Tour war so wie Klassenfahrt, nur ohne Lehrer“, meint DJ und Produzent Vril lachend, als wir das ehemalige Theater betreten. Drinnen werden schwere Blumenvasen mit riesigen Bouquets auf die Bühne gehievt, Teelichter verteilt und Kabelbinder festgezogen. Auf einem langen Holztisch stehen fünf MacBooks in einer Reihe, die leuchtenden Apfelsymbole mehr oder weniger sorgfältig mit schwarzem Panzertape abgeklebt. „Das sieht dann später von unten aus wie eine Mischung aus LAN-Party und Beerdigung“, scherzt Konstantin, der beim Konzert gemeinsam mit Ateq, Leafar Legov, Vril und Edward live spielen wird.
Als sich die Türen öffnen, stürmen die Ersten zielstrebig Richtung Plattentisch, an dem sich schnell eine Schlange bildet. „Auf Discogs hätte ich dafür doppelt so viel bezahlt“, rechtfertigt ein junger Mann den Plattenstapel in seinem Arm. „Was habt ihr von Traumprinz?“, fragt der nächste und kauft scheinbar wahllos alles, was er kriegen kann – inklusive der 100 Euro teuren Vinylplattenbox des jüngsten Prince-of-Denmark-Albums. Der Verkäufer am Plattentisch dreht sich erstaunt zu mir um und zuckt ratlos mit den Schultern.
Faszination Giegling
Worin liegt die Faszination um Giegling begründet? Ist es tatsächlich nur die wahnsinnig detailreiche, gut produzierte Musik, die in ihrer melodischen, emotionalen Verträumtheit einfach ein breites Publikum anspricht? Ist es die Unnahbarkeit der Musiker, die sich bewusst im Hintergrund halten und somit wie Popstars der Prä-Instagram-Zeit noch genügend Raum zur Spekulation lassen? Oder ist es die idealisierte Erzählung von Giegling als filmreifes Undergroundmärchen, die das Label zur idealen Projektionsfläche werden lässt? Im Konzert zeigt sich, dass Giegling es ernst meint mit der Interdisziplinarität, auch wenn die drei dem Konzert vorangestellten Performances etwas zusammenhangslos wirken. Die erste spielt mit ohrenbetäubenden Störgeräuschen und dem Flirren zweier Leuchtstoffröhren.