Obwohl es des nachts unmöglich scheint, alle Highlights mitzunehmen – Âme und Plaid spielen gleichzeitig auf, King Midas Sound und Fennesz konkurrieren mit Battles – so lässt der Tag doch Erkundungen des Kattowitzers Alltagslebens zu. Nicht weit vom Festivalgelände entfernt geht es in der Innenstadt ungleich schläfriger aus, obwohl die lokale Kreativszene – selbst mit einem ganzen Zelt auf dem Tauron Nowa Muzyka vertreten – ihren bunten Einfluss auf das sonst Grau in Grau strahlende Kattowitz genommen hat. Maximale Entspannung bietet der am See Kajakowy gelegene Camping-Platz des Festivals, wo nicht nur für in kulinarischer Hinsicht, sondern auch mit sommerlichen House-Sets an das Wohl der Gäste gedacht wird.
Ein kleines Idyll, das in der Samstagnacht wieder gegen bierselige Hektik eingetauscht wird. Kid Simius befüllen mit ihrem Post-Nu-Rave-Sound das Amphitheater nahe des NOSPRs, bevor drinnen das legendäre deutsche Electronica-Duo Tarwater mit einer Weltpremiere aufwartet: Bernd Jestram und Ronald Lippok spielen ihr 1998 veröffentlichtes, kürzlich über das polnische Gusstaff Records neu aufgelegte Album Silur erstmals in voller Länge. Daneben geht es im Carbon Continent weiter mit polnischer Lokalprominenz wie Mirt/Ter und Bartek Kujawski, bevor mit DMK zwei kolumbianische Kinder in Begleitung ihres Vaters die Bühne erklimmen, um mit Ukulele, Kazoo und Schifferklavier bewaffnet die Crowd mit Depeche Mode-Covern zum Ausrasten zu bringen.
Denn so viel – verheerender Weise sehr preiswertes und gutes – Bier auf dem Tauron Nowa Muzyka fließt, in Bierernstigkeit wird eben nicht aufgegangen. The Orb kontrastieren ihr neues, Ambient-lastiges Album mit Breakbeats und „An der schönen blauen Donau“-Interludes, Ceephax Acid Crew liefert ein irrsinniges Set mit viel Rave-Piano und 303-Freidreherei ab. Ernster hingegen gibt sich etwa Actress, der ein – für seine Verhältnisse – ungemein konzentriertes, an Dub Techno und Drexciyanischen Klangwelten geschultes Set spielt und sich nur selten in Klangtexturen verliert. Ein klares Highlight am vor qualitativ hochwertigen Performances nur so strotzenden Samstagabend.
Das Tauron Nowa Muzyka bietet mit seinem engagierten Programm und der gediegenen Atmosphäre ein ebenso spannendes wie reichhaltiges Festivalerlebnis. Es bleibt dennoch insular: In Kattowitz selbst muss oft mit Händen und Füßen kommuniziert werden, selbst internationale Presseevents werden auf Polnisch abgehalten. Als Bastion gegen die sonst eher lalaländische Festivalkultur an der Grenze zu Deutschland und seinem Unterschwerpunkt auf die äußerst spannende polnische Szene trägt das Tauron Nowa Muzyk indes einiges zur kulturellen Diversifizierung entlang einer gesamtgesellschaftlichen Homogenisierung bei – es sollte nur eben nicht dabei bleiben. Die nächste Ausgabe ist bereits für den Zeitraum vom 06. bis 09. Juli angekündigt, wir dürfen also gespannt bleiben.